
Der Auftritt der ARD mit Alice Weidel im Sommerinterview gerät immer stärker zum medienpolitischen Offenbarungseid. Nun befeuert ausgerechnet Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit (ZPS) mit eigenen Aussagen die Spekulationen um eine mögliche Absprache zwischen Aktivisten, Polizei und ARD. In einem Podcast behauptet der selbsternannte Aktionskünstler, man habe den „Fernsehmoment des Jahres“ gemeinsam mit ARD und AfD geschaffen. Weder im Podcast noch von Seiten der ARD oder Polizei wurden diese Aussagen bislang kommentiert oder dementiert.
Die Protestaktion am Spreeufer, bei der laute Musik, Sprechchöre und Trillerpfeifen das Interview massiv störten, wurde laut Ruch nur durch „enge Absprache mit der Berliner Polizei“ möglich. Details wollte er nicht nennen, aber seine Formulierung legt nahe, dass den Aktivisten gezielt Zugang zur unmittelbaren Nähe des Aufzeichnungsortes verschafft wurde. Die Berliner Polizei wiederum hatte zunächst mitgeteilt, von der Aktion nichts gewusst zu haben, dann aber zwei Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet – wegen einer unangemeldeten Versammlung.
Wie die Demonstranten von Zeitpunkt und Ort der Interviewaufzeichnung erfuhren, bleibt ebenfalls weiter ungeklärt. Ruch spricht nur von einem „Betriebsgeheimnis“. Die einzige offizielle Uhrzeit, die veröffentlicht wurde, war der TV-Ausstrahlungstermin um 18 Uhr. Tatsächlich wurde das Interview aber deutlich früher aufgezeichnet. Die entscheidende Frage, wie die Demonstranten dennoch pünktlich vor Ort sein konnten, wurde im Podcast nicht gestellt.
Brisant ist auch Ruchs inhaltliche Rahmung der Aktion: Er beschreibt sie nicht als Störung, sondern als „Verschönerung“ – und vergleicht sie offen mit dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. Kritische Stimmen, die die Aktion für kontraproduktiv halten, weist er zurück. Wer behaupte, seine Aktion nütze der AfD, solle sich „erklären“. Ruch bezeichnet sich selbst als „Kenner“ der Partei.
Auf Nachfrage, wie er mit einem Bus direkt gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio halten konnte, verweist er erneut auf die „enge Absprache mit der Berliner Polizei“. Auch hier unterbleiben im Gespräch kritische Nachfragen. Dabei kursieren im Netz Videos, die zeigen, wie Polizeikräfte während der Störung tatenlos neben den Aktivisten stehen. ARD und Polizei haben bisher lediglich betont, dass ihnen die Protestaktion bis zur Ausstrahlung nicht bekannt gewesen sei. Dem gegenüber steht Ruchs Darstellung, wonach die Aktion ohne Unterstützung nicht möglich gewesen wäre. Eine journalistische Aufarbeitung dieser Diskrepanz fehlt bislang.
Die eigentliche Sendung wurde inhaltlich von der gesamten Inszenierung fast komplett überschattet. Moderator Markus Preiß unterbrach Alice Weidel regelmäßig nach wenigen Sekunden, während CDU-Chef Merz im Interview eine Woche zuvor durchgängig ausreden durfte. Auch die Frageauswahl unterschied sich deutlich in Richtung persönlicher Angriffe und Generalverdacht.
Besonders irritierend bleibt die technische Umsetzung: Während externe Tontechniker auf Social Media demonstrierten, wie sich die Hintergrundgeräusche leicht herausfiltern ließen, strahlte die ARD eine Fassung mit voller Störlautstärke aus. Zwischen Aufzeichnung und Sendung lagen mehrere Stunden – genug Zeit für eine Nachbearbeitung. Dass diese unterlassen wurde, lässt sich nur sehr, sehr schwer mit bloßer Inkompetenz erklären.
Hinzu kommt: Kameraführung und Regieentscheidung deuteten darauf hin, dass die Protestgruppe gezielt in Szene gesetzt wurde. Teleobjektive rückten die kleine Gruppe optisch nah an das Interview heran. Die Bildregie schnitt mehrfach auf die Demonstranten – auch mitten in Weidels Antworten. Man stelle sich eine auch nur halbwegs ähnliche Interviewführung und Inszenierung einmal mit der Führungsspitze der Grünen vor, flankiert von Protestgruppen in Super-Surroundsound.
Auch die Wahl des Interviewdatums sorgte für Kritik. Der 20. Juli ist in Deutschland offizieller Gedenktag für den militärischen Widerstand gegen Hitler. Dass ausgerechnet an diesem Tag das Sommerinterview mit der AfD-Chefin aufgezeichnet wurde, wird von vielen als gezielte Provokation verstanden. Die Reaktion der ARD beschränkte sich bislang auf vage Ankündigungen. Man werde „aus der Sendung Schlüsse ziehen“ und „in Zukunft Vorkehrungen treffen“. Gleichzeitig goutierten einzelne ARD-Redakteure die Protestaktion offen oder spielten ihre Bedeutung herunter – was in sozialen Medien als parteipolitische Parteinahme gewertet wurde.
Ob die Aussagen Ruchs über die Zusammenarbeit mit Polizei und ARD auf Fakten beruhen oder reine Provokation sind, bleibt vorerst offen. Doch selbst wenn sie überzogen wären – die bloße Möglichkeit, dass ein Aktivist mit solcher Selbstsicherheit öffentlich behaupten kann, Polizei und öffentlich-rechtlicher Rundfunk hätten kooperiert, beschädigt das ohnehin schon kaum mehr vorhandene Vertrauen in die Neutralität beider Institutionen nur noch einmal weiter.
Ein transparenter Umgang mit den Vorwürfen, eine lückenlose Aufklärung und eine kritische journalistische Selbstreflexion wären jetzt nötig. Doch danach sieht es derzeit nicht aus – weder bei der Polizei noch bei der ARD.