
Malerische Olivenhaine prägen weite Teile von Andalusien. Für die Menschen hier haben sie nicht nur ästhetischen Wert. Die Bäume, ihre Früchte und deren Öl sind für sehr viele Anwohner die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz. Und sie sind seit Ewigkeiten unverzichtbarer Teil dessen, was die Andalusier stolz ihre Heimat nennen.
Damit ist es in vielen Gebieten wohl bald vorbei.
Im Norden der autonomen Region sind bereits mehr als 50.000 Olivenbäume den Motorsägen zum Opfer gefallen. Mindestens noch dreimal so viele sollen demnächst umgelegt werden: insgesamt knapp eine Viertelmillion imposante und oft uralte Großpflanzen. So etwas nennt man Kahlschlag.
Die sozialistische Zentralregierung in Madrid will Platz schaffen: für Photovoltaik-Anlagen. Spanien setzt für seine Energiewende maßgeblich auf Solarparks. Ihre Förderung wurde – ähnlich wie bei den Windparks bei uns – als „besonderes öffentliches Interesse“ definiert. Die EU unterstützt das, natürlich.
Die Andalusier sind, wie erwähnt, ein stolzes, heimatverbundenes und traditionsbewusstes Volk. Viele Familien hier wollen weiter Oliven anbauen – auch wenn man damit weniger Geld verdient als mit der Verpachtung der Flächen an die massiv subventionierte Solarindustrie.
Oft wird deshalb das schon beschriebene Gesetz von 1955 angewendet. Nicht wenige Juristen halten das für Rechtsbeugung, weil Zwangsenteignungen in Spanien traditionell für größere öffentliche Bauten wie Straßen oder Krankenhäuser stattfinden. Hier nutzen die Behörden und Gerichte das Gesetz aber zum Vorteil privater Investoren.
Natalia Corbalán weiß, wie das geht. Sie ist die Sprecherin von „SOS Rural“, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für den Schutz des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens im ländlichen Raum engagiert. Die Unternehmen suchen Flächen in der Nähe von Umspannwerken, denn die Solarparks müssen ja irgendwo ans Netz gehen. Dann versuchen sie, sämtliches Land in einem Umkreis von bis zu sieben Kilometern zu pachten.
Viele Grundbesitzer wollen das nicht, denn die Pachtverträge haben meist eine sehr lange Laufzeit von 30 Jahren. Und wenn erst einmal eine Photovoltaik-Anlage installiert ist, ist es mit dem Olivenanbau auf ewig vorbei. Die Familien, die damit ihren Lebensunterhalt verdient haben, müssen gehen. Die Solarkonzerne kommen und bauen eine Anlage. Die schafft keine Arbeitsplätze – abgesehen von den wenigen Arbeitern, die für die Montage nötig sind. Später wird die Anlage von maximal drei Monteuren gewartet.
Für die betroffene Region bringt so ein Solarpark keinen Wohlstand, sondern Entvölkerung.
Deshalb lehnen viele Olivenbauern die Verpachtung ab. Da betritt dann die Regierung die Bühne: Sie erklärt für die Flächen ein vorrangiges öffentliches Interesse. So kann die Zwangsenteignung eingeleitet werden. Die Regierung behauptet zwar, dass vier Fünftel aller betroffenen Flächen freiwillig verpachtet werden. Doch darüber kann Natalia Corbalán nur bitter lachen. Denn eine echte Wahl haben die Betroffenen nicht: Entweder, sie verpachten zu dem Preis, den das Solarunternehmen anbietet – oder die Regierung enteignet die Flächen und zahlt eine lächerliche Entschädigung.
In beiden Fällen fallen die Olivenbäume.
Nicht nur Olivenbäume sind gefährdet. Auch über 45.000 Weinstöcke wurden schon für PV-Anlagen vernichtet. In Murcia werden mehrere Hektar der eigentlich streng geschützten Bewässerungsflächen trockengelegt. Der Tajo-Segura-Kanal gilt als „Gemüsegarten Europas“ – jetzt soll er der „Solargarten Europas“ werden. Die Photovoltaik zerstört eine Flora, die ein unschätzbarer Rückzugsort für geschützte Arten ist. Der vom Aussterben bedrohte iberische Luchs lebt in Olivenhainen, auch zahlreiche gefährdete Vögel nisten dort.
Aber sobald das Wörtchen „Solar“ auftaucht, spielt das alles keine Rolle mehr.
Das Ganze lässt sich auch als Ausdruck einer geradezu galoppierenden Missachtung des ländlichen Lebens interpretieren. „Ich glaube, dass die Gesellschaft unsere Landwirte und Viehzüchter schätzt“, sagt Natalia Corbalán. „Aber wir sehen, dass die Politik sie nicht schützt.“
Da hat sie wohl recht. Kein Berufsstand wird von der Politik so gegängelt, behindert und unter Druck gesetzt wie der Landwirt – ausgerechnet derjenige, der uns mit Nahrung versorgt. Aber Lebensmittel kommen nicht durch Magie in die Regale der Supermärkte. Für das, was Städter essen, ist auf dem Land jemand um vier Uhr morgens aufgestanden, hat den Wein angebaut, die Kartoffeln geerntet und sich um die Olivenbäume gekümmert. Allzu viele Stadtmenschen sehen zwar ein Solarmodul aus Glas, Beton, Eisen und Schrauben als nachhaltig an – nicht jedoch einen Olivenbaum.
Natalia Corbalán will das nicht hinnehmen. Sie fordert ein Moratorium der Baumfällungen und einen Stopp aller Baugenehmigungen für die geplanten großen Photovoltaik-Parks. Und dann sagt sie einen Satz, der lange nachhallt:
„Ein Land ohne Landwirte ist ein totes Land.“