
In der Filiale des Sportartikelgeschäfts „Sports Direct“ im Osten Londons hatten sich die Angestellten bereits an Ladendiebstähle gewöhnt. „Wir konnten wenig ausrichten, vor allem, wenn die Diebe in Gruppen kamen“, sagt Filialleiter Tom, der nur seinen Vornamen nennen möchte, gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung. Als Folge der steigenden Lebenshaltungskosten haben die Ladendiebstähle markant zugenommen, die Polizei geht kleinen Delikten gar nicht mehr nach.
Seit ein paar Monaten aber gewinnt das Ladenpersonal im Kampf gegen die Diebe wieder die Oberhand. Denn neuerdings sind die Überwachungskameras an der Decke des Geschäfts mit einer Gesichtserkennungs-Software der britischen Firma Facewatch ausgestattet. Betritt ein registrierter Ladendieb das Geschäft, löst das auf Toms Handy einen Alarm aus. Er erhält eine Mitteilung und ein Bild des mutmaßlichen Diebs, womit er ihn aus dem Laden weisen kann, bevor dieser zur Tat geschritten ist.
In der Datenbank wird registriert, wer einen Diebstahl begangen hat und dabei von einer Überwachungskamera gefilmt worden ist. Betritt die Person später ein anderes, mit Facewatch ausgestattetes Geschäft im Land, löst die künstliche Intelligenz (KI) Alarm aus. Die Datensammlung wächst und wächst. Facewatch installiert nach eigenen Angaben 170 bis 200 neue Kameras pro Monat – so viele wie insgesamt im letzten Jahr. Facewatch erklärt auf ihrer Website, die Gesichter von unbescholtenen Kunden würden nach sieben Tagen gelöscht. Das Programm, so heißt es weiter, verringere Diebstähle um 30 Prozent.
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Smarte Kameras erleben in London auch im öffentlichen Raum einen Boom. Sie können die Menschen nicht nur anhand ihrer Gesichter, sondern etwa auch aufgrund ihres Ganges identifizieren. Sie erkennen Objekte wie Messer, ordnen Geräusche wie verbale Auseinandersetzungen ein. Die KI wertet das Bildmaterial aus und schlägt Alarm, was den Bedarf an Personen reduziert, die die Videos anschauen müssen.
London gilt seit den neunziger Jahren als die am stärksten überwachte Hauptstadt Europas. Die Metropole an der Themse zählt rund 68 Überwachungskameras pro 1000 Einwohner. Berlin weist 11 Kameras pro 1000 Einwohner aus. Ein großer Teil der Kameras ist im Besitz der 32 Londoner Gemeinden. Die investierten 2024 den Rekordbetrag von 36 Milliarden Euro in die technologische Aufrüstung. KI-Kameras können Drogenkonsum, Herumlungern, Trunkenheit oder bedrohliches Auftreten erkennen.
Auch die Metropolitan Police nutzt künstliche Intelligenz. Die Polizei parkt mit Kameras ausgestatteten Lieferwagen an belebten Plätzen der Stadt. Sobald eine Person auf der Fahndungsliste ins Blickfeld der Kameras gerät, schlägt das System Alarm. Polizeibeamte halten die Person an, identifizieren sie und nehmen sie gegebenenfalls fest. 500 Verbrecher konnten 2024 dank der mobilen Kameras festgesetzt werden. Laut der Polizei identifizierte die KI die Verdächtigen in 98 Prozent aller Fälle korrekt.
Fazit: Die Echtzeit-Gesichtserkennung hat das Potential, die Kriminalitätsbekämpfung zu revolutionieren wie einst der Einsatz von Fingerabdruck- und DNA-Beweisen. Allerdings gibt es in England auch Vorbehalte dagegen von Datenschützern. Carissa Veliz zum Beispiel, Professorin für Ethik und künstliche Intelligenz an der Universität Oxford, fordert: Überwachungstechnologie dürfe nur eingesetzt werden, wenn dies verhältnismäßig sei.