
Hatten die beiden Gesundheitsminister in der Corona-Zeit und Merkels Kanzleramts-Chef Kenntnis von dem brisanten BND-Bericht über den Ursprung des Coronavirus? Sie bestreiten es – doch vieles spricht dafür, vor allem ihre notorische Weigerung, sich für ihr umstrittenes Handeln in den Jahren 2020 bis 2023 zu rechtfertigen und Aufklärung zuzulassen.
Einem Medienbericht von Süddeutscher Zeitung (SZ) und Zeit zufolge hielt der Bundesnachrichtendienst (BND) es bereits 2020 für wahrscheinlich, dass ein Laborunfall im chinesischen Wuhan die Ursache des Coronavirus-Ausbruchs war. Die Analyse wurde unter anderem mithilfe von Datenmaterial aus dem Wuhan Institute of Virology erstellt, das im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Operation mit dem Codenamen „Saaremaa“ beschafft wurde. Seither wurde sie unter Verschluss gehalten.
Sicherheitskräfte am Eingang des Wuhan Institute of Virology während eines Besuches von WHO-Vertretern im Februar 2021.
Bruno Kahl (62), Chef des Bundesnachrichtendienstes, informierte laut der Recherchen von SZ und Zeit das Kanzleramt noch 2020 über die Erkenntnisse. Doch wer wann was wusste, ist noch nicht geklärt – alle Beteiligten mauern. Dem Tagesspiegel teilte Altbundeskanzlerin Angela Merkel über eine Sprecherin mit, sie widerspreche der Darstellung, Geheimdiensterkenntnisse über das Coronavirus vertuscht zu haben. Sie weise das „ganz grundsätzlich zurück“, sehe sich aber außerstande, sich zur Sache selbst zu äußern. Bei Sachfragen solle man sich an das Bundeskanzleramt wenden, wo die amtlichen Unterlagen aus ihrer Regierungszeit lagerten.
Bruno Kahl, Präsident des BND, informierte das Kanzleramt laut Medienberichten im Jahr 2020.
Kanzleramtsminister war zu Merkels Zeiten Helge Braun, der die harte Corona-Politik der Regierung mit antrieb. BND-Chef Kahl soll damals zuerst den für die Nachrichtendienste zuständigen Staatssekretär Johannes Geismann und dann den Kanzleramtsminister Helge Braun informiert haben. Sehr unwahrscheinlich, dass Braun, Merkels rechte Hand, sie nicht in Kenntnis setzte. Die Zeit schreibt: „Dem Vernehmen nach (soll) die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel“ dann „ebenfalls eingeweiht“ worden sein. Davon gehe man auch in Geheimdienstkreisen aus. Dasselbe gilt für Merkels Nachfolger Olaf Scholz, der ebenfalls von Kahl unterrichtet worden sein soll.
Kanzleramtsminister Helge Braun war einer der ersten, der vom BND-Präsidenten informiert wurde.
Und wenn Merkel und Scholz davon wussten, sollen sie ihre Gesundheitsminister in der Krise nicht darüber ins Bild gesetzt haben? Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sowie sein Nachfolger und amtierender Gesundheitsminister Karl Lauterbach geben sich unwissend. Auf Anfrage von NIUS wollten sich die beiden, ebenso wie Helge Braun, nicht äußern.
Die Gesundheitsminister Lauterbach und Spahn geben sich unwissend. (Collage)
Es nimmt nicht wunder, dass alle drei sich gegen eine unabhängige Aufarbeitung der Corona-Jahre sträuben. Wirklich selbstkritisch gibt sich keiner von ihnen, allenfalls räumen sie ein, bei Kindern „zum Teil“ (Lauterbach) zu streng gewesen zu sein und „mit den Lockerungsmaßnahmen wahrscheinlich etwas zu spät angefangen haben“ (ebenfalls Lauterbach). Dabei war es der Gesundheitsminister selbst, der immer wieder davor warnte, jetzt „leichtsinnig“ zu werden; für Lockerungen sei jetzt nicht die Zeit, die nächste, wohl noch tödlichere Variante des Virus könne jederzeit vor der Tür stehen. Und als das übrige Europa Corona abgehakt hatte, musste Lauterbach unbedingt nochmal ein halbes Jahr drauflegen. Er rühmte sich sogar, einen „Freedom Day“ wie in anderen Ländern verhindert zu haben.
Verständlich, dass er sich einer ehrlichen Aufarbeitung der Corona-Zeit verweigert. Einer politischen Aufarbeitung bedürfe es nicht, nur einer wissenschaftlichen. Es sei wichtig, „nach vorne zu blicken“.
In einem Interview mit Dunja Hayali sagte er: „Ich finde es ganz falsch, dass wir nur auf die Fehler kucken … Als Abgeordneter hielte ich im Moment davon [Enquete-Kommission, Anm. d. Red.] nicht so viel, weil … das ist jetzt ein Ideologiekampf in dem Sinne, es gibt also rechte Gruppen, die wollen das Thema also sich zu eigen machen, auch die AfD will das machen …“
Karl Lauterbach hat allen Grund, eine eingehende Untersuchung der Corona-Politik zu fürchten.
Vor der Bundestagswahl meinte Lauterbach dann, die Aufarbeitung der „Pandemie“ sei eine unvermeidliche Aufgabe der künftigen Bundesregierung. Es sei ein Fehler gewesen, dass die Ampel-Regierung dies nicht mehr habe leisten können. Warum wohl eher kein Interesse bestand, mag man ahnen, wenn man sich den Maßnahmenfuror des Hardliners einmal näher ansieht. Dass er monatelang verhinderte, das Corona-Risiko im Frühjahr 2022 herabstufen, wie es das Robert-Koch-Institut vorschlug, oder über Nacht eine Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate durchsetzte, sind nur zwei Beispiele von sehr vielen – die unverantwortliche Panikmache mal außen vor gelassen.
Noch im September 2023 besuchte der frühere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, um seinen Corona-Impfschutz medienwirksam aufzufrischen.
Wie Lauterbach gehörten auch Spahn und Braun zum „Team Vorsicht“, wie die Maßnahmenfetischisten sich selbst beschönigend nannten – und wie er haben sie kein Interesse an einer Aufarbeitung, in der ihre Rolle in den Corona-Jahren eingehender beleuchtet wird. Helge Braun meinte, die Bundesregierung habe anfangs die Wirkmächtigkeit der Impfstoffe zu hoch eingeschätzt und „eine Erwartung geschürt, die wir am Ende nicht erfüllen konnten.“ Der Tenor ist jedoch: Eigentlich haben wir fast alles richtig gemacht. Könnte man klären, sollte man aber nicht, denn, so Braun im Jahr 2023: „Die Bürger mögen keinen Streit.“
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Im Mai vergangenen Jahres sprach sich Jens Spahn, der in der Corona-Krise von 2020 und bis Ende 2021 Gesundheitsminister war, für eine Aufarbeitung der Corona-Politik durch den Bundestag – in einer Enquete-Kommission – aus, die aber breit angelegt sein sollte, wie er der dpa mitteilte: „Das kann weder die rosarote Brille für die damalige Bundesregierung sein noch ein Volksgerichtshof der Corona-Leugner.“ Spahn: „Da sind diejenigen, die Dankeschön sagen: ‚Sie haben uns gut durch diese schwere Zeit geführt.‘ Und es gibt diejenigen, das spüre ich bis heute, gerade beim Thema Impfen, da ist viel verhärtet. Insofern kann das Gespräch helfen, auch Dinge zu heilen, wenn Offenheit dafür da ist.“
Das Gebäude des BND in Berlin. Der Auslandsgeheimdienst informierte die Regierung über den Ursprung des Coronavirus.
Bis zum Ende der Pandemie hätten 70 bis 80 Prozent der Deutschen die Corona-Politik mitgetragen, sagte Spahn laut FAZ – was nicht auszuschließen ist, hatten Politik und Medien sowie willfährige Wissenschaftler wie Christian Drosten und Lothar Wieler das Paniklevel jahrelang rund um die Uhr hochgehalten und vorgetäuscht, als „Team Vorsicht“ aus Sorge um die Bevölkerung im Zweifel lieber streng zu sein.
Jetzt sagte Spahn den Sendern RTL und n-tv, er habe nichts von dem Geheimdienstbericht über das Labor in Wuhan und den Virusursprung gewusst. „Den kenne ich nur aus der Berichterstattung, und deswegen kann ich den an dieser Stelle auch ohne weitere Kenntnis nicht kommentieren.“ Die Debatte habe es auch schon vor fünf Jahren gegeben und auch ein früherer Befund über den Virusursprung hätte keinen Einfluss auf die Corona-Maßnahmen in Deutschland gehabt. Gegenüber NIUS gab der Pressesprecher von Jens Spahn, Sebastian Pfeffer, eine gleichlautende Erklärung ab: Herr Spahn habe jenseits der aktuellen Berichterstattung über den aktuellen Report keine Kenntnisse.
Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn, hier mit Maske Ende 2020, bestreitet, etwas von dem BND-Bericht zu wissen.
Vielleicht kommt doch noch mehr ans Licht: Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages, das für die Kontrolle, Überwachung und Befragung der Geheimdienste zuständig ist, wird sich mit den Fragen rund um die BND-Erkenntnisse beschäftigen.
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