
Kaiser Wilhelm II. hält drohend eine Pistole in der Hand. „STOP SCROLLING. Say one word in German“, steht darüber. Der Meme-Account „Declaration of Memes“ eines amerikanischen X-Users, der sich selbst Liberty Cappy nennt, hatte dieses Bild gepostet. „I Meme For Freedom“, lautet sein Mantra, er will mit kritischer Satire ein politisches Zeichen setzen. Die „Sag ein Wort auf Deutsch“-Aufforderung war zuvor schon mit anderen Sprachen, vor allem in der Meme-Szene von X durchs Netz gegangen.
Ein X-Account aus Deutschland folgt seinem Aufruf: „Alles für Deutschland“, antwortet er mit einem salutierenden Emoji. Er hat zu dem Zeitpunkt nur wenige Follower auf seinem Account. Der Post wurde Wochen später nur zehn Mal gesehen. Und doch bleibt er nicht unbemerkt und wird von der Meldestelle „REspect!“ aufgespürt.
REspect!, ein Projekt der Jugendstiftung Baden-Württemberg, hat sich auf „Hetze im Netz“ spezialisiert, kooperiert mit der Bayerischen Staatsregierung und wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen von „Demokratie leben!“ sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales. Es gehört auch zu dem Netzwerk der Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) des Bundeskriminalamtes.
Die Mitarbeiter von REspect! befinden den Tweet für strafbar und so landet er direkt beim Bundeskriminalamt. Nach polizeilichen Ermittlungen wird der Account mit einem Mann aus Chemnitz in Verbindung gebracht und der Fall an die Polizei Chemnitz weitergegeben. Und so kam es, dass René R. Post von der Polizei erhält, weil er einen Tweet geschrieben haben soll, den kaum jemand gesehen hat.
Bei „Alles für Deutschland“ handele es sich um eine „nationalistische Parole“, die als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (Paragraf 86a Strafgesetzbuch) strafbar ist. Ob er wusste, dass dieser Satz einen politischen Hintergrund hat, will die Polizei von ihm wissen. Er soll Aussagen über seine Lebens- und Einkommensverhältnisse machen. René R. sieht sich mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren konfrontiert, bei dem auf die vorgeworfene Straftat die Höchststrafe von drei Jahren Haft steht. Er nimmt Akteneinsicht.
Kurz darauf erlässt das Amtsgericht Chemnitz einen Strafbefehl. Der junge Familienvater soll für den ihm zugeschriebenen Tweet 60 Tagessätze Geldstrafe zahlen, also zwei Monatseinkommen. Der auf Schätzungen des Amtsgerichts Chemnitz beruhende Gesamtbetrag liegt bei 3.000 Euro. Durch seinen Verteidiger Walther Wegner legte er Einspruch gegen den Strafbefehl ein, andernfalls wäre er rechtskräftig geworden und R. würde als verurteilt gelten.
Die Begründung des Strafbefehls ist kurz. Zweck von Paragraf 86a Strafgesetzbuch ist, dass Symbole und Parolen verfassungsfeindlicher oder terroristischer Vereinigungen nicht normalisiert werden. Hauptanwendungsfall ist der Nationalsozialismus. Sinn und Kontext der Äußerungen finden nur über Ausnahmen Berücksichtigung, beispielsweise bei einer Verwendung im Rahmen von Kunst, Wissenschaft oder der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens. Im Strafbefehl wird auf all dies nicht eingegangen, auch nicht darauf, dass der Tweet so gut wie nicht gesehen wurde. Der Fall scheint für die Staatsanwaltschaft eindeutig.
Rechtsanwalt Wegner kommentierte gegenüber Apollo News: „Die Strafverfolgung von Internetäußerungen nimmt bedenkliche Züge an. Wir erleben, dass staatlich finanzierte Meldestellen Social-Media-Plattformen aktiv durchsuchen und Posts aufspüren, die sonst kein Mensch gesehen hätte und die erst recht niemanden interessiert hätten. Die überarbeiteten Staatsanwaltschaften beantragen ohne erkennbare Einzelfallabwägung Strafbefehle mit teilweise unverhältnismäßig hohen Tagessätzen.“
„Der Abschreckungseffekt auf Bürger und damit die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist verheerend. Ich rate dazu, solche Strafbefehle anwaltlich prüfen zu lassen und sich gegebenenfalls zu wehren.“ Besonders in Fällen von offensichtlich unverhältnismäßigem Vorgehen hat man gute Chancen. Apollo News berichtete bereits über einen anderen Fall von Rechtsanwalt Wegner, bei dem der Student David Duhme ebenfalls wegen eines Memes auf X nach Paragraf 86a Strafgesetzbuch einen Strafbefehl erhielt. Nach monatelangem, umfassendem Ermittlungsverfahren wurde das Verfahren eingestellt, nachdem Duhme den Anwalt einschaltete und Einspruch einlegen ließ.
Der Fall von René R. kommt nun wohl vor Gericht. Die Hoffnung besteht, dass hier differenzierter betrachtet wird. Bis dahin reiht er sich in einen Trend der Strafjustiz ein, in dem Äußerungsdelikte unangemessen hart verfolgt und bestraft werden, besonders wenn sie politisch kritisch sind.