Jens Spahn, die Masken und der längst bekannte Skandal

vor 3 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Im Berliner Regierungsviertel schwillt gerade eine Erregungswelle an, die sich gegen den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn richtet, heute Chef der Unionsfraktion. Es geht um die Art und Weise, wie er 2020 freihändig Corona-Masken beschaffen ließ: überteuert, in viel zu großer Stückzahl – und vor allem mit geldwerten Vorzugskonditionen für zwei Unternehmen. Eines davon, die Logistikfirma Fiege, residiert ganz in der Nähe von Spahns Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen. Seine Eigentümer pflegen enge Verbindungen zur NRW-CDU, in der Spahn damals wie heute zu den mächtigsten Politikern gehört.

Das alles lässt sich in einem etwa 170 Seiten langen und bisher unter Verschluss gehaltenen Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof nachlesen, die im Auftrag der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken, ebenfalls CDU, Ministeriumsakten sichtete. Der SPIEGEL und andere Medien stiegen groß in die Berichterstattung ein, die Grünen wollen das Parlament mit der Affäre befassen. „Das stinkt zum Himmel“, tönte etwa der grüne Vize-Fraktionschef Andreas Audretsch – und meint damit nicht die immer noch nicht aufgeklärte parteiinterne Gelbhaar-Affäre, sondern Spahns Masken-Geschäfte.

Ein Skandal? Sicherlich. Aber neu? Nein, auf keinen Fall. Denn alle wesentlichen Fakten über den milliardenteuren Maskenankauf durch Spahns Ministerium, die unter rechtlichen Gesichtspunkten unerklärliche Vorteilsgewährung für die Unternehmen Fiege und das Schweizer Unternehmen Emix konnte jeder, der wollte, schon 2021 nachlesen – nämlich in „Tichys Einblick“. Das Medium veröffentlichte damals eine ganze Serie von investigativen Beiträgen, die detailliert und mit Ausschnitten aus internen Dokumenten den Spahn-Masken-Komplex nachzeichneten.

TE berichtete außerdem über Spahns Versuch, sich aus Verträgen seines Ministeriums herauszuwinden, als ihm klar wurde, dass es viel zu viele dieser Textilien geordert und sein Budget von 1,2 Milliarden Euro um gut vier Milliarden überzogen hatte. Das Gesundheitsministerium behauptete deshalb dutzendfach, die Ware sei mangelhaft gewesen oder zu spät geliefert worden. Mehr als 100 Lieferanten klagten gegen das Ministerium – und bekamen nach und nach Recht.

Etliche letztinstanzliche Gerichtsentscheidungen stehen noch aus, da das Gesundheitsministerium auch unter Spahns Nachfolger Karl Lauterbach, SPD, selbst bei klaren Urteilen des Landgerichts Bonn in die nächste Instanz zogen, statt zu zahlen. Damit verursachte die Behörde weitere horrende Kosten. Mit der Führung der Prozesse gegen die Händler ließ Spahn übrigens teure Anwälte des Unternehmens Ernest & Young (EY) beauftragen, dessen Wirtschaftsprüfer dem Skandalkonzern Wirecard lange Zeit makellose Bilanzen bescheinigt hatten. Mit den Urteilen gegen das Ministerium kommen nach und nach Zahlungen von hunderten Millionen auf den Bund zu – als Spätfolge von Spahns Amtsführung. Offenbar will die jetzige Ministerin Warken die Verantwortung dafür klar ihrem Vor-Vorgänger zuweisen.

Dass der fortgesetzte Skandal allerdings nicht schon 2021 auf die große politisch-mediale Bühne gelangte, obwohl TE damals schon alle wesentlichen Vorgänge aufdeckte, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Meinungsklima in Deutschland. Denn lieber ließen sich Redakteure der Tagesschau, des SPIEGEL und anderer Qualitätsmedien eine rostige Schraube ins Knie drehen, als dass sie auf eine Recherche von „Tichys Einblick“ einsteigen würden – trotz unbestreitbarer Belege, die TE damals veröffentlichte.

Einer der wichtigsten Beiträge von TE zu der Affäre erschien am 9. April 2021:

„Am 31. März 2020“, hieß es dort, schloss Spahns Zentralabteilungsleiter Ingo Behnel einen Rahmenvertrag mit der FIB über die Beschaffung von maximal 110 Millionen FFP-2-Schutzmasken und 500 Millionen einfachen OP-Masken. Die Vereinbarung, die TE vorliegt, enthält eine besondere Klausel: „Im derzeitigen Markt ist es in der Regel aktuell erforderlich“, heißt es dort, „dass FIB den Ankauf bei seinen Lieferanten schon vor der Prüfung tätigt. Den Parteien ist das bewusst und die damit verbundenen Risiken aus dem Kaufvertrag trägt BGM.“ Das Bundesgesundheitsministerium übernahm also pauschal das Risiko, falls sich die beschafften Masken als minderwertig beziehungsweise unbrauchbar erweisen sollten. Außerdem erhielt Fiege – anders als andere Lieferanten – Vorkasse in einem erheblichen Ausmaß.

„Das BGM hat bereits eine Abschlagzahlung von 40.000.000,- Euro (vierzig Millionen) geleistet“, heißt es in dem Rahmenvertrag. Die großzügige Kondition ging auf eine E-Mail-Korrespondenz zwischen Ministerium und dem Unternehmen zurück.“

TE dokumentierte den Vorgang mit Auszügen aus dem Vertrag zwischen Ministerium und Fiege. Dieses Medium konnte außerdem durch den Vergleich mit den Rahmenverträgen zur Maskenbeschaffung, die die Bundesregierung mit VW, der Lufthansa und anderen Großunternehmen schloss, klar zeigen, dass nur Fiege seinerzeit eine Vorkasse erhielt – plus Freistellung von jeder Haftung für mögliche Mängel bei den Masken. Der Spediteur durfte außerdem den Vertrag, der ohnehin schon einer Lizenz zum Gelddrucken gleichkam, nachträglich noch zu seinen eigenen Gunsten korrigieren: Plötzlich kosteten FFP-2-Masken demnach nicht mehr 2,95, sondern 3,05 Euro, OP-Masken 0,53 Euro statt der ursprünglich fixierten 44 Cent.

Im Zuge seiner Recherche fragte TE am 8. April 2021 schriftlich bei Spahn an, ob es einen geschäftlichen Kontakt zwischen ihm und dem Unternehmen Fiege und dessen Gesellschaftern gebe – etwa ein Privatdarlehen. Bekanntlich erwarb der Minister damals zusammen mit seinem Lebensgefährten eine luxuriöse Villa in Berlin Dahlem für 4,125 Millionen Euro – vollständig kreditfinanziert. Dass jemand Solventes dafür bürgte, wäre nicht überraschend. Der Minister beantwortete die Frage damals nicht. Sie blieb bis heute offen. Sollte es keine entsprechenden privatgeschäftlichen Verbindungen gegeben haben, ließe sich der Verdacht auch heute noch mit einem einfachen ‚Nein‘ aus dem Mund von Spahn aus der Welt schaffen.

TE berichtete außerdem schon 2021 über die Tatsache, dass Spahn schon am 9. März 2020, dem Tag, an dem sein Ministerium das sogenannte Inhouse-Verfahren beschloss, also die freihändige Vergabe von Aufträgen an jeden Anbieter von Masken, über sein Mobiltelefon mit Andrea Tandler telefonierte, Tochter des ehemaligen bayerischen Finanzministers Gerold Tandler. Offenbar wusste sie praktisch in Echtzeit darüber Bescheid, welches Geschäftsfeld durch den Ministeriumsentscheid gerade entstanden war. Wer wen kontaktierte, ist ungeklärt. In dem späteren Prozess jedenfalls erklärte Tandler, Spahn hätte sie angerufen.

Tandler wiederum vermittelte umgehend für das Schweizer Unternehmen EMIX einen Masken-Liefervertrag mit dem Ministerium. Auch hier gibt es eine Besonderheit: Selbst als Spahns Beamten schon klar war, dass sie viel zu viele Masken bestellt und das Budget gesprengt hatten, durfte EMIX noch liefern. Das Landgericht München I verurteilte Tandler 2023 zu vier Jahren und fünf Monaten Haft – nicht wegen des Maskengeschäfts selbst, sondern weil sie und ihr Lebensgefährte versucht hatten, die von EMIX gezahlte Provision von gut 50 Millionen Euro an der Steuer vorbeizubringen.

Auch der Bundesrechnungshof befasste sich bereits mit der Maskenaffäre. Die Prüfer beklagten, dass sie nur unvollständige Akten aus dem Ministerium erhielt – und manche Papiere gar nicht, mit der Begründung, es gäbe ein Geheimhaltungsinteresse.

Dass Spahn bis heute trotz seiner dubiosen Entscheidungen durchkam und 2025 sogar die Leitung der größten Koalitionsfraktion übernehmen durfte, lag, siehe oben, zum einen daran, dass die Recherche zu den skandalösen Vorgängen in einem Medium erschien, das beispielsweise der SPIEGEL als „Plattform für Salonhetzer“ beschimpfte, und dessen investigativen Texte demonstrativ ignoriert werden – nicht nur hie, sondern auch, als TE die massiven Unregelmäßigkeiten und Manipulationen bei der Berlin-Wahl aufdeckte.

Dass es auch in Zeiten der Ampel faktisch keinen politischen Aufklärungswillen gab, hatte noch einen anderen Grund: Das Pendant zu Spahns Masken-Affäre bildet der bis heute ebenfalls nicht aufgeklärte Corona-Impfstoffbeschaffungsskandal des Karl Lauterbach. Zur Erinnerung: Bei seinem Amtsantritt 2022 behauptete der Spahn-Nachfolger eine „Impfstoff-Lücke“, erklärte, sein Vorgänger hätte zu wenig von dem Vakzin bestellt, und kaufte gewaltige Mengen davon ein. Bei der angeblichen „Impfstoff-Lücke“ handelte es sich allerdings um eine Erfindung des SPD-Politikers. In Wirklichkeit verfügte der Bund längst über ausreichend davon.

Im Jahr 2023 ließ er schließlich 132 Millionen Dosen des Corona-Impfstoffs, den niemand mehr haben wollte, wegen Ablauf der Lagerungsfrist vernichten. Zum Vergleich: Bis Ende 2023 wurden in Deutschland 195 Millionen Dosen verimpft. Der milliardenteure politisch gewollte Abfall, den Lauterbach produziert hatte, übersteigt also den Einsatz des teuren Vakzins sehr deutlich. Einen Untersuchungsausschuss dazu gab es in der Ampel-Ära so wenig wie einen zu den Masken, was offenbar an einer stillschweigenden Vereinbarung zwischen Union und SPD lag, beide Komplexe nicht anzufassen. Die beiden anderen Ampel-Partner, Grüne und FDP, wollten mit Rücksicht auf die SPD diesen Frieden augenscheinlich nicht stören.

Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu beiden Skandalen wäre dringend nötig. Dass er tatsächlich kommt, wenn auch mit jahrelanger Verspätung, ist trotzdem unwahrscheinlich. Die beiden betroffenen Parteien bilden bekanntlich die neue Regierung. Für die Einberufung eines Ausschusses bräuchte es ein Viertel der Bundestagsabgeordneten. Die AfD-Fraktion liegt mit ihren 151 Vertretern knapp unter diesem Quorum, Grüne und Linkspartei mit insgesamt 149 Sitzen noch deutlicher. Und die beiden linken Fraktionen erklärten schon zu Beginn der Legislatur, mit der AfD grundsätzlich nie und nirgends zu kooperieren, egal in welcher Sache. Spahn und Lauterbach können also durchatmen: die Brandmauer schützt sie ganz konkret.

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