„Staatsschutzrelevanz“ – Ermittlungsakten zeigen, wie Ballwegs Strafverfolgung politisch motiviert war

vor 7 Tagen

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Bildquelle: Apollo News

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk war man sich schnell einig. Dass „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg neun Monate im RAF-Gefängnis Stuttgart-Stammheim wegen Betrugsvorwürfen saß, die sich vor Gericht in Luft aufgelöst haben, war ein ganz normales Verfahren. Der Prozess gegen ihn sei nicht politisch motiviert gewesen, behauptete der Südwestrundfunk (SWR) nach Ballwegs Freispruch.

„Politisiert haben das Verfahren eigentlich nur Ballweg selbst und sein Team aus Anwälten und geneigten Vertretern der sogenannten alternativen Medien, die auch heute zahlreich vertreten waren“, erklärte ein „SWR-Rechtsexperte“. In der Anklage „ging es um klar definierte Straftatbestände, in denen nicht von politischen Ansichten die Rede ist“, so der Journalist. „Wofür Ballweg während der Pandemie eingetreten war oder welche politischen Ziele er mit seiner Initiative verfolgte, spielte keine Rolle.“

Recherchen von Apollo News zeigen nun, dass diese Behauptung falsch ist. Es ist schwarz auf weiß in den offiziellen Ermittlungsakten nachzulesen, die uns vorliegen. Aus den Dokumenten geht klar hervor: Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat gegen Ballweg ermittelt, weil er Initiator der gegen die restriktive Corona-Politik gerichteten Bürgerbewegung war. Wir rekonstruieren die Anfangsphase dieses politischen Strafprozesses hier im Detail.

Bei der Steuerfahndung des Finanzamts Stuttgart II geht ein Schreiben des Rechtsanwalts Chan-jo Jun ein. Jun bittet im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Ballweg und seiner Mandantin um Auskunft, ob Ballwegs Organisation „Querdenken 711“ als Unternehmen registriert wurde. Außerdem weist er darauf hin, dass „Querdenken 711“ laut Medienberichten erhebliche Einnahmen habe und Spender möglicherweise täusche. „Würden sich aus diesem Aspekt denn Anhaltspunkte für relevante Täuschungshandlungen ergeben, stellen wir die Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft anheim“, schreibt der Rechtsanwalt.

Jun wird später, im November 2022, auf Vorschlag der Grünen-Fraktion im Münchner Landtag zum ehrenamtlichen Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof gewählt. Fraktionschefin ist Katharina Schulze, die mit dem Grünen-Politiker Danyal Bayaz verheiratet ist. Bayaz ist seit Mai 2021 Finanzminister in Baden-Württemberg – und damit oberster Chef aller Finanzämter und Steuerfahnder des Landes.

Der Leiter des Finanzamts Stuttgart I, das für Michael Ballweg zuständig ist, erhält eine E-Mail eines Journalisten von Netzpolitik.org. Der Journalist recherchiert für die ZDF-Sendung von Jan Böhmermann zur Finanzierung der Querdenker-Bewegung. Irgendwie ist er an das Schreiben von Rechtsanwalt Jun gelangt und leitet es an den Finanzamtschef weiter, weil er wissen will, was daraus wurde. Diese Nachfrage bringt plötzlich Bewegung in die Sache. Das Finanzministerium sei „wegen des Falles sehr alarmiert“, schreibt er in einer internen E-Mail, in der er sich nach dem Verbleib des schon vor anderthalb Monaten versandten Anwaltsschreibens erkundigt. Er kannte es bis zur Anfrage des Journalisten nicht. Heraus kommt: Es liegt nicht in seiner Behörde, sondern bei den Steuerfahndern im Finanzamt Stuttgart II. „Von dort werde ich in Kürze einen Bericht erhalten“, schreibt er der übergeordneten Oberfinanzdirektion.

Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Stuttgart II verfasst einen Aktenvermerk: „Firma/Stpfl: Michael Ballweg – Vorermittlungsverfahren“. Auf den ersten zwei Seiten werden die Sachlage sowie die von Rechtsanwalt Jun vorgebrachten Hinweise und Fragen zusammengefasst. Auf der dritten Seite folgt die Beurteilung: „Es wird kein Ermittlungsverfahren gegen Michael Ballweg eingeleitet.“ Denn „es liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, die auf das Vorliegen einer Steuerstraftat schließen lassen.“ Alle Einkünfte würden nicht „von einer Organisation, sondern von Herrn Ballweg persönlich erzielt“. Und da dieser noch keine Einkommensteuererklärung für das laufende Jahr machen kann, kommt nicht einmal der Versuch einer Einkommensteuerhinterziehung in Betracht“, schreiben die Fachbeamten.

Damit ist die Sache erstmal erledigt. Es gibt keinen Anfangsverdacht und daher keine Ermittlungen. Doch davon erfährt der Chef des Finanzamts Stuttgart I, der mit dem für Böhmermann recherchierenden Journalisten Kontakt hatte, erst zwei Tage später. Der Aktenvermerk des Finanzamts Stuttgart II erreicht das Finanzamt Stuttgart I per Dienstpost laut Eingangsstempel am 18. Dezember 2020. An diesem Tag bläst Jan Böhmermann vor einem Millionenpublikum zur Jagd auf den „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg.

„Ey Michael Ballweg“, beendet ZDF-Moderator Böhmermann seinen Beitrag über angebliche finanzielle Ungereimtheiten bei „Querdenken“ süffisant in die Kamera grinsend. „Das Finanzamt Stuttgart II lässt ausrichten: Du sollst bitte mal zurückrufen. Dringend. Es geht um was Ernstes.“ Die vertrauliche und vom Steuergeheimnis streng geschützte Information, dass das Finanzamt Stuttgart II mit dem Fall befasst war, hat ihn also offensichtlich erreicht. Aber wahrscheinlich fehlte ihm die mindestens genauso wichtige Information, dass die Steuerfahnder dabei zu dem Ergebnis kamen, dass an den Vorwürfen nichts dran ist. Seinen Job hat er jedenfalls erfüllt und den Anführer einer regierungskritischen Bürgerrechtsbewegung an den öffentlich-rechtlichen Fernsehpranger gestellt.

Bei den Ermittlungsbehörden kommt erst ein gutes Jahr später wieder Bewegung in den Fall. Es geht nicht mehr um Steuerhinterziehung, sondern um einen neuen Vorwurf: Geldwäsche. Die baden-württembergische Zentralstelle für Finanzermittlungen (ZFE) teilt diesen Verdacht gegen Michael Ballweg der Staatsanwaltschaft Stuttgart schriftlich mit. „Geldwäscheverdachtsmeldungen“ zweier Banken, bei denen Ballweg Konten hat, sind der Anlass. Diese Meldungen seien der beim baden-württembergischen Landeskriminalamt angesiedelten ZFE von der bundesweit tätigen Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) übersandt worden, schreibt der Polizeibeamte und betont: „mit dem Hinweis STAATSSCHUTZRELEVANZ.“

Staatsschutz hat er in Großbuchstaben geschrieben. Es soll also um den Verdacht politischer Straftaten gehen. Denn der polizeiliche Staatsschutz beschäftigt sich nur mit solchen. Er verfolgt Terroristen und Extremisten – und zu einem solchen will man Ballweg, der Menschen auf die Straße bringt, die gegen beispiellose Freiheitseingriffe protestieren, gerne machen.

Dem Schreiben an die Staatsanwaltschaft ist eine Ermittlungsakte beigefügt, in der auf mehreren Seiten minutiös Ballwegs Konten bei unterschiedlichen Banken durchleuchtet werden. Die Finanzermittler müssen vollen Zugriff auf diese Konten gehabt haben. Denn jede Ein- oder Auszahlung und jede Hin- und Her-Buchung zwischen Ballwegs Konten, die ihnen auffällig erschien, haben sie aufgelistet. Doch am Ende kommen sie zu dem Ergebnis: „Hinweise auf konkrete Straftaten liegen bislang nicht vor.“

Warum sie Ballwegs Finanzen so gründlich untersucht haben, daran lässt die Akte keinen Zweifel. Es steht darin ganz zu Beginn der Ermittlungsergebnisse unter „Erkenntnisse des Landesamts für Verfassungsschutz BW: Michael BALLWEG ist Initiator und Hauptverantwortlicher der Protestinitiative ‚Querdenken 711‘. Er unterhält auch Verbindungen zu zahlreichen anderen ‚Querdenken‘-Ablegern bundesweit und ‚verwaltet‘ die Marke ‚Querdenken‘. BALLWEG betonte zwar in der Vergangenheit die Unabhängigkeit der Initiativen, mobilisierte jedoch für Veranstaltungen der anderen ‚Querdenken‘-Ableger und trat in verschiedenen Städten als Redner auf.“

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet offiziell ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Michael Ballweg „wegen des Verdachts des Betrugs, der Geldwäsche und der Anstiftung zur Geldwäsche“ ein. Das Polizeipräsidium Stuttgart gründet die Ermittlungsgruppe „EG Kreuz“.

Die Polizei durchsucht Wohnung und Geschäftsräume von Ballweg in Stuttgart und nimmt den „Querdenken-Gründer“ fest. „Der 47-Jährige steht im Verdacht, seit Mai 2020 durch öffentliche Aufrufe finanzielle Zuwendungen eingeworben zu haben und hierbei die Zuwendenden über die beabsichtigte Verwendung getäuscht zu haben“, erklärt das Polizeipräsidium Stuttgart in einer Pressemitteilung. „Nach derzeitigem Ermittlungsstand soll der Tatverdächtige in der Folge einen höheren sechsstelligen Betrag der eingeworbenen finanziellen Zuwendungen zweckwidrig für sich verwendet haben.“

Ballwegs Anwalt Ralf Ludwig vermutet, dieser Betrugsverdacht wurde konstruiert, weil der Geldwäschevorwurf sonst nicht zu halten wäre. „Man kann nur schmutziges Geld waschen, also brauchten sie eine Vortat“, erklärt Ludwig.

Michael Ballweg verschwindet für neun Monate in Untersuchungshaft. Von den Betrugsvorwürfen, die sich im Laufe des Gerichtsverfahrens als vollkommen haltlos herausstellen, wird er erst am 31. Juli 2025 freigesprochen. Nun macht ihn das Landgericht Stuttgart noch für Steuerhinterziehung von knapp 20 Euro verantwortlich.

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