
Es kommt dieser Tage aber auch alles zusammen, dass dem möglichen Bald-Kanzler Friedrich Merz (CDU) und seinem Aller-Voraussicht-nach-Vize-Kanzler Lars Klingbeil (SPD) quasi gar keine andere Möglichkeit bleibt, als Berge neuer Schulden in Form von „Sondervermögen“ zu beschließen – und zwar noch mit den Mehrheitsverhältnissen des alten, bereits abgewählten Bundestages. Und so soll es auch kommen, wie die Spitzen von Union und SPD am Dienstagabend verkündet haben: 500 Milliarden Euro Sondervermögen, grenzenlose Schulden für die Bundeswehr und die Schuldebremse soll auch noch reformiert werden.
Aus staatspolitischer Verantwortung, versteht sich. Denn schaut man über den großen Teich in die USA, dann scheint US-Präsident Donald Trump gerade den Westen und die NATO zu beerdigen, oder?
Es hat sich offenbar ALLES geändert, sodass NICHTS MEHR gilt.
NIUS erklärt wie politische Erzählungen, sogenannte „Spins“ funktionieren, wie diese gezielt gesetzt werden, um Hunderte Milliarden Euro neuer Schulden zu rechtfertigen, obwohl sie so gar nicht zu dem passen, was allen voran CDU und CSU vor der Wahl versprochen haben und zu dem, was längst bekannt und erwartbar war.
Friedrich Merz und Lars Klingbeil wollen sich zu neuen Schulden tricksen.
Obwohl sich Union und SPD auf absolute Verschwiegenheit eingeschworen hatten, ist durch eine undichte Stelle in den Sondierungsteams doch irgendwie an das Handelsblatt durchgesickert, dass der sogenannte „Kassensturz“ ein Haushaltsloch von 130 bis 150 Milliarden Euro offenbart habe. Das habe Bundesfinanzminister Jörg Kukies entdeckt. Das schafft natürlich Dringlichkeit für neue Schulden, die die SPD im Wahlkampf gefordert hatte. Zwei Sondervermögen, eines für die Bundeswehr, ein zweites für Infrastrukturmaßnahmen, werden seither diskutiert.
Dabei sind Löcher im Haushalt das Letzte, was in Deutschland eine Neuigkeit ist.
Die Ampel-Regierung ist am Streit ums (fehlende) Geld im November 2024 zerbrochen, für den Haushalt 2025 schwankten die Schätzungen des fehlenden Geldes zwischen 25 und 50 Milliarden Euro und Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im Wahlkampf Dutzende Male – auch im TV-Duell mit Friedrich Merz – darauf hingewiesen, dass allein im Jahr 2008 um die 30 Milliarden Euro fehlten, um das Zwei-Prozent-Ziel der NATO einzuhalten, wenn das „Sondervermögen Bundeswehr“ aufgebraucht sei.
Mathias Middelberg, der Fraktions-Vize von CDU und CSU für das Thema Haushalt, hatte noch im September im Deutschen Bundestag der damaligen Ampel-Regierung vorgerechnet, wie groß das Loch allein für das Jahr 2025 ist. Middelberg wörtlich: „Sie haben auch nicht nur eine globale Minderausgabe von 12 Milliarden für den Gesamthaushalt eingeplant, sondern darüber hinaus 4,3 Milliarden Euro Minderausgaben in den Einzeletats. Und im Klimafonds, im KTF allein schlummern Minderausgaben von 9 Milliarden, Mehreinnahmen von 3 Milliarden: Das sind noch einmal 12 Milliarden einfach pauschale, völlig ungedeckte Positionen. Das ist maximal unverantwortlich.“ Außerdem habe die Ampel für das Jahr 2025 Steuermehreinnahmen in Höhe von 6 Milliarden Euro eingeplant.
Das Ergebnis von Middelbergs Rechnung: ein Loch von rund 34 Milliarden Euro. Am Nicht-Wissen über die Haushaltslage kann die Union also nicht gescheitert sein.
Nachdem der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jahren keine sprunghaften Wachstumsraten prognostiziert werden und große Einsparungen gerade beim Sozialstaat mit einer Regierungsbeteiligung der SPD kaum denkbar sind, könnte man das von Middelberg vorgerechnete Haushaltsloch für 2025 grob für die kommenden Jahre fortschreiben. Zusammen mit den (richtigerweise) von Scholz betonten 30 Milliarden Euro, die nach dem Auslaufen des „Sondervermögens Bundeswehr“ für die Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO nötig wären, ist die genannte Größenordnung von 130 bis 150 Milliarden Euro, die fehlten, schnell erreicht.
Der neue Bundesfinanzminister Jörg Kukies im Gespräch mit der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD).
Ein sogenannter „Kassensturz“, bei dem der Finanzminister nach eifriger Suche in seinem Ministerium und den Geldspeichern Deutschlands mit einer Aktentasche in den Raum kommt, diese über Kopf schüttelt und hofft, dass verschollene Milliarden heraus plumpsen, existiert nur in Zeichentrick-Filmen von Dagobert Duck, nicht jedoch in der Bundespolitik.
Der Deutsche Bundestag ist der Haushaltsgesetzgeber. Die Mehrheit des Parlaments entscheidet darüber, was genau mit den zur Verfügung stehenden Mitteln gemacht werden darf. Die Regierung muss jede außerplanmäßige Ausgabe beantragen und vom Haushaltsausschuss genehmigen lassen. Die CDU stellte mit Ex-Kanzleramtschef Helge Braun zudem noch den Ausschussvorsitzenden. Die Parlamentarier haben jederzeit die Möglichkeit, die Regierung zu befragen, wie die Mittel konkret verwendet worden sind oder ob noch etwas übrig ist – und die Regierung muss darauf wahrheitsgemäß antworten. Es herrscht also volle Transparenz über die Kassenlage.
Niemand in der Union kann also ernsthaft wie der „Ochs vorm Berg“ namens 130 bis 150 Milliarden Euro Haushaltsloch stehen. Das Wort „Kassensturz“ ist ein politischer Trick, um Dringlichkeit für neue Schulden herzustellen, die den Wahlversprechen gerade von CDU und CSU diametral widersprechen. Denn „Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen“ steht im Wahlprogramm der Union.
Noch im Dezember hatte Parteichef Friedrich Merz bei Sandra Maischberger gesagt: „Ich will mal sagen, warum ich bei der Schuldenbremse so klar bin: Die schützt das Geld und die Steuerzahlungen der jungen Generation. Jetzt sitzen hier einige aus der jüngeren Generation. Sollen wir deren Geld heute schon ausgeben, weil wir mit dem, was wir haben, nicht auskommen? Wir nehmen 1000 Milliarden Euro Steuern ein, pro Jahr eine Billion, und damit sollen wir nicht auskommen?“
Jetzt scheinen die 1000 Milliarden an Steuern doch nicht mehr auszureichen.
Das gleiche, also dass niemand überrascht sein kann, gilt im Übrigen für die Tatsache, dass der neue und alte US-Präsident Donald Trump Europa abverlangen würde, selbst deutlich mehr für die eigene Sicherheit tun zu müssen und dass Trump eine schnelle Befriedung des Krieges in der Ukraine anstreben würde – und zwar zu seinen Bedingungen.
Der Eklat im Oval Office, bei dem US-Präsident Donald Trump, sein Vize JD Vance und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor laufenden Kameras stritten, die Amerikaner dem Ukraine fehlenden Respekt und Dankbarkeit vorwarfen und Selenskyj später aus dem Weißen Haus geworfen wurde, wird in Deutschland teilweise als Ende „des Westens“ oder möglicher Austritt der USA aus der NATO aufgefasst.
SPD-Chef Klingbeil sagte in der Folge: „Ich bin fest davon überzeugt, dass jetzt die Stunde Europas schlägt, dass es jetzt darum geht, dass dieser Weckruf auch von allen europäischen Partnern gesehen wird.“ CDU-Chef Friedrich Merz sprach von einer „herbeigeführten Eskalation“ durch Trump und Vance.
SPD-Klingbeil sprach von einem Weckruf.
Jedenfalls könne sich Deutschland, so der Tenor in der deutschen Öffentlichkeit, auf den mächtigen militärischen Schutz der USA nicht mehr verlassen, was die nächste Dringlichkeit schafft, neue Schulden zur Ertüchtigung der Bundeswehr zu beschließen.
Über die Deutung der provokanten Aussagen und teils erratischen Ankündigungen Trumps lässt sich trefflich streiten. Zwei Dinge sind jedoch nicht überraschend: dass Trump einen schnellen Frieden im Ukraine-Krieg nach seinen Bedingungen anstrebt und dass Trump von Europa und Deutschland viel mehr Eigenverantwortung beim Thema Verteidigung erwartet.
Schon im Wahlkampf 2016, bevor er zum ersten Mal Präsident geworden ist, sagte Trump: „I like NATO, but ya gotta pay ya bills“ (deutsch: „Ich mag die NATO, aber ihr müsst eure Rechnungen bezahlen“). Das ist mehr als 8 Jahre her.
Drei Jahre später, als Trump dann Präsident war, richtete er diese Botschaft noch deutlich direkter an Deutschland und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Laut einer Umfrage mögen die Deutschen Obama mehr als mich, viel mehr. Natürlich, weil ich dafür sorgen werde, dass sie ihre Rechnungen bezahlen. Ich sage: Angela, du musst bezahlen, Angela“. Würden die Deutschen ihn mögen, so Trump, würde er seinen Job nicht richtig machen.
Freilich geht es um die Militärausgaben innerhalb der NATO und in Deutschland. 2002 wurde in der NATO das „Zwei-Prozent-Ziel“ verabredet und 2014 auf dem Gipfel von Wales bekräftigt. Deutschland hat es seither nicht ein einziges Mal auch nur im Ansatz erfüllt – einzig durch das „Sondervermögen Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro wurde die Grenze 2023 und 2024 erreicht, jedoch nicht aus dem laufenden Haushalt.
Deutschland hat das Zwei-Prozent-Ziel der NATO nie erfüllt.
Zwei Überraschungs-Momente, die in dieser Dringlichkeit gar keine Überraschung sein dürften, sollen also der Auslöser dafür sein, dass alles anders ist, dass plötzlich Hunderte Milliarden Euro neuer Schulden notwendig sind, die zu allem Überfluss noch mit den Mehrheitsverhältnissen des alten, längst abgewählten Bundestages beschlossen werden sollen, weil man eine mögliche Mehrheit im neuen Bundestag mit der AfD, die einem „Sondervermögen Bundeswehr“ durchaus zustimmen könnte, fürchtet.
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