
„Armin Laschet wird Kanzler“, sangen sie im September 2021 beim CSU-Parteitag für den damaligen Kanzlerkandidaten der Union und glaubten selbst nicht dran. Diesmal wummern die Bässe, der Saal steht applaudierend, und die tatsächlich greifbare Machtperspektive in den Umfragen lässt die alten Händel zwischen CDU und CSU vergessen.
CDU-Chef Friedrich Merz ist zum Vorstellungsgespräch als Kanzlerkandidat zum CSU-Parteitag nach Augsburg in die Messehalle gekommen und ringt gleich zu Beginn sichtlich um Fassung. Auf 19 Prozent sei man nach der Wahlniederlage 2021 abgestürzt. Jetzt sind „wir sind stärker als SPD, FDP und Grüne zusammen!“
Merz badet im Machtwunsch der Delegierten und einer Harmonie zwischen den Schwesterparteien. „Wir haben zu einem neuen Miteinander gefunden von CDU und CSU… Lieber Markus, herzlichen Dank dafür, dass es so geworden ist, wie es ist!“
Dass es gelungen ist, seine Ausrufung als Kanzlerkandidat der Union 14 Tage lang geheim zu halten, erfüllt Merz sichtlich mit Genugtuung. Ein sportlicher Punktsieg gegen die geschwätzige Ampel-Republik und eine Art Triumph über die Journalisten, die ihnen das nicht zugetraut haben.
Söder und Merz: ein Herz und eine Seele
Verschwiegenheit ist für Merz eine Grundtugend der Politik: „Wir brauchen endlich wieder eine Regierung, die aufhört, öffentlich zu streiten!“ Immerhin eine Kontinuität zu Alt-Kanzlerin Angela Merkel, die es ebenfalls nicht schätzte, wenn zu viel geplaudert wurde.
Der Saal zumindest ist still, als Merz ans Rednerpult tritt. Nur die Lüftung rauscht leise im Hintergrund. Gespannte Aufmerksamkeit, ob der neue Spitzenmann denn auch all die Schwingungen wird aufnehmen können, die bei der CSU im Schwange sind. Um es kurz zu machen: Er kann. Immer wieder gibt es Szeneapplaus, der – anders als bei Laschet – nicht von bestellten Claqueuren angeklatscht wird.
„Die nächste Bundesregierung muss nicht nur halten, was sie verspricht, sie muss aus Verlässlichkeit und Beständigkeit bieten und Vertrauen zurückgewinnen“, sagt Merz. „Menschen, Familien, Unternehmen müssen sich auf uns verlassen können.“ Er weiß, dass die Union viel Vertrauen verloren hat und es zurückgewinnen muss. Es ist aber auch die alte Strategie, die Größe der Aufgabe rhetorisch auszumalen, um das Selbstbewusstsein der eigenen Mannschaft zu provozieren, dass nur sie, die Union Deutschland noch retten können: „Es wird ein anstrengender Weg. Aber am Ende dieses Weges steht ein besseres Land. Ich will, dass wir am Ende dieses Weges wieder sagen können: Wir sind stolz auf Deutschland“, sagt er.
Immer wieder ballt Merz die Fäuste, seziert mit gespannten Handkannten die weltweiten Bedrohungen der Freiheit, senkt die Stimme zu leiser Intensität und Eindringlichkeit. Anders als Söder am Vortag, der immer wieder auch Comedy-Elemente in seine Reden flicht, hat der CDU-Chef eine andere Ernsthaftigkeit, als probe er kanzlerable Gravität.
Merz wurde von den CSU-Delegierten bejubelt.
Die Freiheit sei weltweit unter Druck, Protektionismus mache sich breit, gefährde den Wohlstand, und der Klimawandel „wird eine der großen Herausforderungen unserer Zeit bleiben.“ Was andere Kanzler oft zum Ende ihrer Amtszeit entwickeln, ist bei Merz schon vorher da: der historische Blick auf sich und die Zeit. „Wir werden wahrscheinlich erst aus der Rückschau in einigen Jahren verstehen, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Es sind tektonische Verschiebungen der Machtzentren.“
Selbst beim latent schwelenden Dissens über mögliche Koalitionen nach einer gewonnenen Bundestagswahl geht Merz maximal auf die CSU zu: „Mit diesen Grünen, so wie sie sich heute darstellen, ist eine Zusammenarbeit nicht denkbar und möglich. Mit der SPD wird es auch nicht gemütlich. Lassen Sie uns darauf konzentrieren, den Leuten zu sagen, was wir wollen.“
Einen interessanten Fingerzeig hat Merz für die CDU-Landesverbände im Osten parat, die derzeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verhandeln. Mit der AfD (er nennt sie „Abstieg für Deutschland“) werde es keine Zusammenarbeit geben. „Wir würden die Seele der Union verkaufen. Das gilt auch für das so genannte BSW… Das ist Sozialismus in Chanel. Das machen wir nicht mit einer solchen Partei.“ Söder hatte einen Tag zuvor mit Blick auf Wagenknecht erklärt: „Manchmal trägt der Teufel Prada“.
Entschieden wurde Merz beim Thema Migration. „Dass wir eine überproportionale Kriminalität haben bei denen, die seit zehn Jahren zu uns gekommen sind, ist eine Tatsache. Verschließen wir die Augen nicht davor, dass die Zahl der jungen Männer, die zu uns gekommen sind, die allergrößten Probleme macht. Und über diese Probleme müssen wir offen sprechen.
Ohne Merkel zu nennen, wickelt er einmal mehr deren Migrationspolitik ab: „Wir haben das korrigiert. Wir haben heute eine andere Meinung als noch vor Jahren. Wir wissen einzuschätzen, welche Probleme damit einhergehen.“ Und zur Politik der Ampel: „Eines fehlt völlig: die Zurückweisung an den Grenzen. Ich möchte keinen Migrations- und Einwanderungswahlkampf führen. Aber wenn die Koalition immer wieder auf der Bremse steht, dann werden wir es aufgreifen.“
Söder und Merz gingen Sahra Wagenknecht an
Besonders energisch wurde der CDU-Chef aber noch bei einem anderen Punkt: „Kein jüdisches Haus kommt ohne Schutz rund um die Uhr aus. Es ist beschämend für unser Land! Das ist inakzeptabel! Das werden wir nicht hinnehmen. Wir finden uns damit nicht ab, dass Juden wieder Angst haben müssen, hier zu leben. Das ist eine Schande, was derzeit hier stattfindet.“
Und: „Das Gleiche gilt für Mädchen und Frauen, die sich nicht mehr in die Innenstädte trauen. Was ist denn hier eigentlich los! Das müssen wir beenden! Das akzeptieren wir nicht, dass es so in Deutschland zugeht.“ Spätestens hier hatte Merz den Saal auf seiner Seite. Ein fast schon erleichternder Beifall brach sich immer wieder Bahn. Es ist ein Gleichklang zwischen CDU und CSU, den sie sich an der Basis wünschen, weil er wieder ins Kanzleramt führen könnte.
Bei der Idee einer allgemeinen Dienstpflicht trifft er die Seele der Christsozialen ebenso wie beim Wettern gegen die Berliner Blase, die von jeher ein Lieblingsfeindbild im Bayerischen sind. „Wir werden in diesem Zusammenhang auch den Staatsapparat verkleinern müssen. Die wir in den Berliner Amtsstuben sehen einschließlich dieser ganzen Beauftragten… (Jubel) Diese Leute versprechen uns die Lösung von Problemen, die wir ohne sie gar nicht hätten! Die Einzige, die wir brauchen, ist die Wehrbeauftragte.“
Am Ende hat Merz den Saal auf seiner Seite. „Nicht die Blase in Berlin ist unser Referenzpunkt, sondern die ganz normale Familie auf dem Land“, ruft er in den Saal. Söder hätte es nicht besser sagen können. Aber: „Wir spielen niemanden gegeneinander aus, der in diesem Land fleißig ist. Machen wir ein Angebot an die ganze Gesellschaft.“ Eine fein abgestimmte Mischung aus populären Anklängen und bürgerlicher Gesetztheit. Ein bisschen derb, eine Prise Populismus, angerichtet mit wirtschaftlicher Kompetenz und staatstragendem Historismus in der Tradition von Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Ein Selbstbild, in dem sich auch die Unionsbasis gern sieht. Botschaft: Das Land braucht uns. Wer soll es denn sonst machen…
Merz wird als Kanzlerkandidat gegen manchen Strom anpaddeln müssen.
Keine Stunde spricht Merz und bekommt zum Schluss ein Paddel geschenkt als Anklang an den regional starken Kanusport in Augsburg und Symbol für Kraft und Balance, die er auf dem Weg ins Kanzleramt brauchen wird. So viel Harmonie war selten zwischen den Unionsschwestern. Wie lange sie hält, steht auf einem anderen Blatt.