
Das Foto ging um die Welt: Eine Mutter in Gaza hält ein Kind auf dem Arm, das nur noch Haut und Knochen ist. Von der New York Times über CNN und die BBC bis in deutsche Medien verbreitete sich das Foto rasend schnell – als angeblicher Beleg für das gezielte Aushungern der palästinensischen Bevölkerung in Gaza durch Israel. Zeit Online titelte über eine große Version des Bildes: „So sieht Hunger aus“.
Doch das Foto zeigt kein vom Hunger abgemergeltes Kind. Mohammed hat eine Krankheit, die sein Erscheinungsbild maßgeblich beeinflusst. So leidet der Junge unter anderem an Zerebralparese – eine Muskel-Krankheit, deren Patienten oft spindeldürr und abgemagert aussehen. Das geht aus seiner Krankenakte hervor – auch die Mutter des Jungen deutete dies in einem Bericht an.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Hamas chronisch beziehungsweise erbkranke Kinder als Propaganda-Motiv missbraucht – diese Methodik muss Journalisten spätestens nach zwei Jahren Gaza-Krieg bekannt sein. Doch rund um den Globus griffen Medien geradezu dankbar zu der Aufnahme als Illustration für ihre Vorwürfe gegen Israel.
Dabei hätte ein Mindestmaß an journalistischer Arbeit Klarheit schaffen können – oder ein kritischer Blick. Schon das sichtbare Doppelkinn der Mutter im Hintergrund wirft Fragen auf, wie akut dieser Hunger in diesem Fall wirklich ist – und andere Aufnahmen zeigen neben der Mutter auch den Bruder des kranken Jungen wohlgenährt.
Eine Mutter aus Gaza mit ihren ZWEI Kindern. Das eine Kind offensichtlich wegen Krankheit abgemagert, während das andere Kind völlig normal und gesund aussieht.
Die israelfeindlichen Medien verwenden allerdings nur das erste Bild, um die Lügengeschichte einer angeblichen… pic.twitter.com/QnmE6isxXK
— Emrah Erken 🔥🎺 (@AtticusJazz) July 26, 2025
Der unabhängige US-Journalist David Collier war es, der das tat, wozu seine Kollegen nicht fähig waren: Er hinterfragte kritisch und recherchierte. So sah er unter anderem die Krankenakte des Jungen ein und berichtete auch über das Foto der ansonsten nicht sichtbar an Hunger leidenden Familie.
Unter anderem kritisierte Collier die BBC für ein 64-sekündiges Interview mit der Mutter des Jungen, in dem Mohammeds genetische Störungen nicht erwähnt wurden. „Selbst in dem BBC-Video spielt die Mutter darauf an – sie erwähnt einen langwierigen Kampf, einschließlich Physiotherapie-Sitzungen, die ihm geholfen hatten, stehen zu lernen“, schrieb er. „Die Krümmung der Wirbelsäule ist ein weiterer wichtiger Hinweis, der auf eine CP-Diagnose hindeutet. Aber der BBC-Sprecher geht darauf nicht ein – und lässt das Publikum glauben, dass der herzzerreißende körperliche Zustand, den wir sehen, das Ergebnis einer weit verbreiteten Hungersnot ist.“
Dieses Vorgehen ist ein krasses journalistisches Versagen – wenn nicht sogar auch vorsätzlich. Die Geschichte, die erzählt wird, ist wichtiger als die tatsächliche Wahrheit, die allenfalls noch als Spurenelement in dieser Form von „Bericht“ auftaucht. Die Irreführung der eigenen Leser im Nachhinein wenigstens korrigieren? Auch das wird mehr schlecht als recht vollzogen. Die New York Times äußerte sich immerhin ausführlich und erklärte, man habe nach Veröffentlichung von der Diagnose erfahren.
We have appended an Editors' Note to a story about Mohammed Zakaria al-Mutawaq, a child in Gaza who was diagnosed with severe malnutrition. After publication, The Times learned that he also had pre-existing health problems. Read more below. pic.twitter.com/KGxP3b3Q2B
— NYTimes Communications (@NYTimesPR) July 29, 2025
Die Zeit regelt das ganze erst sehr spät mit einem müden Hinweis mit Sternchen – und erklärt, „dass der Junge laut seiner Krankenakte auch an einer Vorerkrankung leidet. Wir haben diese Information nachträglich ergänzt.“ Die Überschrift „so sieht Hunger aus“ bleibt mitsamt dem Foto unverändert bestehen – und vermittelt den Lesern damit weiterhin und vorsätzlich ein falsches Bild.