
Brandmauern sind eine Erfindung der Sozialisten, um nichtsozialistische Kräfte von der Macht fernzuhalten. Das funktioniert so lange, bis die Parteien, die vielleicht gar nicht mehr liberal oder konservativ, sondern auch nur noch eine sozialistische Variante sind, bei dem Spiel nicht mehr mitspielen. Brandmauern sind Mauern zur Erhaltung und Sicherung der Macht. Mit ihnen kann ein erheblicher Teil der Wählerstimmen für unberührbar erklärt werden, die man nicht mehr beachten muss. Vor ihnen kann sich eine selbsternannte Pseudoelite, die sich selbst ironischerweise „die demokratische Mitte“ nennt, verschanzen. Schon nach wenigen Jahren sind diese Kräfte dann unangreifbar, unantastbar und unkontrollierbar.
Wer sich aber unantastbar und über dem Recht stehend begreift, benimmt sich auch so. Genau dieses Benehmen legte nun die spanische sozialistische Partei PSOE an den Tag. Der rücksichtslose Missbrauch der Macht könnte doch ein wenig zu viel gewesen sein. Noch bemüht sie sich, so zu tun, als beträfe es nur einen Einzelnen, maximal vielleicht noch zwei oder drei andere. Man selbst gibt sich pflichtschuldig entrüstet und wusste natürlich von nichts. Doch der Fall Santos Cerdán, bis vor kurzem Generalsekretär der sozialistischen PSOE, ist kein Einzelfall. Er ist die symptomatische Folge eines Systems, das sich gegen jede demokratische Kontrolle immunisiert hat.
Wer glaubt, dass der Fall PSOE ein Einzelfall ist, irrt. Es ist mittlerweile ein Problem der gesamten westlichen Welt. Auch der USA. Trump versucht sich an der Herkulesaufgabe, das dort zu ändern. Aber auch die EU ist längst nicht mehr ein Projekt der Rechtsstaatlichkeit, sondern ein Spielfeld für jene, die mit dem Anspruch moralischer Überlegenheit auf Kosten der Steuerzahler zweifelhaften und intransparenten Agenden folgen. Als Beispiel in der EU diene hier das Vorgehen von Ursula von der Leyen. Undurchsichtige und unkontrollierte Vergabe von Milliardenaufträgen an Firmen per WhatsApp, ein Gerichtsurteil gegen die Art, wie sie und die Kommission den Vorgang behandeln. Folgen? Bis jetzt keine. Nichts. Niente. Nada.
Cerdán, rechte Hand von Pedro Sánchez, sitzt nun in Untersuchungshaft. Er soll, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Kopf einer kriminellen Organisation und Drahtzieher bei der Vergabe lukrativer Staatsaufträge gewesen sein. Bis jetzt geht es um 0,6 Milliarden Euro. Aber das scheint nur die Spitze des berühmten Eisbergs zu sein. Die Vorgehensweise Cerdáns ist dabei konservativ: Aufträge am normalen transparenten Vergabeprozedere vorbei an geneigte Firmen, Provisions-Zahlungen, Kick-Backs, gefälschte Rechnungen, Scheinfirmen. Natürlich sind hier auch Fördermittel der EU mit im Spiel. Der Steuerzahler, auch der deutsche, ist mit dabei.
Spannend könnte es werden, wenn Cerdán – und davor haben alle, die von diesem System profitiert haben, berechtigterweise große Angst – umfangreich aussagen könnte. Die PSOE schickte deshalb, vermutlich als Vorsorge, bereits mehrmals Anwälte zu Cerdán ins Gefängnis.
Der Fall Cerdán-Sánchez weckt Erinnerungen an den Fall Bankia, der ebenfalls mehr als nur ein Finanzskandal war. Auch Bankia war ein politisch-moralischer Skandal. Eine Bank, nach dem Finanzcrash aus dem Nichts geschaffen, zusammengewürfelt aus den Trümmern maroder Sparkassen, wurde 2011 unter dem Dach von Rodrigo Rato (PP) – dem früheren Direktor des IWF – an die Börse gebracht. Sie versprach Stabilität, Ertrag und Vertrauen. Doch leider waren die Bilanzen geschönt, Risiken vernebelt und Verluste verschleiert worden. Nur ein Jahr später war die Luft bei Bankia raus und der spanische und europäische Steuerzahler um 22 Milliarden Euro ärmer.
Was folgte, war ein medienwirksamer Auftritt des Rechtsstaats. Ermittlungen, Verhaftungen und der vollständige Vorstand der Bank – in dem alle Parteien und Gewerkschaften sehr zahlreich vertreten waren – auf der Anklagebank. Für einen kurzen Moment keimte Hoffnung auf. Vielleicht würde diesmal jemand zur Rechenschaft gezogen.
Doch die Justiz enttäuschte die Einen, nicht aber die Anderen, die Wichtigeren. 2020 wurden alle Angeklagten im Hauptverfahren freigesprochen. Kein Vorsatz, keine Täuschung, keine strafbare Handlung. Wenn alle verantwortlich sind, ist eben am Ende niemand schuld. Dabei war die Selbstbedienung kein Geheimnis. Rato und Co. bedienten sich über tarjetas black, Kreditkarten für persönliche Luxusausgaben der Vorstände, mitten in der damaligen Finanzkrise. Miguel Blesa, Ratos Vorgänger, wurde deshalb zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die Strafe trat er nie an. Er starb, offiziell durch Suizid, auf einem privaten Jagdgut. Er hatte sich in seinem Auto mit einem Jagdgewehr, so die offizielle Version, in die Brust geschossen.
Wenig überraschend ist die Reaktion der moralisch überlegenen früheren engsten Parteifreunde, um nicht von Kumpanen zu sprechen. Sánchez, Montero, Bolaños, die eben noch die hervorragende Arbeit ihres politischen Architekten besangen, tun heute so, als sei Cerdán nie einer der Ihren gewesen. Als hätten sie nicht gemeinsam Gesetze bis ins Gegenteil „ausgelegt“, Richterstellen nach Gusto besetzt und die politische Landschaft mit einem cordon sanitaire überzogen, um jegliche Kritik als „rechts“ stigmatisieren zu können.
Was der Fall Cerdán, der eigentlich ein Fall Sánchez ist, offenbart, ist der Missbrauch der Macht in einem Staat mit immer weniger Kontrolle durch Parlament und Justiz. Das Cerdán überhaupt in Untersuchungshaft genommen wurde, ist ein kleiner Lichtblick. Erwartet wurde es nur noch von sehr Wenigen. Rechtsstaatlichkeit und Toleranz gelten heute meist nur noch dem, der mit dem Strom schwimmt. Die sozialistische Strategie dabei ist und war, dass gegen den politischen Gegner alle Mittel erlaubt sind.
Zusammenarbeit mit den Nachfolgern und dem politischen Arm der Terror-Organisation ETA, Vereinbarungen mit zum Teil schlicht kriminellen Separatisten (in Katalonien gab es über Jahre ein ähnliches System der Provisionen) und wahrscheinlich ein Wählerbetrug bei den Vorwahlen der PSOE, die Sánchez überhaupt erst in diese Position gebracht hat: Gerechtfertigt wird das alles durch das hehre Ziel einer gerechten Gesellschaft. Die höhere sozialistische Moral rechtfertigt natürlich jedes Mittel: auch die vollständige Aneignung aller staatlichen Institutionen und das Schleifen der Gewaltenteilung.
Und genau das ist der Kern dieses Skandals. Es geht nicht um einen korrupten Politiker. Es geht um ein politisches System, das seine Macht schamlos missbraucht: in Spanien, in vielen EU-Ländern und der EU. Die Justiz beschäftigt sich jetzt mit Fall Cerdán. Aber das Problem ist viel größer. Es sind nicht der Einzelne, es ist das Milieu.
Denn Parteien und Personen, die durch moralischen Absolutismus jede Konkurrenz delegitimieren, sind besonders anfällig für Korruption. Sie wissen, dass sie sich nicht rechtfertigen müssen. Sie glauben nicht nur, im Recht zu sein. Sie sind mittlerweile davon überzeugt, selbst das Recht zu sein.
Mit moralischer Hybris wird keine Demokratie zu retten sein. J.D. Vance hat in München versucht, das der europäischen Politelite zu erklären. Die hat aber noch nicht einmal verstanden, wovon er redet.