
Die Maskenbeschaffung des Gesundheitsministeriums war von Chaos und Behördenfehlern geprägt. Allein das Open-House-Verfahren entwickelte sich zu einer beispiellosen Kostenfalle: Statt geplanter 500 Millionen Euro wurden allein bei diesem Verfahren Verträge über 6,4 Milliarden Euro abgeschlossen. Insgesamt liefen im Gesundheitsministerium sechs verschiedene Beschaffungskampagnen gleichzeitig, zusätzlich zu Beschaffungsmaßnahmen von anderen Ämtern.
Der Sonderbericht von Margaretha Sudhof, der von der Welt vollständig, allerdings mit geschwärzten Passagen, veröffentlicht wurde, zeichnet die Entwicklung über einzelne Tage konkret nach. So hieß es am 4. März in einer ersten Bedarfsanalyse, dass man 165 Millionen Masken brauche, darunter 16 Millionen FFP-Masken. Für die gesamte Beschaffung der „persönlichen Schutzausrüstung“ (PSA), die auch Desinfektionsmittel oder Einmalhandschuhe beinhaltete, wurde ein Gesamtpreis von 200 Millionen Euro veranschlagt (Apollo News berichtete).
Doch bereits am 17. März ging man von einem Dreimonatsbedarf von 200 Millionen OP-Masken und 75 Millionen FFP-Masken aus. Beim Direktvergabeverfahren wurden 48 Verträge über zwei Milliarden Euro brutto abgeschlossen. Der Sonderbericht beinhaltet auch Unterkapitel zu drei Lieferverträgen im Rahmen des Direktvergabeverfahrens. Hier werden nicht nur die Namen der Firmen, sondern ganze Seiten vollständig geschwärzt.
Das Behördenchaos zeigte sich vor allem beim Open-House-Verfahren (OHV). Dabei wurde in einer offenen Ausschreibung sämtlichen Unternehmen, die Masken bis zum 30. April liefern konnten, ein Festpreis von 4,50 Euro pro FFP2-Maske versprochen. Weil die benötigte Menge an Masken nicht durch die anderen Verträge zustande gekommen sei, habe Spahn sich dazu entschlossen, das Open-House-Verfahren durchzuführen. Ein erstes Entwurfskonzept der beauftragten Rechtskanzlei sah vor, dass nur mit den Firmen, die die Masken tatsächlich liefern, Verträge abgeschlossen werden sollten.
Die Fachabteilungen waren von einem Durchschnittspreis von 2,83 Euro pro FFP-Maske ausgegangen und hatten vorgeschlagen, dass der Stückpreis beim OHV zwischen 2,50 und 2,90 Euro liegen solle. Am 20. März 2020 bat der Abteilungsleiter, den Stückpreis auf 5,95 Euro brutto anzuheben. Am 25. März 2020 informierte der Abteilungsleiter darüber, dass der Gesundheitsminister Spahn einen Stückpreis von 4,50 Euro angeordnet habe. Die Ausschreibungsphase sollte bis zum 30. April dauern.
Die Generalzolldirektion (GZD), die als Behörde für die Umsetzung des OHV zuständig sein sollte, erfuhr erst am Tag der Veröffentlichung von ihrer Aufgabe. Das Angebot wurde auf EU-Plattformen hochgeladen, jedoch konnten Firmen ihre Angebote nur per Mail über ein Angebotsformular einreichen. Es sollten Verträge mit allen Lieferanten abgeschlossen werden, welche die Bedingungen erfüllen.
Für mangelhafte Lieferungen sollte es einen Zahlungsvorbehalt geben. Veröffentlicht wurde die Ausschreibung auf den EU-Plattformen am 27. März 2020. Bereits fünf Tage später, am 31. März, schlug die Generalzolldirektion vor, das Open-House-Verfahren vorzeitig zu beenden, angesichts der großen Zahl an Bewerbungen. Bei der Veröffentlichung der Ausschreibung war den Behörden ein Fehler unterlaufen: Es hieß, die Ausschreibungsphase gehe bis zum 30.06.2020, obwohl sie nur bis zum 30.04.2020 gehen sollte. Dieser Fehler wurde öffentlich nachvollziehbar korrigiert.
Am letzten Märztag wurde das GZD bereits angewiesen, keine neuen Angebotsunterlagen an interessierte Firmen zu versenden. Ursprünglich waren vom Finanzministerium 500 Millionen Euro für das OHV genehmigt worden. Das Gesundheitsministerium ging davon aus, dass 80 Prozent der Angebote nicht den Anforderungen genügen würden. Die GZD wurde angewiesen, nur Verträge bis zur vorgeschriebenen Höhe von 500 Millionen Euro abzuschließen.
Bis zum 31. März gingen 873 Bitten von Firmen ein, die Bewerbungsunterlagen zuzusenden – an jenem Tag wurde eine Fristverkürzung überlegt. Bereits am 1. April lagen Angebote für 100 Millionen FFP-Masken im Wert von 676 Millionen Euro vor. Die Rechtskanzlei entschied, dass eine Verkürzung der Bewerbungsfrist vom 30. April auf den 7. April zulässig sei. Somit lagen sechs Tage nach Veröffentlichung der Ausschreibung so viele Angebote vor, dass das geplante Budget um 35 Prozent überschritten worden wäre.
Letztlich wurde die Ausschreibungsphase auf den 8. April 2020 verkürzt, die Frist zur Einreichung des Angebots wurde von Ende April auf den 10. des Monats vorverlegt. Kontaktdaten zur Anfrage von Angebotsunterlagen wurden in der neuen Version der Dokumente gestrichen.
Trotz all dieser Maßnahmen, die es den Firmen erschweren sollten, sich zu bewerben, gingen bis zum 10. April 738 Verträge mit einem Gesamtvolumen von etwa 6.430.000.000 Euro ein. Es sollten 1,025 Milliarden FFP-Masken und 1,026 Milliarden OP-Masken geliefert werden sowie 53 Millionen Schutzkittel. Somit wäre das Budget für Masken im Open-House-Verfahren um 1.180 Prozent überschritten worden. Doch wegen Lieferengpässen wurden nicht alle Masken rechtzeitig geliefert, sodass letztlich 262 Millionen Masken für 1,4 Milliarden Euro über das Verfahren besorgt wurden. Spahn sagte bei ZDF heute, dass er ein „reines Gewissen“ habe.