Stegners “Manifest”: ein bisschen Frieden im Kampf gegen die AfD

vor 4 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Wie schreibst du über ein Papier, das im wesentlichen Ralf Stegner verantwortet? Ein multipel gescheiterter 65-Jähriger. Einer der Urväter des Prinzips Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Der mit 31 Jahren seinen ersten nennenswerten Job angetreten hat – in einem sozialdemokratisch geführten Landesministerium. Gar nicht über das Papier zu schreiben, ist da durchaus eine ernst zu nehmende Option.

Doch dieses Papier ist es wert, darüber zu berichten. Nicht wegen derer, die es unterschrieben haben. Das ist eine Parade von Gescheiterten wie Stegner und Ehemaligen wie Hans Eichel oder Norbert Walter-Borjans. Rolf Mützenich fällt gleich in beide Kategorien. Sondern, weil der Text einen Konflikt offenbart, der dazu geführt hat, dass Friedrich Merz (CDU) erst im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler wurde – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Und der das Zeug dazu hat, der Spaltpilz der schwarz-roten Koalition zu werden.

Diese Koalition stellt nun seit gut einem Monat die Regierung. Für CDU und CSU läuft es seitdem ordentlich. Die aktuellen Umfragen deuten darauf hin, dass es der Union gelingt, erste an die AfD verlorene Wähler zurückzugewinnen. Das dürfte unter anderem daran liegen, dass Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) das Konfliktthema illegale Einwanderung angegangen ist und dabei gezielt sprachliche Tabus bricht, mit denen die Linken eine sachliche Diskussion über die real existierenden Probleme unterbunden haben.

Der SPD ist es indes nicht gelungen, ehemalige Wähler wieder anzusprechen. Sie dümpelt in den Umfragen bei den 16 Prozent herum, die sie bei der Bundestagswahl erreicht hat. Ein Wert, der 20 Prozent unter dem bis dahin schlechtesten historischen Ergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl gelegen hat. Die Partei die Linke hat in der Bewegung die Linke die Aggressive Leadership übernommen – sie ist die Partei, die Maximalpositionen vertritt und damit den ideologisierten Teil der Bewegung anspricht.

In der SPD schwelt ein Konflikt, der zum offenen Kampf ausbrechen könnte. Wie etwa bei der verpatzten Merz-Wahl im Bundestag. Der Vorsitzende Lars Klingbeil möchte die Partei modernisieren. Sie soll den Bürger in einer ihm vertrauten Sprache ansprechen, also nicht mehr die Probleme mit Politiksprech wegschwurbeln. Klingbeil hat durchaus verstanden, dass eine unbegrenzte illegale Einwanderung oder eine Duldung von ausländischen Intensivtätern nicht zu vermitteln sind – egal wie milliardenschwer der öffentlich-rechtliche Propaganda-Apparat ist und genau das versucht. Das Papier von Stegner, Mützenich und Co. ist eine Gegenoffensive zu Klingbeils Vorstoß im Parteivorstand. Also ist es durchaus eine Berichterstattung wert.

Womit die Frage aber immer noch nicht beantwortet ist, wie darüber zu berichten ist. Es geht um Ralf Stegner. Die Versuchung ist groß, ihn ins Lächerliche zu ziehen. Der Versuch, es nicht zu tun, ist mehr als schwer. Das beginnt beim Namen. Wie nennt man ein Papier, das Ehemalige und Gescheiterte unterzeichnen? Thesen? Erklärung? Nein. Stegner nennt es “Manifest”. Das klingt so schön nach Karl Marx. Eine Größenordnung, in der sich der Schleswig-Holsteiner offensichtlich selbst sieht. Wobei ihn andere eher in einer Liga mit Jakob Maria Mierscheid wähnen. Es ist schwer, über Ralf Stegner zu berichten, ohne ihn ins Lächerliche zu ziehen.

In dem Papier stellen die Verfasser den Anspruch, dass die SPD “Teil der Friedensbewegung” bleiben müsse. Das ist in etwa so, als ob Heiner Lauterbach auf dem Theater noch den Jugendlichen Liebhaber spielen wollte. Unter den Friedensbewegten ist die SPD längst kein Faktor mehr. Das war sie schon nicht mehr auf den Ostermärschen der 90er Jahre. Das ist sie erst recht nicht mehr, seit Olaf Scholz als Kanzler die “Zeitenwende” ausgerufen und die Bundeswehr mit einem “Sondervermögen” von 100 Milliarden Euro ausgestattet hat. Nun haben sich Klingbeil und Merz in der Regierungsbildung auf eine Änderung der Verfassung geeinigt, die jede Verschuldung ermöglicht, solange sie unter die Ausgaben für Verteidigung fällt. “Whatever it takes.”

Genau an diesem Punkt setzen die Verfasser des “Manifestes” an. Sie sprechen sich gegen “riesige Aufrüstungsprogramme” aus. Diese verstärkten die “Bedrohungswahrnehmung” zwischen der Nato und Russland. Die Autoren wollten eine “schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland”. Die vom Sozialdemokraten und Verteidigungsminister Boris Pistorius angestrebte Erhöhung des Haushalts für Verteidigung auf 3,5 Prozent und für militärische Infrastruktur auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts lehnen die Verfasser des “Manifests” ab. An anderer Stelle bekennen sie sich aber zur Nato und einer verteidigungsfähigen Bundeswehr. Sie wollen also nur ein bisschen Frieden.

An dieser Stelle ist der erste von zwei Gründen zu finden, warum Stegner und Co das “Manifest” veröffentlicht haben: Es ist ein Feilschen um den Haushalt. Zwar haben Merz und Klingbeil den Wunsch der Linken erfüllt, dass die “Schuldenbremse” des Grundgesetzes die staatliche Neuverschuldung nicht mehr effektiv stoppen kann. Aber sie haben eine Barriere auf dem Weg zur ungebremsten Neuverschuldung nicht beseitigt: die Stabilitätskriterien der EU für den Euro. Die besagen, dass die gesamte Verschuldung eines Staates nicht über 60 Prozent seines Bruttoinlandprodukts liegen darf. Eine Hürde, die Deutschland schon jetzt nicht mehr nehmen kann.

In den nächsten beiden Wochen legt Klingbeil als Finanzminister den Entwurf für den Haushalt vor, der für dieses Jahr gelten soll. Für Verteidigung und “Investitionen in die Infrastruktur” darf Klingbeil sorgenlos neue Schulden aufnehmen – dem Aufweichen der Schuldenbremse sei Dank. Doch in den Konsumausgaben schränken ihn die Stabilitätskriterien des Euro ein. Das könnte ihn zwingen, Konsumausgaben zurückzufahren. Etwa die zur Stabilisierung der Rente oder die Ausgaben fürs Bürgergeld.

Wenn die Linken der Partei nun ein “Manifest” veröffentlichen, dann um ihren Vorsitzenden, den Finanzminister, unter Druck zu setzen. Klingbeil soll kreativ werden, um trotz Überschuldung nicht an die Konsumausgaben ranzumüssen. Indem er zum Beispiel die Ausgaben fürs Gesundheitswesen als Ausgaben in die militärische Infrastruktur deklariert. Dann würden ihm sowohl EU als auch Schuldenbremse erlauben, in dem Bereich Schulden zu machen und sich damit in anderen Punkten Spielraum zu verschaffen.

Der zweite Grund für das “Manifest” ist “demokratie-ökonomischer” Natur. Es geht um eine öffentliche Positionierung, die erfolgreich Wählergruppen anspricht. An der Stelle zeigt es sich, warum es wichtig war, Ralf Stegner ernst zu nehmen – auch wenn er Ralf Stegner ist. Denn mit dem “Manifest” wollen die Linken in der SPD die Partei so positionieren, dass sie der AfD, der Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Wähler abjagt. Und das geht so:

Im Deutschlandfunk sagt Stegner, dass es ihm darum gehe, die Friedensbewegten nicht der AfD und dem BSW zu überlassen. Deswegen lehnt er das Manifest sprachlich an Willy Brandt an, wenn er dessen über 50 Jahre altes Schlagwort von der “Entspannung” wieder auskramt. Der Träger des Friedensnobelpreises ist vor 33 Jahren gestorben und war der letzte, der noch für eine SPD stand, die tatsächlich “Teil der Friedensbewegung” war. Stegner will sich nun als Brandts Erbe positionieren. Einer, der stark genug ist, dass Friedensbewegte trotz Pistorius immer noch die SPD wählen können. Einer, der die historische Bedeutung eines Karl Marx hat. Wir wollen trotzdem weiter versuchen, ernst über Ralf Stegner zu berichten. Nur noch kurz.

Er ist zwar Ralf Stegner. Ein multipel gescheiterter Berufspolitiker. Aber der Staatsfunk hofiert ihn. Das Staatsfernsehen präsentiert ihn in seinen Talkshows öfter als alle Vertreter der größten Oppositionspartei AfD zusammen. Er mag zwar kein Händchen für eine positive Selbstdarstellung haben – aber theoretisch hat der ehemalige Pressesprecher eine Ahnung von öffentlicher Darstellung. Sein Promotionsthema lautete: “Theatralische Politik made in USA”.

Stegner hat durchaus verstanden, dass die AfD, das BSW und bedingt auch die Linken mit der Angst vor einer Eskalation des Ukraine-Krieges in der Wahl gepunktet haben und jetzt immer noch punkten. Ebenso ist Stegner bewusst, dass eine Partei nicht gleichzeitig für Sozialausgaben und ungebremste Verteidigungsausgaben stehen kann. Selbst wenn es Klingbeil gelänge, die Sozialausgaben hochzuhalten oder sogar noch auszubauen.

Aber letztlich ist das “Manifest” genau der Versuch dieses Spagats. Wenn Friedensbewegte von Pistorius frustriert sind, weil der die Ausgaben allein für die Bundeswehr schrittweise auf 135 Milliarden Euro erhöht – dann soll Stegner so stark glänzen, dass die Frustrierten trotz Pistorius und wegen Stegner immer noch die SPD wählen. Diese Strahlkraft traut er sich selbst tatsächlich zu. Es ist wirklich schwer, ernsthaft über Ralf Stegner zu berichten.

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