
Was im Wahlkampf ausgeschlossen war, erscheint für CDU und CSU schon wenige Tage nach der Bundestagswahl denkbar: Hunderte Milliarden Euro neuer Schulden. Merz ist zwar gegen eine Last-Minute-Reform der Schuldenbremse, zeigt sich aber offen für ein neues, schuldenfinanziertes „Sondervermögen“, um die weitere Ertüchtigung der Bundeswehr zu finanzieren. Denn groß ist die Sorge, dass sich die USA unter Präsident Trump gänzlich sicherheitspolitisch aus Europa zurückziehen. Von bis zu 200 Milliarden Euro ist die Rede.
Noch im alten, bereits abgewählten Bundestag soll die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit gefunden werden, um die Verfassungsänderung durchzuführen. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock hatten eine Last-Minute-Reform der Schuldenbremse gefordert – aus staatspolitischer Verantwortung und um einer möglichen Blockade aus dem Weg zu gehen, wie es heißt.
Dabei könnte bei genauerem Hinsehen erneut die sogenannten „Brandmauer“ der Treiber der Debatte sein.
Denn die AfD ist gar nicht gegen die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr – im Gegenteil. Bei CDU/CSU, SPD und Grünen besteht jedoch die Furcht, die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit nur gemeinsam mit der AfD beschließen zu können.
Habeck und Baerbock hatten eine Reform der Schuldenbremse noch mit dem alten Bundestag ins Spiel gebracht.
„Sperrminorität“ lautet das sperrige Wort, das seit Tagen durch das politische Berlin geistert und besagte Debatte ausgelöst hat. Es beschreibt die Tatsache, dass im neu gewählten 21. Deutschen Bundestag AfD und Linke gemeinsam mehr als ein Drittel der Sitze innehaben und Verfassungsänderungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist, blockieren könnten.
Eine Reform der Schuldenbremse lehnt die AfD etwa konsequent ab, die Linke ist sehr offen für eine Reform der Schuldenbremse, jedoch nur zur Ausweitung des Sozialstaates, Schulden für die Ausrüstung der Bundeswehr sind mit der SED-Nachfolgepartei nicht zu machen. 420 der 630 Stimmen wären nötig, CDU/CSU, SPD und Grüne kommen im neuen Deutschen Bundestag jedoch nur auf 413 Stimmen – 7 weitere fehlten.
Entscheidend mit Blick auf die AfD ist jedoch: Die Partei von Alice Weidel ist nicht grundsätzlich gegen eine auskömmliche Finanzierung und Ausstattung der Bundeswehr. Weidel selbst hatte im Wahlkampf davon gesprochen, die Rüstungsausgaben auf bis zu 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöhen zu wollen, wenn der Bedarf gegeben sei. Im Wahlprogramm der AfD steht wörtlich: „Damit dem Hauptauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung wieder Rechnung getragen werden kann, muss unsere Bundeswehr nicht nur finanziell gut ausgestattet sein, sondern ihr muss auch die Einsatzbereitschaft insbesondere bei Material und Personal zurückgegeben werden.“
Bemerkenswert: 33 der 80 AfD-Abgeordneten im alten Bundestag hatten 2022 für das 100 Milliarden Euro schwere „Sondervermögen“ für die Bundeswehr gestimmt, das nach dem Ausbruch des Ukrainekrieges beschlossen worden war. 36 AfD-Abgeordnete stimmten dagegen, sechs enthielten sich. Die AfD hatte den Fraktionszwang bei diesem Thema aufgehoben.
So hatte die AfD in der Frage um das „Sondervermögen“ Bundeswehr abgestimmt.
Im neuen Bundestag hat die AfD 152 Mandate. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass sich die nötigen 21 Stimmen für die Zwei-Drittel-Mehrheit in den neuen Reihen der rechten Partei finden würden.
Dem stünde jedoch die Logik der sogenannten „Brandmauer“ entgegen, wonach Gesetze und Beschlüsse nicht erst durch Stimmen der AfD die nötige Mehrheit erreichen dürften.
Deshalb wird nun darüber gesprochen, noch im alten, abgewählten Bundestag abzustimmen. Verfassungsrechtlich wäre dieses Vorgehen möglich, jedoch löst die Symbolik, plötzlich die Verfassung zu ändern, weil ein Wahlergebnis die Handlungsoptionen möglicherweise einschränkt, heftige Kritik aus:
Der neue Finanzminister Jörg Kukies (SPD) sprach etwa von einem „fragwürdigen politischen Signal, wenn man jetzt mit einer alten Mehrheit noch Verfassungsänderungen machen würde“. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, sie könne sich nicht vorstellen, dass die FDP-Fraktion, die von den Wählern am Sonntag abgewählt worden sei, „zwischen Bundestagstür und Plenumsangel und kurz bevor sich der neue Bundestag konstituiert, eine Grundgesetzänderung mal eben so durchwinkt“.
Markus Söder zeigt sich ziemlich offen für eine Abstimmung im alten Bundestag.
Bei der Union ist die Offenheit dahingehend deutlich größer. CSU-Chef Markus Söder sagte: „Ich glaube, dass es gar kein schlechtes Signal wäre, wenn Deutschland – bevor der ganze normale Ablauf der Regierungsbildung stattfindet – vielleicht sogar die Chance nutzt, ein international wuchtiges Signal zu setzen.“
Darauf angesprochen, ob CDU-Chef Friedrich Merz es ausschließen könne, noch mit dem alten Bundestag neue Schulden für die Bundeswehr beschließen zu wollen, sagte der CDU-Chef am Montag weder „Ja“, noch „Nein“. Merz betonte, wie handlungsfähig der Bundestag zu jeder Zeit sei: „Der Deutsche Bundestag ist ohne jede Unterbrechung, auch nach Wahlen, handlungsfähig. Ich erinnere mich, dass es im Deutschen Bundestag auch Bundeswehreinsatz-Beschlüsse gegeben hat nach einer Wahl. Wir können entscheiden.“
Ob darüber abgestimmt werden soll, wolle Merz jedoch zuerst mit den Parteien besprechen, die noch im alten Bundestag vertreten sind, er nannte SPD, Grüne und FDP. Am Dienstag legte Merz etwas zurückhaltender nach: „Ich lese das auch, dass über das Sondervermögen bereits spekuliert wird. Wir sprechen miteinander, aber es ist viel zu früh, jetzt schon etwas zu sagen. Ich sehe es im Augenblick als schwierig an.“
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