
Stabil. Was unter Jugendlichen wie ein Lob positiv und cool klingt, ist für den Kanzlerkandidaten der Union Friedrich Merz keine gute Nachricht. Seine Umfragewerte sind „stabil“. Bestenfalls. Seit dem Start ins Wahlkampfjahr 2025 bröckeln die Werte der Union ein wenig, halten sich aber noch um die 30 Prozent oder knapp darunter.
Die Wahrheit ist, dass weder der Beschluss des neuen Grundsatzprogramms der CDU, noch das gute Abschneiden der Union bei der Europawahl oder gar das krachende Ampel-Aus die Werte von CDU/CSU auf Bundesebene nennenswert in Richtung 35 oder gar 40 Prozent gezogen haben. Nach der Klausur des CDU-Bundesvorstands in Hamburg berief sich Merz auf Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, wonach die Union bei 36 Prozent liege. Eine Größenordnung, die Allensbach derzeit exklusiv hat. Merz führte das auf die Umfragen von Angesicht zu Angesicht der Meinungsforscher zurück und wollte das wohl als Ausweis besonderer Verlässlichkeit verstanden wissen.
Eine alte Wahlkampfregel besagt: Man kann zur Not gegenüber den Wählern flunkern oder zur Motivation der eigenen Leute leicht geschönte Zahlen in Umlauf bringen, man darf sich aber in der Wahlkampfzentrale niemals selbst belügen. Der große und längst wissenschaftlich nachgewiesene Nachteil von Umfragen von Angesicht zu Angesicht besteht in der „sozialen Erwünschtheit“: Die Teilnehmer sind stark geneigt, dem Befrager gesellschaftlich akzeptierte Antworten zu geben und verzerren damit das Ergebnis. Die AfD beispielsweise schneidet in der Regel bei dieser Befragungsmethode deutlich schlechter ab als bei anonymen Online-Befragungen. Und noch etwas erschwert die Auswertung von Angesicht erhobenen Daten: Die Befrager klingeln gern an Haustüren, von denen sie wissen, dass man ihnen öffnet und bereitwillig antwortet. Das sind oft nicht gerade „Wutbürger“ oder besonders Politik-enttäuschte Zeitgenossen.
Kein Wunder also, dass Allensbach im Juli 2021 die Union noch bei 30 Prozent sah, als alle anderen Institute bereits den Einbruch auf 27 Prozent bescheinigten. Am Wahltag Ende September erhielten CDU/CSU dann 24,1 Prozent. Allensbach hatte sich schrittweise diesem Wert angenähert, je näher die Wahl in Sicht kam.
CDU-Politiker Armin Laschet
Alarmierend an den „stabilen Zahlen“ für die Union ist aber auch, dass das Potenzial derjenigen, die sich vorstellen könnten, AfD zu wählen, von bislang 27 auf jetzt 30 Prozent gewachsen ist. Die Hälfte des Potenzials der AfD kommt von der Union. Die Union könnte maximal ein Potenzial von 48 Prozent mobilisieren, wobei allerdings lediglich vier Prozentpunkte von unentschiedenen AfD-Unterstützern kommen. Das Potenzial der AfD wiegt in den Augen von Meinungsforschern allerdings schwere, weil die Hemmschwelle, sich zur AfD zu bekennen, deutlich höher ist als bei anderen Parteien.
„Die Union liegt bei dieser Bundestagswahl noch immer rund sieben Prozentpunkte höher als bei der Wahl 2021“, sagt Hermann Binkert, Chef von INSA-Consulere zu NIUS. „Allerdings profitiert die Union von dem verbreiteten Unmut im Land nicht in dem erwartbaren Maß, weil sie nicht als einzige wirkmächtige Oppositionskraft wahrgenommen wird.“ Mit anderen Worten: Die Wähler sehen in der AfD ebenfalls ein Ventil für ihren Protest.
Auf einen verbreiteten Denkfehler weist Binkert aber ebenfalls hin: Parteien stellen das noch nicht erschlossene Wählerpotenzial gern als Quelle für weiteren Zuspruch zum Aufbessern ihres erwarteten Wahlergebnisses dar. „Man verliert aber auch rasch wieder Prozentpunkte bei den Sympathisanten etwa durch Koalitionsaussagen. Der Union zum Beispiel trauen 38 Prozent laut Allensbach einen Politikwechsel zu. Sobald nach dem gleichen Zutrauen in Verbindung mit Koalitionspartnern wie SPD oder Grünen gefragt wird, brechen diese Werte dramatisch ein. Ob auch nach einer Konstellation von Union und AfD gefragt wurde, ist derzeit nicht bekannt. Auf der CSU-Klausur im oberbayerischen Kloster Seeon hatte man ausdrücklich auf die Erhebung dieser Kombination verzichtet. Diese Variante stelle sich nicht, hieß es.