
Die bayerische Justiz ist spätestens seit dem Vorgehen gegen Stefan Niehoff und David Bendels deutschlandweit bekannt. Jetzt hat sich der Beauftragte für die Verfolgung von „Hass und Hetze“, David Beck, zu Wort gemeldet und das Vorgehen verteidigt. Bei Niehoff hatte eine Hausdurchsuchung wegen eines Bildes von Robert Habeck für Aufsehen gesorgt, Bendels war zu einer siebenmonatigen Bewährungsstrafe wegen des Teilens eines bearbeiteten Bildes von Nancy Faeser verurteilt worden.
Am Mittwoch berichtete Apollo News über die Urteilsbegründung im Fall Bendels: Bei dem Bild, auf dem Faeser ein Plakat mit der nachträglich eingefügten Unterschrift „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ hält, handele es sich um „eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung“. Der Beitrag sei dem „Betrachter nicht als verändertes Bild erkennbar“ und enthalte „keine Hinweise auf eine satirische Darstellung“, argumentierte das Amtsgericht Bamberg.
Nur kurze Zeit später legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein – sie hatte ursprünglich eine Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung für Bendels gefordert. Deshalb zieht die Behörde jetzt vor das Landgericht Bamberg. Sieben Monate Haft auf Bewährung würden „dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht“ werden, begründet die Staatsanwaltschaft das Vorgehen.
Gegenüber Welt ordnete Beck, der bei der bayerischen Generalstaatsanwaltschaft in München angesiedelt und für die sogenannten Sonderdezernate für die Bekämpfung von Hate-Speech zuständig ist, das Vorgehen der bayerischen Justiz am Mittwoch ein. Er meinte: „Wir wägen bei jedem Einzelfall konkret ab zwischen der beeinträchtigten Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem beeinträchtigten Rechtsgut auf der anderen Seite.“
Wie konkret das im Fall Niehoff geschah, ist jedoch nach wie vor fraglich. Der Rentner erlebte am 12. November eine Hausdurchsuchung, nachdem er das bekannte Habeck-Bild mit der, an die Haarpflegemarke Schwarzkopf angelehnten, Unterschrift „Schwachkopf Professional“ per Zitatfunktion, also Retweet, auf X geteilt hatte.
Obwohl dieses angebliche Vergehen der einzige in dem Durchsuchungsbefehl angegebene Grund war, wurde der in diesem Kontext erhobene Vorwurf der Politikerbeleidigung nach Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs später im Strafbefehl fallen gelassen – hier geht es jetzt um fünf Fälle des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und in einem Fall um Volksverhetzung.
Beck ist dennoch überzeugt: „Es geht ja nicht darum, zu kontrollieren, dass jemand nichts Falsches sagt.“ Dabei könnte genau das passiert sein. Denn die Ermittlungen gegen Niehoff wurden zuerst wegen einer von der staatlichen Meldestelle „Hessen gegen Hass“ gemeldeten vermeintlichen Volksverhetzung aufgenommen – der konkrete Fall wurde später fallen gelassen und dafür andere angebliche Vergehen gefunden.
Gegenüber Apollo News erklärte die Staatsanwaltschaft Bamberg, die die Ermittlungen leitete, jetzt: „Es wurde geprüft, ob auf dem X-Konto Postings mit volksverhetzendem Inhalt veröffentlicht wurden“. Das Konto wurde also gezielt nach dahingehenden Straftaten untersucht – wahrscheinlich auch erst nach der Hausdurchsuchung. Einen genauen Zeitpunkt für den Start der Ermittlungen wegen der jetzt im Strafbefehl gegen Niehoff hervorgebrachten Vorwürfe wollte die Staatsanwaltschaft auch auf Nachfrage nicht mitteilen.
Die Durchsuchung hat bundesweit für Aufsehen gesorgt und Kritik an der Staatsanwaltschaft lautwerden lassen. Welt befragte Beck auch zur „Präventionswirkung“ solcher Maßnahmen: „Wenn also der Rentner Stefan Niehoff wegen eines ‚Schwachkopf‘-Memes über Grünen-Politiker Robert Habeck Besuch von der Polizei bekommt und sein Haus durchsucht wird, dann könnte man das ja durchaus für einen Versuch halten, andere von Meinungsäußerungen abzuschrecken“, so die Frage.
Beck entschärfte diese mutmaßliche Wirkung in seiner Antwort jedoch. „Durchsuchungen haben keinen Strafcharakter“, erklärte der Hate-Speech-Beauftragte. „Durchsuchungen beantragen und führen wir durch, um Beweismittel zu erlangen. Nicht, um irgendwie vorgezogen zu bestrafen. Das ist nicht der Sinn von Durchsuchungen.“
Aufgrund der Wirkung derartiger Maßnahmen musste Beck dann dennoch zugeben, dass „Durchsuchungen natürlich auch Auswirkungen auf Rechtsgüter desjenigen haben, bei dem durchsucht wird – des Beschuldigten –, das ist uns bewusst, und das müssen wir natürlich genau abwägen, in jedem Fall, in dem wir Durchsuchungsbeschlüsse beantragen“.
Und weil der von einem Staatsanwalt beantragte Durchsuchungsantrag von einem Richter unterschrieben werden muss, würden sowieso „mindestens zwei Juristen die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit dieser Eingriffsmaßnahme“ prüfen, rechtfertigte Beck weiter. An dieser Praxis gibt es jedoch Kritik: Teilweise sind die Gerichte überfordert, teilweise zeitlich unter Druck gesetzt, sodass eine genaue Evaluation des einzelnen Falls in den unteren Ebenen immer seltener durchgeführt wird, vermuten Juristen und Anwälte, wie der renommierte Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel.
Apollo News hatte diesbezüglich kürzlich beim Justizministerium Bayern angefragt, ob die Behörde das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in den Fällen Niehoff und Bendels – immerhin wurde gegen beide mit grenzwertiger Härte vorgegangen – und anderer überprüfe. Die Frage blieb unbeantwortet. Das Ministerium teilte überdies mit, Justizminister Georg Eisenreich habe das Weisungsrecht – das ihm in seiner Position obliegt – in seiner Amtszeit noch nicht genutzt: „Die Staatsanwaltschaft handelt selbstständig.“
Beck überspitzte das noch einmal: „Wir sind nicht an politische Vorgaben gebunden“, meinte er – dabei können Staatsanwälte durchaus Weisungen aus dem ihnen vorgesetzten Ministerium erhalten. „Die Kollegen und Kolleginnen sind alle Profis“, gab der Hate-Speech-Beauftragte allerdings zu bedenken: Jeder Beteiligte in dem System würde jedes Verfahren objektiv bewerten „Das ist das, was wir geschworen haben und daran halten wir uns auch.“