
Wie bewerten die SPD-Spitzen das Sondierungspapier zwischen SPD und CDU/CSU mit Blick auf die Migrationspolitik? Auf den ersten Blick lesen sich Forderungen wie „Ende aller Aufnahmeprogramme“, „Zurückweisungen an den Grenzen“ oder „Aussetzung des Familiennachzugs“ restriktiv und hart. Doch SPD-Politiker sagen nun selbst, dass die schwarz-rote Koalition keine Migrationswende im Sinne der ehemals formulierten Forderungen von Friedrich Merz durchsetzen wird.
So soll etwa Boris Pistorius (SPD) vor der Fraktion die Asyl-Ergebnisse der Sondierungsgespräche gelobt haben, wie der Spiegel berichtet. Pistorius zufolge habe man die schlimmsten Sätze aus dem Sondierungspapier „rausgekegelt“. Demnach habe die Union zwar erreicht, dass der Begriff der „Begrenzung“ ins Aufenthaltsgesetz geschrieben wird – doch bei diesem handele es sich um ein „Placebo“, so Pistorius, also um eine rechtlich nicht bindende Formulierung. „Das hat null Wirkung. Gar keine.“ Gemessen am Wahlergebnis (die SPD holte 16,4 Prozent) hat man laut Pistorius herausragende Erfolge erzielt. „Wir haben sie nicht eine Sekunde in unseren Vorgarten gelassen.“
War einst niedersächsischer Innenminister – und gilt als der vermutlich beliebteste SPD-Politiker: Boris Pistorius
Dazu passt: Auch Saskia Esken (SPD) äußerte im Deutschlandfunk, dass Deutschland die zentrale Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz, nämlich die „Zurückweisungen an deutschen Grenzen“, nicht auf Teufel komm raus durchsetzen wird. Auf die Frage, ob Deutschland womöglich „Alleingänge“ bei Zurückweisungen durchsetzen werde, etwa wenn andere Länder nicht mitziehen und wie es CDU-Politiker Jens Spahn jüngst gefordert hatte, sagte Esken: „Ich will sehr klar sagen, dass wir gerade in diesen Zeiten mit Putin auf der einen und Trump auf der anderen Seite dringend notwendig haben, dass die Europäische Union geeint bleibt – und auch geeint agiert.“ Ihr zufolge sei ein Zusammenkommen der Europäischen Union notwendig, „und da sollten wir nicht auf anderen Feldern versuchen, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Das halte ich für brandgefährlich und werde auch ganz klar dagegen halten.“
Das heißt: Alleingänge Deutschlands, die die Union als ultima ratio möchte, werden von der SPD nicht unterstützt. In diese Kerbe schlug auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): Sie sagte, dass man Zurückweisungen an den Grenzen zwar ausbauen werde, dies aber nicht gegen europäisches Recht verstoßen dürfe und in Abstimmung mit Nachbarstaaten geschehen sollte.
Kontrolle am Grenzübergang zwischen Deutschland und Österreich.
Am Wochenende hatte Österreich bekanntgegeben, dass man zurückgewiesene Migranten aus Deutschland nicht bei sich aufnehmen würde. Auch andere Länder wie Luxemburg oder Dänemark verwiesen auf die österreichische Handhabe oder die Dublin-Verordnung, wie NIUS berichtet hat.
Faeser sagte weiter, die Zusammenarbeit mit Nachbarländern sei entscheidend, damit diese Zurückweisungen nicht innerhalb kurzer Zeit von Gerichten gestoppt würden. „Denn wenn unsere Nachbarstaaten Personen nicht zurücknehmen, scheitern die Zurückweisungen“, sagte Faeser. Genau das aber verweigern die an Deutschland angrenzenden Länder bislang. Allein die Dublin-Verordnung würde einer Zurückweisung den Riegel vorschieben, weil sich die Länder darauf berufen könnten, dass Asylbewerber im Land der Erstankunft ihr Verfahren durchgeführt bekommen.
Die Äußerungen von Esken, Pistorius und Faeser zeigen also: Die Spitzen der SPD sind weitaus entspannter, was eine wirkliche Verschärfung der Asylpolitik angeht – und sehen sie weder aus dem Sondierungspapier hervorgehend noch praktisch umsetzbar im Sinne eines Vorgehens an deutschen Grenzen.
Derweil dürfte zumindest fraglich erscheinen, ob das jeder in der SPD so sieht. In der neuen 120-köpfigen SPD-Fraktion im Bundestag finden sich zahlreiche Vielfalts- und Migrationslobbyisten, Seenotretter und Fürsprecher einer „humanitären“ Asylpolitik. In Merz’ Vorstößen Ende Januar sahen viele einen Bruch mit europäischem Recht.
Die SPD-Politikerin Rasha Nasr sprach sich wiederholt für eine humanitäre Flüchtlingspolitik aus.
Und: Auch die Jusos, also die Jugendorganisation der SPD, schließt sich der Lesart der Spitzen mitnichten an. Juso-Chef Philipp Türmer zeigte sich angesichts der Forderungen in Sachen Asyl und Migration „schlichtweg erschüttert“. Dem Stern sagte Türmer: „Es soll nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden, beginnend mit Straftätern und Gefährdern, heißt es – als soll da noch mehr kommen.“ Auch massive Abschiebungen nach Syrien und der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft bei migrantischen Straftätern und Extremisten seien mit den Jusos nicht zu machen. Dies sei ein „verfassungswidriger Weg […] und eine rote Linie“, so der Juso-Chef in Bezug auf mögliche Aberkennungen der Staatsbürgerschaft. „Das ist ein absoluter Dealbreaker, der für uns nicht tragbar sein darf.“
Intern gibt es also die Haltung, dass sich mit den Sondierungsergebnissen von CDU/CSU und SPD eigentlich nichts ändert. Aber selbst die Formelkompromisse und Lippenbekenntnisse sind der Parteilinken zu weitreichend.
Auch bei NIUS: Seenotrettung, Asylindustrie, Anti-Merz-Demo: Mit diesen SPD-Leuten wird die Migrationspolitik von Merz nicht zu machen sein