
Eigentlich schon abgewählt, steht jetzt einiges auf der Agenda des 20. Deutschen Bundestags: Denn Union, SPD und Grüne haben dort noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit und wollen diese offenbar noch schnell nutzen, um entscheidende Grundgesetzänderungen auf den Weg zu bringen, bis in knapp einem Monat der gerade frisch gewählte neue 21. Bundestag zusammentritt. In dem gibt es nämlich keine Mehrheit mehr ohne zumindest noch Linke oder AfD, die beide auf über ein Drittel der Sitze kommen.
Man will Schulden aufnehmen, dabei sind sich quasi alle „Parteien der Mitte“ einig – nur nicht über die Höhe. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes verhindert das aber bisher. SPD und Grüne wollen sich die Schuldenbremse daher am liebsten gleich vorknöpfen. Die Union schielt eher auf ein weiteres Sondervermögen. Am dringendsten sieht man jedenfalls das Thema Verteidigungsausgaben – der Trump-Schock hat eingesetzt und so langsam ist man sich einig, dass die bisherige Scholz-„Zeitenwende“ keine war.
Ein weiteres Sondervermögen braucht jedenfalls auch eine Grundgesetzänderung und hat im neuen Bundestag durch Linke- und AfD-Ablehnung bzw. der Brandmauer genauso wenig eine Mehrheit. Noch einmal ein reines Sondervermögen zur Verteidigung, wie 2022 zu Beginn der jetzigen Legislaturperiode wäre, ist denkbar und mit Merz wohl schnell machbar – aber aktuell klingt es danach, als würden SPD und Grüne ein solches Sondervermögen gerne so breit wie möglich fassen. Unter dem Schirm eines Sicherheitsbegriffs könne man ja viele Punkte angehen, heißt es im politischen Berlin.
Brücken, Straßen, Bahngleise und Infrastruktur überhaupt müssen ja im Kriegsfall bestens in Stand sein, so die angedachte Argumentation. Entsprechende Ausgaben könnten dann ebenfalls Teil der Verwendung des Sondervermögens werden. Aus dem Rüstungsvorhaben würde dann womöglich schnell ein Infrastrukturprojekt.
Und wer die Grünen kennt, der weiß, das Thema „Sicherheit“ kann man dort sehr weit ausdehnen. Schon im Wahlkampf zur Bundestagswahl erklärte etwa Annalena Baerbock: „Klimaschutz ist harte Sicherheits- und Geopolitik.“ Bei den Grünen ist die „Klimakrise […] die größte Sicherheitsgefahr unserer Zeit“, wie die Noch-Außenministerin es formuliert. „Wer Sicherheit denkt, muss Klima mitdenken.“
Und auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze von der SPD pflegt schließlich stets gebetsmühlenartig zu betonen: „Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik.“ Aus ihrer Sicht könne „Verteidigungspolitik entwicklungspolitische Initiativen für menschliche Sicherheit, für Ernährung, Geschlechtergerechtigkeit, Klimaschutz und Gesundheit unterstützen, sodass die Menschen ihr Leben in der eigenen Hand haben.“
Kurzum: Ein „Sicherheits“-Sondervermögen kann schnell alles Mögliche finanzieren. Das würde dann natürlich auch den harten militärischen Kern weiter verwässern – und wenn man es ernst meint, dazu führen, dass das Gesamtpaket noch größer ausfallen muss.
Klar, die Union will aller Voraussicht nach eine enge Sicherheitsdefinition, aber anders als beim ersten Sondervermögen steht sie jetzt unter Zugzwang: Merz muss diesmal aus der Perspektive des nächsten Kanzlers verhandeln, nicht aus der des Oppositionsführers, von dem die Ampel etwas will – wie noch beim Sondervermögen 2022. Und da sehr bald Schluss ist mit dem abgewählten Bundestag und den alten Mehrheiten, drängt für ihn die Zeit.
Gut möglich, dass die Union jetzt mehr Kompromisse macht. Innerparteilich gibt es jedenfalls noch abenteuerliche Gedanken: So will Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther auf die Linke zugehen und gemeinsam mit der Partei im neuen Bundestag die Schuldenbremse über den Haufen werfen. Die Schuldenbremse killen und dabei auch noch die Brandmauer ausgerechnet nach links aufreißen und mit der Ex-SED-Partei das Grundgesetz ändern? Wenn das die Alternative ist, ist es nicht schwer vorzustellen, dass viele in der Union dann womöglich lieber ein mit nicht-militärischen Vorhaben aufgeblähtes Sondervermögen schlucken. Denn die Zeit rennt: Mit jedem Tag rückt die konstituierende Sitzung des nächsten Bundestags – mit AfD und Linke in doppelter Stärke – näher.