
Stablecoins wie Tether (USDT) verbinden die Welt des klassischen Bankings mit der Blockchain. An den US-Dollar gekoppelt, ermöglichen sie unmittelbare, grenzenlose Zahlungen – ohne Banken, ohne Clearingstellen, ohne Bürokratie. Vor allem in den Schwellenländern Afrikas und Südamerikas wachsen sie rasant: Es genügt eine App, um Finanztransaktionen Peer-to-Peer sicher und friktionslos abzuwickeln. Stablecoins werden so zur Infrastruktur einer neuen globalen Zahlungsordnung – jenseits der traditionellen Bankenwelt.
Blicken wir hinter den Vorhang des Medienhypes um Kryptowährungen, Hacks und Abzocke, ergibt sich ein interessantes Panorama. Nehmen wir das Beispiel Argentiniens. Hier hat die Krise der nationalen Währung Peso zu einer beschleunigten Dollarisierung der Ökonomie geführt. Der Anteil der US-Stablecoins an den täglichen Transaktionen liegt nach Angaben von „Bastion“ inzwischen gleichauf mit denen der Landeswährung. Ähnliche Entwicklungen können wir im sogenannten „Global South“, in Ländern wie Nigeria oder Brasilien beobachten.Der Siegeszug der Stables scheint hier unaufhaltsam. Immer mehr Menschen votieren mit dem Switch in die digitale Zahlungswelt gegen die schnell abwertenden heimischen Währungen und bedienen sich der digitalen US-Dollar-Schattenbank, wobei insbesondere Tether zum dominierenden Medium avanciert. Mit einem gerade einmal 100 Mann starken Team erzielte Tether im vergangenen Jahr einen Gewinn von 13 Milliarden US-Dollar. Die beeindruckende Profitabilität der Firma unterstreicht den Boom des gesamten Segments, das die parallel wachsende Kapitalisierung von Bitcoin als unabhängigem Asset liquide hält.
Dass Banken den Mantel des Schweigens über den Stablecoin-Markt breiten, ist angesichts dieser Dynamik verständlich. Ein paar Zahlen: Täglich werden globale Transaktionen im Volumen von 130 Milliarden Dollar durch Stables abgewickelt, an denen bald eine halbe Milliarde Menschen partizipieren – eine Banking-Revolution, die wir bislang kaum wahrnehmen, weil sie sich außerhalb der reichen Staaten vollzieht. Und Tether ist mit einem Marktanteil von 70 Prozent der König der „Stables“, die zu 99 Prozent in US-Dollar notieren.
Es mag aus geostrategischer Sicht im Einzelfall kritikwürdig sein, aber es ist die neue Realität, dass Kryptowährungen wie Tether sanktionierten Regimen dienen, Embargos zu umgehen. Russland nutzt den freien Zugang zum Bitcoin-Netzwerk oder Stablecoins, um Teile seines Energiehandels abzurechnen. Seit seinem Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT ist diese neue Technologie zu einem geopolitischen Faktor geworden.
Während die Europäische Union, ihrem bekannten Reaktionsmuster folgend, zunächst versucht zu regulieren, was sowieso nur rudimentär in Europa entwickelt ist, gehen die USA in die Offensive. Hier hat man begonnen, Stablecoins mit dem sogenannten „GENIUS ACT“ in die bestehenden monetären Strukturen zu integrieren. Bitcoin wurde durch die Regierung von Präsident Trump sogar zum Reserve-Asset erklärt und rangiert damit auf einer Ebene mit Gold.
Ihre Stabilität zum realen Dollar erhalten sie, indem sie die geschaffenen digitalen Einheiten äquivalent mit US-Dollars und kurz laufenden US-Staatsanleihen hinterlegen. Angesichts ihrer Wachstumsdynamik bei einem Gesamtvolumen von inzwischen über 210 Milliarden Dollar werden sie zu einer Laderampe für US-Staatsschulden, die sich durch die Adaption der Stables in die Länder dieser Welt verbreiten.
Mit anderen Worten: Ein ägyptischer Kioskbesitzer, der Waren am Großmarkt in Tether zahlt, hat zuvor indirekt US-Anleihen erworben und durch seine Transaktion weitergereicht. Auf diese Weise ist es durchaus denkbar, dass der viel geschmähte Dollar seine dominante Position auf dem Devisenmarkt möglicherweise sogar ausbauen kann. Totgesagte leben bekanntlich länger.
Der beeindruckende Aufstieg Tethers weist auf einen zweiten, sehr gewichtigen Aspekt hin: Neben dem Gebrauch von US-Dollars im Alltag ist Dollarkredit außerhalb des Zugriffs der amerikanischen Notenbank Federal Reserve ein entscheidender Faktor der internationalen Ökonomie. Etwa 57 Prozent der weltweiten Devisenreserven werden in US-Dollars gehalten, die globale Kreditmaschine benötigt als Schmiermittel dollarbasierte Staatsanleihen. Es ist weder der Eurozone noch den BRICS-Staaten gelungen, ein Gegengewicht zum Dollarkredit zu etablieren, das Vertrauen von Investoren in den Greenback bleibt aller Kritik an der Fiskalsituation in den USA ungebrochen.
Hinzu kommt, dass die amerikanische Notenbank mit ihrem Rückzug vom Londoner Finanzplatz (LIBOR) und der Etablierung ihres eigenen Interbankenmarktes (SOFR) die Kosten für Dollarkredit unter ihre Kontrolle gebracht hat und es vielen Schuldnern andernorts schwerfällt, über ausreichend Dollarliquidität zu verfügen. Über 60 Prozent der weltweiten Staatsschulden sind in Dollar taxiert – und die Fed hat mit ihrem schnellen Zinshochlauf auch den Dollar im sogenannten Eurodollarmarkt, dem Markt für Dollar außerhalb der USA, extrem verteuert. Da kommt die Expansion der Dollar-Stablecoins gerade recht.
Der mediale Hype um den Aufstieg der BRICS kann also nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Maschinenraum der Weltwirtschaft vor allen Dingen der US-Dollar zirkuliert – als Tauschmittel wie auch als Kreditvehikel. Sind Tether und Co. nun die Vorstufe zum digitalen Kontrollgeld? Handelt es sich hierbei lediglich um die privatwirtschaftliche Variante des staatlichen CBDC, wie ihn die Europäische Zentralbank im Oktober einzuführen plant?
Die Antwort lautet: Ja und Nein. Digitales Kontrollgeld zeichnet sich im Wesentlichen durch seine Programmier- und Sanktionierbarkeit aus. Dem Staat wird ein Machtvehikel an die Hand gegeben, unliebsame Elemente der Opposition per Knopfdruck ökonomisch kaltzustellen. Das wurde bislang mit Stablecoins nicht praktiziert, ist aber in der Zukunft denkbar, wenn diese reguliert werden.
Stablecoins unterliegen zudem der üblichen Entwertung durch die Geldpresse, die bei der Finanzierung der exorbitanten Staatsdefizite unverzichtbar geworden ist. Ein mit Dollar besicherter Stablecoin wie Tether könnte im Falle eines drastischen Verfalls der zugrunde liegenden Staatsanleihen massiv ins Schlingern geraten. Die Zeichen stehen gerade hier auf Sturm. Die USA stehen vor der Herkulesaufgabe, in diesem Jahr etwa 9,2 Billionen (!) US-Dollar an Schulden in die Zukunft zu rollen – da sind tiefe und liquide Märkte gefragt. Volatilität und Flucht aus US-Staatsanleihen, wie wir sie seit Donald Trumps Zollhammer an den Märkten gesehen haben, kommen da zur Unzeit.
Letztlich schwebt über dem Erfolg der Stables ein Damoklesschwert, das man nicht ignorieren sollte. Stablecoins bleiben angreifbar: Ihre Absicherung über Banken und Dollarreserven macht sie im Ernstfall verwundbar für staatliche Eingriffe – besonders in Zeiten geopolitischer Spannungen oder verschärfter Sanktionen. Droht den Stables also auf lange Sicht das Schicksal ihrer entfernten Verwandten des traditionellen Bankengewerbes und eine straffe Regulierung durch den Kontrollstaat? Für alle, die dieser realistische Gedanke abschreckt, bleibt ein Ausweg: die offene Welt von Bitcoin. Hier verlaufen die Frontlinien unsichtbar, Staaten greifen ins Leere, während Millionen Nutzer und Zehntausende Nodes weltweit das Netzwerk am Leben halten – dezentral und unzensierbar.
Thomas Kolbe ist studierter Volkswirt. Seit über 25 Jahren arbeitet er als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden.