
In Düsseldorf soll kommende Woche das Urteil gegen Issa al Hasan fallen. Der 27-jährige Syrer tötete am 23. August 2024 auf dem Solinger „Fest der Vielfalt“ drei Personen und verletzte acht weitere mit kaum zu übertreffender Heimtücke, wie einer der Nebenklagevertreter nun penibel festhielt. Heimtücke gehört zum Mord dazu, aber im Grunde muss man sich kaum noch damit aufhalten. Die Schwere der Tat liegt in einem anderen Bereich, einer anderen Dimension.
Bei zwei von ihm angegriffenen Personen ritzte der Täter nur ihre Kleidung auf. Wenn so etwas auf der Straße oder am Bahnhof passierte, wäre es vielleicht nicht einmal eine Anzeige wert. Hier wird es als Mordversuch gewertet. Und in der Tat: Al Hasan stach immer wieder gezielt auf den Halsbereich ein. In einem Fall erwies sich eine dicke Kapuze als lebensrettend. Dass nicht noch mehr starben, liegt wohl nur an der Zivilcourage eines Anwesenden, der dem Attentäter Widerstand entgegensetzte und ihn so in die Flucht trieb.
Am Tag nach dem Attentat wurde al Hasan mit großem Aufwand festgenommen und per Hubschrauber nach Karlsruhe überstellt. Einen weiteren Tag später übernahm die Bundesanwaltschaft das Verfahren von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, was vor allem eine Aussage über den klar terroristischen Charakter der Tat ist. Der Prozess findet im Hochsicherheitssaal des Düsseldorfer Oberlandesgerichts statt.
In dieser Woche hat die Staatsanwältin Antje Groenewald ihr Plädoyer gehalten. Sie wirft dem Angeklagten dreifachen Mord, zehnfachen versuchten Mord und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Und man fragt sich unwillkürlich: Ist das schon die ganze Tatbeschreibung? Im Grunde gehört auch dazu, dass al Hasans Tat dazu angetan war, Menschen zu Tode zu ängstigen und dass er damit ein Programm verficht, das im eklatanten Gegensatz zu unserem Grundgesetz und unseren Gebräuchen steht.
Lange hat sich der Beschuldigte, der sich angeblich selbst gestellt hatte, hinter Ausreden versteckt: Er sei das Opfer der Manipulationen seines Telegram-Chatpartners, eines IS-Mitglieds, gewesen. Erst kurz vor Ende der Beweisaufnahme zeigte er laut Staatsanwältin Groenewald „sein wahres Gesicht“, das „des Dschihadisten und Islamisten“.
Auch das vollumfängliche Schuldeingeständnis, das sein Anwalt am ersten Prozesstag verkündete, war sicher reine Prozesstaktik. „Ich habe schwere Schuld auf mich geladen“, verlas der Verteidiger die (angebliche) Erklärung seines Mandanten. Er verdiene und erwarte für seine Tat eine lebenslange Freiheitsstrafe. Letztes Jahr hatte al Hasan einem Psychiater seine wirklichen Erwartungen zu seiner Behandlung durch den deutschen Staat mitgeteilt: Er hielt es für angemessen, „zwei bis drei Jahre beobachtet zu werden“, mit einer Gefängnisstrafe rechnete er nicht.
Viele sind nun erstaunt, dass der Angeklagte überhaupt als voll schuldfähig gilt. Von vielen ‚kleineren‘ Fällen ist bekannt, dass die Beschuldigten auch wegen eines leichten mentalen Ungleichgewichts, das man ihnen am Tag der Tat zutraut, als nicht schuldfähig eingestuft wurden – eine bequeme Version auch für die meisten Medien. Denn dann muss man sich nicht mehr mit den wirklichen Motiven und Gründen einer Tat beschäftigen. Aber das missachtet nicht nur die Opfer, sondern auch die Taten. Eine Auseinandersetzung mit kriminellen Taten von einiger Bedeutung ist so nicht möglich.
Nur in diesem Fall funktionierte dieser Ausblendungsmechanismus nicht mehr. Vielleicht lag es am Wahlkampf, in dem die CDU plötzlich das Thema innere Sicherheit für sich wiederfand. So bekommt Deutschland nun einen schuldfähigen dschihadistischen Terroristen „geschenkt“ – wird man die Gelegenheit zur Auseinandersetzung nutzen?
Staatsanwältin Groenewald sieht den Anschlag als einen der schwersten der vergangenen Jahre an. Das Motiv des Täters sei „politisch-ideologischer Natur“ gewesen, daneben erkennt Groenewald ein Element der „Rache“ oder „Vergeltung“, für das israelische Vorgehen in Gaza oder „Massaker an Muslimen in mehreren Ländern“ – das sind offenbar Zitate aus dem Mund des Angeklagten oder seines Anwalts. Aber sie haben offenbar gar nichts mit der Solinger Tat zu tun, und die Staatsanwaltschaft hat das hoffentlich durchschaut.
Einer der Opferanwälte scheint die wirkliche Tragweite der Tat erkannt zu haben. Er sagte: „Meine Mandanten wurden angegriffen, weil sie getanzt haben.“ Die Menschen in Deutschland erwarteten eine „klare Antwort des Rechtsstaates“. Oder sie wurden angegriffen, weil sie Musik hörten, oder weil sie sich eine gewisse „Vielfalt“ (so scheinhaft die auch immer sein mag) erhalten wollen, so könnte man fortsetzen.
Die Staatsanwaltschaft fordert nun die Höchststrafe, das ist lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Eine harte Strafe, ja eine exemplarisch harte Strafe, ist, was jeder vernünftige Mensch nach einer solchen Tat erwarten wird. Aber wird sie ähnliche Taten in Zukunft abschrecken? Wohl nicht.
Auch Groenewald ist in Bezug auf al Hasan nicht dieser Meinung: „Er stuft die Tat nicht als Fehler ein“ und würde sie wieder begehen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Laut einem psychiatrischen Gutachter ist al Hasan von Gewalt fasziniert, hat keine Empathie – jedenfalls nicht für Nicht-Muslime – und stellt sich selbst als Opfer dar. Das mögen Gemeinplätze sein, aber von wie vielen potentiellen Tätern genau dieser Sorte müssen wir in Deutschland inzwischen ausgehen?
Eins ist klar: Die überlebenden Opfer leben nicht nur mit den Erinnerungen an die Tat weiter, sondern teils auch mit starken körperlichen Einschränkungen durch die erlittenen Verletzungen. Auf besondere Weise erschütternd ist der Fall der Lea Varoquier, die vom Täter quer durch den Hals gestochen wurde (samt Austrittswunde), als sie mit geschlossenen Augen die Musik genoss. Varoquier gehört zu denen, die die Tat bis heute relativieren und der Meinung sind, ähnliche Verbrechen würden auch von Deutschen begangen.
Man erinnert sich an den Titel von Charlie Hebdo kurz nach dem Attentat auf die Zeitungsredaktion. Darauf hieß es: „Alles ist vergeben“. Man muss das wohl als eine bestimmte Art des Umgangs mit extremer, tödlicher Gewalt ansehen. Die Opfer verbinden sich mit den Tätern, sind sozusagen deren gehorsame Untertanen geworden. Man nennt es wohl Stockholm-Syndrom. Aber das nur am Rande.
Bald wird in Magdeburg der nächste Großprozess gegen einen weiteren Terrortäter folgen, auch wenn die Staatsanwaltschaften sich diese Sicht nicht zu eigen gemacht haben. Die Ermittlungen verblieben bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes, die den Anschlag als „Amokfahrt aus persönlicher Frustration“ sieht, nicht als Terror. Dabei sprechen auch in Taleb A.s Biographie viele Dinge für Politik und Ideologie als Ursachen. Allein die Annäherung an andere Terrortaten durch das Tatmittel Auto verweist in den Bereich des terroristischen Dschihadismus, dem Taleb allerdings nicht anhing.
In Magdeburg baut man nun eine eigene Gerichtshalle am Jerichower Platz, die hoffentlich alle Sicherheitsauflagen erfüllen wird und Platz für die vielen Opfer beziehungsweise ihre Angehörigen bietet. Der Prozessbeginn wird Mitte Oktober vermutet.
Immerhin gilt auch der Täter von Magdeburg jetzt als schuldfähig, wie die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg im Februar bekanntgab: Der Psychiater Taleb A. soll den Anschlag mit sechs Todesopfern und hunderten Verletzten vorsätzlich geplant haben und „fähig gewesen sein, das Auto zu steuern“, erklärte ein Sprecher. Ist das schon die Wende in der Art, wie deutsche Gerichte solche Taten bewerten? Verabschiedet man sich vom Narrativ der psychischen Störung, die zumal im Fall von Zuwanderern oft genug kriminelles Verhalten zugedeckt hat?
Aber ganz ist das Narrativ noch nicht weg aus der Diskussion. Beim Mordfall der 16-jährigen Liana in Friedland tut sich die linksextreme Amadeu-Antonio-Stiftung mit einem Tweet hervor, in dem sie die „paranoide Schizophrenie“ eines verurteilten Straftäters in den Vordergrund rückt. Der Iraker Muhammad A. hätte demnach einer Therapie bedurft, damit er nicht gewalttätig und kriminell wird. Das ist echte „linke Logik“, die anscheinend noch nicht vom Aussterben bedroht ist, sondern sogar staatlich finanziert wird. Denn die Amadeu-Antonio-Stiftung gäbe es wohl gar nicht ohne den Fördertopf „Demokratie leben“ und mutmaßlich noch andere Bundesmittel. Und Familienministerin Karin Prien (CDU) hat die Mittel für „NGOs“ gerade um zehn Millionen Euro erhöht.