
Der Stern hat es wieder getan. Nach dem skandalösen Artikel, in dem VW-Arbeiter als „Made im Speck“ diffamiert wurden – ein Ausdruck tiefster Geringschätzung gegenüber Menschen, die ihr Leben lang im Schichtdienst und unter industriellen Belastungen gearbeitet haben –, richtet sich die Verachtung des Hamburger Magazins nun gegen die nächste Berufsgruppe: die Bäcker.
In einem aktuellen Beitrag unterstellt der Stern den Bäckereien des Landes pauschal, sie würden die Preise „seit Jahren immer weiter rauf treiben“ – und manche würden sich dabei schlichtweg „die Taschen voll machen“.
Diese Aussage ist nicht nur zynisch, sie ist ein Tiefpunkt. Denn sie trifft eine Branche, die in den letzten Jahren unter der Last der explodierenden Energiepreise, wachsender Bürokratie, steigender Lohnnebenkosten und existenzbedrohender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in die Knie gegangen ist. Ein rein gequetschtes „geschätzte“ vor Handwerker ist vergiftet.
Zahllose Betriebe haben geschlossen, Traditionsunternehmen aufgegeben, andere kämpfen täglich ums Überleben – das belegen zahlreiche Berichte quer durch die Republik. Doch das scheint beim Stern nicht viel zu zählen – oder man ignoriert es bewusst. Anders ist eine solch miese Aussage „sich die Taschen vollzumachen“ nicht zu erklären. Zumal „sich die Taschen vollmachen“ als Kriterium und Kritik vom Stern nach oben hin, sagen wir es wohlwollend, deutlich in Grenzen hält, während man Modestrecken mit Luisa Neubauer oder grün-zugetane Gefälligkeitsportraits der grünen Polizistenhasserkartoffel Jette Nietzard bringt.
Alles was erzeugt braucht Energie. Beim Brot fängst das beim Bauern an. Er muss säen, düngen, das Feld von Unkraut freihalten, damit dem Weizen keine Nährstoffe verlorengehen, er muss ernten. Ist das alles erledigt, wird der Weizen zu einer Mühle gefahren, gemahlen und an Verkaufsstationen im ganzen Land verteilt.
Vaclav Smil beschreibt in seinem Buch “Wie die Welt wirklich funktioniert”, wie viel Arbeit und Energie dafür benötigt wird. Vor zweihundert Jahren benötigte ein Bauer 10 Minuten zur Herstellung von 1 kg Weizen und die entsprechende Energie von 250 Litern Diesel für den Hektar. Heute benötigt ein Bauer 2 Sekunden für die Produktion von 1 kg Weizen aber das Zehnfache, nämlich 2.500 Liter Diesel für den Hektar.
Ist das aus dem Korn gemahlene Mehl dann im Großhandel, kauft es der Bäcker, bzw. heute hauptsächlich eine Firma, die Backvorprodukte herstellt, verarbeitet es zu Brot, Semmeln, Brezen, etc, bzw. eben zu Backvorprodukten, die dann eingefroren werden und tiefgekühlt in das Bäckereigeschäft transportiert werden, wo sie aufgetaut und gebacken werden.
Da nun der Bäcker seine Backstube wegen hoher Mieten nicht in bester Innenstadtlage haben wird, müssen die Brote, Semmeln und Brezen dann in die Geschäfte in die Innenstadt transportiert werden. Denn auch wenn die grünen Kiez-Bewohner von einem Autofreien Lastenfahrrad-Paradies träumen, alles was sie konsumieren muss mit Dieselgetriebenen Fahrzeugen in ihr Paradies transportiert werden.
Und das kostet nochmal. Dazu kommen jetzt die künstlichen erzeugten Staus durch Fahrbahnverengungen für Fahrradwege. Das bedeutet, die Fahrzeiten steigen und der Fahrer kann statt x Lieferungen nur mehr x – y Lieferungen erledigen. Viele Transporteure verlangen aus diesem Grund mittlerweile Aufschläge für die Lieferung im Innenstadtbereich.
Aber das sind noch nicht alle Ursachen für steigende Brotpreise. Steigende Löhne, steigende Lohnnebenkosten für nichtzahlende Bezieher, immer neue Auflagen der EU, die erfüllt werden müssen. All das erhöht die Kosten und damit die Preise. Ein Großteil der Verbraucher bezahlt also nur, was sie gewählt haben.
Stattdessen wird ein Unternehmer, der seine Preise senken kann, zum Maßstab hochstilisiert und daraus ein Generalverdacht gegen eine ganze Branche konstruiert. Ein typischer Fall von Einzelbeispiel-Propaganda mit kalkuliertem Klassenhass. Denn das eigentliche Ziel scheint nicht die Information zu sein, sondern die moralische Diskreditierung: Die Botschaft lautet: während „wir“ unter der Inflation leiden, kassieren die anderen ab. Der klassische Spaltpilz.
Dass es sich dabei um kleine und mittelständische Familienbetriebe handelt, die Lehrlinge ausbilden, Arbeitsplätze schaffen, Steuern zahlen und noch echte Handwerkskunst pflegen, interessiert den Stern nicht. Stattdessen werden Bäcker pauschal zum Feindbild stilisiert – genau wie zuvor die Arbeiter bei Volkswagen, die man genüsslich zum Symbol für angeblich dekadente Industriekultur erklärte.
Was sich hier zeigt, ist ein journalistisches Klima, das zunehmend von Verachtung gegenüber der arbeitenden Bevölkerung geprägt ist. Es sind genau die Menschen, die dieses Land tragen, die früh aufstehen, Überstunden machen, durchhalten und die nun im Stern als Gierhälse und Ausbeuter vorgeführt werden. Das ist nicht nur intellektuell billig, es ist gesellschaftlich brandgefährlich.
Was der Stern also bejammert sind die Folgen der Politik seiner grün-roten Freunde, die der Stern jede Woche propagiert. Der Applaus für solche Artikel kommt dann auch nur noch aus Redaktionskreisen und schmaler werdenden Bluesky-Bubbles.
Was sich im Stern-Artikel über die angeblich gierigen Bäcker ausdrückt, ist exakt das, was Alexander Wendt in „Verachtung nach unten“ als zentrales Symptom einer entkoppelten Medienelite beschreibt: der Blick auf das sogenannte „kleine Volk“ nicht als Teil der Gesellschaft, sondern als kulturelles Objekt, das belehrt, korrigiert oder im besten Fall verspottet werden muss. Uwe Tellkamp benennt in seiner Rezension das Kernproblem: Die moderne „wohlgesinnte“ Schicht schreibt nicht mehr für das Volk – sondern über es. Und genau das geschieht, wenn man Bäckereien, die ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, implizit unterstellt, sie würden die Krise schamlos ausnutzen.
Die moralische Arroganz, die aus solchen Texten spricht, ist nichts anderes als eine moderne Form sozialer Ausgrenzung – höflich verpackt in den Duktus scheinbarer Aufklärung. Was früher offen als Klassenverachtung auftrat, kommt heute im Mantel des Journalismus daher, der seine Legitimation aus „Haltung“ zieht, nicht aus Fakten. Der Bäcker, der Schlosser, der Fließbandarbeiter: Sie sind für diese Art von Autoren nicht Gesprächspartner auf Augenhöhe, sondern Projektionsflächen einer Welt, die man kulturell längst verlassen hat und deshalb als „rückständig“, „unsolidarisch“ oder eben „gierig“ abwerten kann. Der Stern liefert dafür das jüngste und entlarvendste Beispiel.