So zahlt Deutschland den Preis für Frankreichs Machtpolitik

vor 4 Tagen

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Bildquelle: NiUS

Nicht weniger als zweihundert Pferde waren es, die am gestrigen Montag vor dem französischen Staatspräsidenten paradierten – ein seltener Anblick im Zeitalter der hybriden Kriegsführung und des ansonsten eher digitalen Defilierens. Zum Nationalfeiertag inszeniert sich Frankreich wie gewohnt mit Glanz und Gloria sowie mit Bildern geradezu monarchischer Qualität. Zweihundertsechsunddreißig Jahre ist es her, dass die Pariser das königliche Staatsgefängnis stürmten und damit den mythologischen Wendepunkt in der französischen Revolution markierten. Im großen und kultivierten Nachbarland ist man seit diesen Tagen stolz auf den Republikanismus, so sehr, dass man sukzessive gleich fünf Republiken auf die Beine gestellt hat, unterbrochen nur von dem ein oder anderen kurzen Kaiserreich. Gewissermaßen als intermède, als Zwischengang, um wieder auf den Geschmack zu kommen.

Zum Nationalfeiertag inszeniert sich Frankreich wie gewohnt mit Glanz und Gloria.

Der republikanischen und rekurrierend auch revolutionären Rhetorik zum Trotz ist Frankreich ein handfester geopolitischer Akteur mit überraschend ungebrochenen strategischen Traditionslinien. Außerdem ist es eine anspruchsvolle und selbstbewusste Nation. Nicht immer wird dieses Selbstbewusstsein von den politischen Realitäten gestützt, doch in Paris wird es in jeder Epoche hartnäckig manifestiert – so sehr, dass es zu einer unverrückbaren historischen Tatsache geworden ist.

Revolution, Reich oder Republik? Von der jeweiligen Folierung einmal abgesehen, ist dies schöne Land die historisch bedeutsamste europäische Kontinentalmacht. Die innenpolitische Tendenz zur Autorität, ausgedrückt durch einen starken Zentralismus, ist die beinahe unvermeidliche Folge aus dem Hegemonialstreben französischer Außenpolitik. In dieser Beziehung unterscheiden sich die Bourbonen, ein Monsieur Bonaparte, ein General de Gaulle und auch ein Emmanuel Macron nicht allzu sehr. Da überrascht es nicht, dass Präsident Macron gestern öffentlich von einer dritten Amtszeit sinniert (etwas, das man Donald Trump hierzulande äußerst übelnahm) und dazu auch bereit wäre, mit einem Parteifreund für ein paar Jahre die Ämter zu tauschen (wie wir es aus dem Kreml kennen).

Emmanuel Macron mit hochrangigen Militärvertretern am 14. Juli 2025.

Wie aber steht es um unser politisch liebstes Nachbarland und, damit verbunden, die viel beschworene deutsch-französische Freundschaft, die so träumerisch als Motor der Europäischen Union bezeichnet wird? Wie sehr können wir uns auf den wichtigsten kontinentalen Partner verlassen, und wie tragfähig ist diese strategische Beziehung für die Zukunft?

Die beeindruckende Militärparade auf den Champs-Élysées täuscht nur für einen Augenblick darüber hinweg, dass Frankreichs Staatsschulden außer Kontrolle geraten: Inzwischen übersteigt allein der Zinsdienst die Verteidigungsausgaben Frankreichs deutlich und in Milliardenhöhe. Obwohl Frankreich institutionell noch imponiert – als UN-Veto-Macht steht es auf einer Stufe mit den USA und China, verfügt über Nuklearwaffen und die größten konventionellen Streitkräfte der EU – ist es außenpolitisch zunehmend erfolglos. In mancher Hinsicht ist das dem allgemein schleichenden diplomatischen und wirtschaftlichen Bedeutungsverlust Westeuropas zuzuordnen, doch viele der Probleme sind hausgemacht.

Die Militärparade auf den Champs-Élysées.

Aus deutscher Sicht besorgniserregend ist jedoch in erster Linie die Unzuverlässigkeit der französischen Außen- und Verteidigungspolitik, insbesondere unter der Ägide des Emmanuel Macron. Jener verfolgt in beinahe jeder Domäne einen sich immer wieder ändernden, auf jeden Fall aber meist konträren Kurs zu den wenigen formulierten deutschen Interessen.

Die Liste dieser Divergenzen ist schier endlos. Sie beginnt damit, dass Paris zu den größten und freimütigsten Wortführern der ukrainischen Verteidigung zählt, substanziell jedoch vergleichsweise wenig zur finanziellen und militärischen Unterstützung Kiews beiträgt. Macron changiert einerseits zwischen eindringlichen Warnungen vor Russland (von einer “Zeit der Raubtiere” ist die Rede) und geradezu flehentlichen, letztlich unbeantworteten Anrufversuchen bei Wladimir Putin. In der Israel- und der Iran-Politik vertreten Paris und Berlin derart unterschiedliche Dogmen, dass kaum noch eine mögliche Schnittmenge auszumachen ist. Auch gegenüber dem NATO-Partner Amerika könnte der Ansatz unterschiedlicher nicht sein: Während Macron mit seiner Aussage, die NATO sei “hirntot”, im Gedächtnis bleibt, äußerte Friedrich Merz vor wenigen Tagen prustend, das Bündnis “lebte und atmete”. Paris setzt im transatlantischen Zollstreit auf demonstrative Stärke und virilen Gestus, Deutschland im Verbund mit Italien eher auf Charme und Kompromissangebote. Dass man in allerlei Fragen die Struktur und Finanzierung der Europäischen Union betreffend ohnehin uneins ist, einmal ausgeklammert, bahnt sich das nächste große Zerwürfnis bei der Rüstungskooperation an. Weil Frankreich sich bei der geplanten Entwicklung des ursprünglich gemeinsamen europäischen Kampfjets aus industriepolitischen Gründen wohl erneut absentierten wird, erinnert es derart an das vor Jahren gescheiterte Eurofighter-Projekt, dass man in Europa ungläubig einen prüfenden Blick auf das Datum wirft. Nur, um ganz sicher zu gehen. Wer von Krieg und Frieden nicht so viel versteht, der kann zum Verständnis einmal hilfsweise zur zivilen Kernkraftnutzung, zur E-Mobilität, zur Rente oder zu den Eurobonds recherchieren.

Doch den Franzosen ist kein Vorwurf zu machen. Frankreich hat seit Jahrhunderten nie daran zweifeln lassen, dass es sich in Europa Gehör verschaffen und seine Interessen vertreten will. Andere, wie die USA, Großbritannien oder Italien pflegen in dieser Hinsicht einen realistischeren Blick auf die Dinge. Doch die deutsche Öffentlichkeit, dem Himmel sei Dank vom absurden Schrecken der Erbfeindschaft befreit, geht eine Prise zu blauäugig mit der Idee der historisch jungen Erbfreundschaft um. Der deutsch-französische Motor droht zu einer toxischen Beziehung zu werden, in der einer der Partner blind vor Liebe ist.

Wie es der Zufall will, jährt sich in diesen Tagen nicht nur der Sturm auf die Bastille am 14. Juli, sondern auch die Gründung der “Confédération du Rhin”, des napoleonischen Rheinbundes. Ausgerechnet dieses Produkt der Revolution ist die vorläufige Erfüllung eines geopolitischen Versailler Rezeptes: Ein Frankreich bis zum Rhein, und ein Spiegel der französischen Logik rechts des Rheines. Hierbei handelt es sich um die Blaupause einer politischen Union unter französischer Führung. Dem entgegen steht historisch die deutsche Idee einer Zollunion mitteleuropäischer Prägung. Aspekte beider Überlegungen sind, vereinfacht ausgedrückt, heute mal auf ausgleichende, mal auf lähmende Weise in der Europäischen Union verwirklicht. Dieser Umstand führt nicht nur zu anhaltenden Konfliktlinien zwischen Paris und Berlin, sondern verhindert auch, dass aus der EU so etwas wie ein strategischer Akteur werden kann.

Ein Bildnis der „Confédération du Rhin“, des napoleonischen Rheinbundes.

Wirft man einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der Europäischen Union, dann zeigt sich in diesem Lichte recht deutlich, wie sehr es sich bei der “deutsch-französischen Freundschaft” um einen geostrategischen Plan B des Élysée-Palastes handelt. Noch in den 1950er Jahren versucht General de Gaulle, die NATO dazu zu bewegen, auch französische militärische Interessen global zu vertreten und sich nicht nur auf den Nordatlantik und die Sowjetunion zu beschränken. Paris denkt dabei an seine Überseegebiete, an seine Territorien in Afrika, blutige Kolonialkriege in Algerien und Vietnam. Dass die junge Bundesrepublik damals überhaupt eine Bundeswehr aufstellt und der NATO beitritt, ist das Ergebnis der französischen Absage an die Einrichtung einer gleichberechtigten europäischen Armee.

Erst als Briten und Amerikaner unterstreichen, dass sie für diesen Kurs nicht zu haben sind – und de Gaulle die NATO-Truppen buchstäblich aus dem Land wirft, nach Belgien – wendet sich der Élysée Westdeutschland zu. Für einige Jahrzehnte sind militärisches und wirtschaftliches strikt getrennt, die Vorläufer der EU sind vorwiegend ökonomische Projekte. Frankreich wird schließlich erst 2009 wieder vollständig zur NATO zurückkehren. Als Anfang der 1990er deutlich wird, dass die deutsche Wiedervereinigung Frankreich wirtschaftlich und militärisch auf den zweiten Rang verweisen würde, besteht Paris auf der Währungsunion. Dem Preis für die Einheit folgen dann auch die Maastricht-Verträge, ein weiterer Schritt in Richtung der politischen Vereinigung nach französischen Vorstellungen.

In den 1950er Jahren versucht General de Gaulle, die NATO dazu zu bewegen, auch französische militärische Interessen global zu vertreten.

An dieser Konstellation hat sich auch in den letzten Jahren nichts geändert. Frankreich verfolgt seine Interessen auf der Weltbühne ungeachtet der zunehmenden Instabilität im Inland, insbesondere im Bereich des Rüstungsexportes und seines Engagements in Afrika. Für die deutsch-französische Freundschaft haben in Mali fünf Kameraden der Bundeswehr ihr Leben gelassen. Die Heimat der Revolution legt darüber hinaus eine bemerkenswerte ideelle Flexibilität an den Tag, wenn es um politische Kooperationen in Afrika geht. So war Frankreich die treibende Kraft hinter dem Militäreinsatz in Libyen gegen Muammar al-Ghaddafi und gefällt sich heute in der Rolle des Kritikers jenes Einsatzes.

Passend dazu weiß Paris die Entfremdung zwischen Deutschland und den USA für sich zu nutzen und scharrt mit den Hufen. Dass das Weiße Haus mit einem teilweisen Abzug aus Mitteleuropa kokettiert, ist für den Élysée eine gute Gelegenheit: Schnell war man bereit, die Deutschen unter den eigenen Nuklearschirm schlüpfen zu lassen. Die Entscheidung über den Einsatz behält man sich allerdings vor, auch, wenn der reiche Nachbar für die dringend benötigte Instandhaltung des maroden und vergleichsweise kleinen Arsenals einen Obolus zahlen soll. Wirklich? Hier geht es nicht darum, französische Atomwaffen unter das Kommando europäischer Politiker zu stellen, sondern darum, europäische Politiker unter das Kommando französischer Atomwaffen zu stellen.

Und doch: Es ist alles andere als entsetzlich, dass Frankreich eine derart eindeutige Geopolitik betreibt. In vielerlei Hinsicht ist dieser Umstand nicht nur eine historische Selbstverständlichkeit, sondern sogar respektabel: Paris ist geopolitisch sattelfest. Problematisch ist nur die Haltung der deutschen Öffentlichkeit: Eine Bevölkerung, der jedwede Begrifflichkeiten der internationalen Staatskunst abhandengekommen sind, und die - verständlicherweise – allzu bereit ist, nach Jahrhunderten der Feindschaft an die Unbedingtheit der europäischen Vereinigung zu glauben.

Frankreich betreibt eine eigene Geopolitik.

Eine starke Partnerschaft mit Frankreich ist im deutschen Interesse und eine historische Chance. Doch gerade eisern europäisch gesinnte Bürger in Deutschland könnten sich, sobald in Paris einmal eine Figur des Rassemblement National regiert, an das aktuelle Verhältnis zu den USA erinnert fühlen. Souverän ist, wer gute Beziehungen auf Augenhöhe gestalten kann. Daher sollte die Bundesrepublik auch zweihundert geschenkten Gäulen aufmerksam ins Maul schauen. Dann kann man mit denen auch Pferde stehlen.

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