
Während Israel sich im Krieg mit der islamistischen Terrororganisation Hamas befindet, sendet Bundeskanzler Friedrich Merz irritierende Signale aus, die sich kontraproduktiv auf die Situation in Nahost auswirken. Dabei müsste er gerade jetzt Standhaftigkeit beweisen. Kann die Union ihn wieder auf Kurs bringen?
Anders als die SPD, die seit jeher eine eher distanzierte Haltung zu Israel pflegt, kann sich die Union zugutehalten, für die deutsche Solidarität mit Israel zu stehen. Der Sozialdemokrat Willy Brandt untersagte im Yom-Kippur-Krieg 1973 den Amerikanern Nachschublieferungen an Israels Militär über deutsches Gebiet, der Sozialdemokrat Helmut Schmidt legte sich öffentlich mit Premierminister Menachem Begin an, der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel sprach in Hebron von „Apartheid“.
Die Union hingegen? Es war Konrad Adenauer, der als erster Bundeskanzler den Grundstein für die deutsch-israelischen Beziehungen legte, eine moralische und politische Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel sah – auch wenn er vor allem die Rehabilitation der Bundesrepublik in der Weltgemeinschaft im Blick hatte. Er setzte 1952 das Luxemburger Abkommen durch, das Entschädigungszahlungen von drei Milliarden Mark an Israel zusicherte, trotz Widerständen in der eigenen Partei und der Bevölkerung. Sein Treffen mit David Ben-Gurion 1960 in New York markierte einen historischen Schritt in der Aussöhnung.
Historisches Treffen 1960 in New York: Bundeskanzler Konrad Adenauer mit Israels Premier David Ben-Gurion.
Ludwig Erhard entschied sich trotz Widerstands im Kabinett und im Auswärtigen Amt für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, die seit nunmehr 60 Jahren mit Höhen und Tiefen gepflegt werden. Helmut Kohl betonte die historische Verantwortung Deutschlands und stärkte die Beziehungen zu Israel durch europäische Integration und bilaterale Zusammenarbeit. Und Angela Merkel prägte den Begriff der „deutschen Staatsräson“ in Bezug auf die Sicherheit Israels.
„Wir stellen uns der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel. Wir treten für das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat in sicheren Grenzen ein“, hieß es im CDU-Grundsatzprogramm 2007. Daraus leitet sich keineswegs unbedingte Zustimmung zu Jerusalems Positionen in allen Sachfragen ab, jedoch allemal das Eintreten für das Existenzrecht Israels in einer Zeit, in der das kleine Land am Rand des östlichen Mittelmeeres heftigen Angriffen und Terror gleich von mehreren Seiten ausgesetzt ist. Es lässt keinen Raum für spitzfindige Interpretationen: In der Stunde der Not haben wir Israel beizustehen.
Wie aber sieht die Haltung der CDU unter Bundeskanzler Friedrich Merz aus?
Während einige Unionspolitiker wie Roderich Kiesewetter, Alexander Dobrindt, Gitta Connemann oder Daniela Ludwig („Wahre Freundschaft zeigt sich besonders in schwierigen Zeiten“) keinen Zweifel an ihrer Solidarität mit dem jüdischen Staat lassen, fielen Außenminister Johann Wadephul, im Verein mit den Diplomaten des traditionell Israel eher unfreundlich gesinnten Auswärtigen Amtes, und Kanzler Merz selbst mit widersprüchlichen, bisweilen verstörenden Äußerungen auf.
Von „Zwangssolidarität“ sprach Wadephul, der einst im Beirat der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft saß, vom „völkerrechtswidrigen Handeln“ der israelischen Regierung, von „Unverhältnismäßigkeit“ militärischer Maßnahmen. Er frage sich, ob alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können, „ob dies langfristig der Sicherheit Israels dient“ – als wüsste er besser als die Israelis selbst, welche sicherheitspolitische Strategie sie in der unruhigsten Nachbarschaft auf diesem Planeten verfolgen sollten.
Seit die israelische Armee als Folge des terroristischen Überfalls auf grenznahe Orte und dem schlimmsten Massaker an Juden seit dem Holocaust im Gazastreifen operiert, um die Hamas-Herrschaft zu stürzen und die verbliebenen Geiseln zu befreien (darunter noch immer sieben mit deutscher Staatsbürgerschaft) nimmt der antisemitische Furor weltweit zu. Auf die wenigen verbliebenen Freunde Israels wird politischer und medialer Druck aufgebaut. Der Kriegsgrund, der Terror der Hamas, ist vergessen. Der Hauptvorwurf lautet jetzt: Israel begeht einen Völkermord an den Palästinensern – und setzt Hunger als Waffe ein.
Um die Emotionen zu schüren, werden Bilder um die Welt geschickt, die eine Hungersnot in Gaza belegen sollen, und die oft genug nur schwerkranke Kinder zeigen, die aber als Opfer des Hungers dargestellt werden. Das jüngste Beispiel ist ein Foto, das den kleinen Muhammad Zakariya Ayyoub al-Matouq mit seiner Mutter zeigt (NIUS berichtete). Alle westlichen Medien verbreiteten das Foto des Kindes, buchstäblich nur Haut und Knochen, als Beleg für die vermeintliche Hungersnot in im Gazastreifen. Die Zeit etwa titelte: „So sieht Hunger aus“.
Auch das heute journal und der stern schlugen in dieselbe Kerbe. Dann stellte sich heraus, dass Muhammad an Zerebralparese leidet, sein tragischer Zustand also nichts mit der Lebensmittelversorgung in Gaza zu tun hat. Als der britische Investigativjournalist David Collier das kürzlich herausfand und veröffentlichte, sah sich immerhin die New York Times, die das Bild ebenfalls gebracht hatte, zu einer Korrektur gezwungen.
Wer sich selbst etwas eingehender mit der Materie beschäftigt, weiß, dass es sich bei der Behauptung vom Aushungern der Bevölkerung in Gaza um skrupellose Propaganda der Hamas handelt, die ihre Felle auf dem urbanen Schlachtfeld davonschwimmen sieht. Friedrich Merz könnte, wenn er die zweifellos schreckliche humanitäre Situation in Gaza beklagt, zumindest den Rat von Leuten einholen, die keine antiisraelische Agenda verfolgen.
Im Fall des irreführenden Fotos etwa müsste der Kanzler jetzt den Rücken gerademachen und eingestehen: „Ich bin einer Fehlinformation aufgesessen. Diese Bilder, die da verbreitet werden, stammen aus zweifelhaften Quellen und sollen offensichtlich der Verbreitung einer gewissen Agenda dienen, die Israel diskreditiert.“ Schließlich sind es deutsche Politiker, die sich immer wieder über „Fakenews“ und „Desinformation“ beklagen, hier haben sie es mit eindeutigen Fällen zu tun.
Stattdessen darf Jordaniens König Abdullah bei seinem Besuch in Berlin in der Pressekonferenz unwidersprochen behaupten, leider werde „die Bürokratie [von der israelischen Regierung] als ein Werkzeug genutzt, um das Volk von Gaza in den Hunger zu treiben“ – der leicht abgewandelte Slogan vom „Hunger als Waffe“. Merz widersprach nicht und hatte damit seinen „Scholz-Moment“: Im August 2022 hatte Olaf Scholz an selber Stelle geschwiegen, als „Palästinenserpräsident“ Mahmud Abbas behauptete, Israel habe „50 Holocausts“ an den Palästinensern begangen.
Merz und Abdullah verkündeten die Einrichtung einer Luftbrücke von Jordanien nach Gaza. Der Kanzler wörtlich: „Diese Arbeit mag humanitär nur einen kleinen Beitrag leisten. Aber sie ist ein wichtiges Signal. Wir sind in der Region. Wir sind da. Wir helfen.“ Womit er suggerierte, den Menschen in Gaza gehe es wegen Israel schlecht, wir Deutschen jedoch spielten endlich einmal die Rolle des edlen Retters.
Gleichzeitig sandte Merz auch ein Signal an seine Kritiker aus, die ihm vorwerfen, auf Israels Seite zu stehen. Insbesondere die Muslime im Land, die nahezu täglich vehement gegen Israel hetzen und der Regierung vorwerfen, Israel beim „Genozid“ in Gaza zu unterstützen, sollen beschwichtigt werden. Deutlichstes Zeichen dafür: Am Dienstag verkündete Friedrich Merz die Luftbrücke auf der Plattform X mit Tweets in arabischer Sprache.
Dabei muss klar sein: Nahezu alles, was an Hilfsgütern in Gaza ankommt, wird in die Hände der Hamas fallen, die als bewaffnete Macht jeden Zivilisten von den Fleischtöpfen vertreiben kann und es auch schon lange tut. Hätten die Alliierten die deutsche Bevölkerung in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs aus der Luft versorgt, würde dies auch nur dafür gesorgt haben, die Herrschaft der SS zu stabilisieren.
Lkw mit Hilfsgütern werden von der Hamas gekapert.
Statt mitzuhelfen, die Terror-Herrschaft zu stürzen, hilft man ihr de facto, erst einmal weiterzuleben. Aufgeben werden die Dschihadisten ohnehin nicht, solange der Westen in Gestalt von Macrons Frankreich oder Starmers Großbritannien die Anerkennung eines Palästinenserstaates in Aussicht stellt. Appeasement gegenüber den Terroristen verlängert den Krieg, statt ihn zu beenden.
Konservative wissen das eigentlich, selbst Helmut Schmidt, ein Sozialdemokrat alter Schule, wusste es: Nachgeben gegenüber dem Terror bedeutet, ihn noch anzuheizen, statt ihn zu besänftigen. Im Wahlkampf hat sich Friedrich Merz als Realpolitiker inszeniert, aber auch als Konservativer, der („Links ist vorbei!“) zu seinen Überzeugungen steht. Noch zu Ampel-Zeiten versprach er, das „Lavieren“ und die „erkennbare Täuschung“ der rot-grünen Regierung hätten mit seiner Kanzlerschaft ein Ende.
Und jetzt? Merz scheint hin- und hergerissen zu sein. Er steht unter Druck der veröffentlichten Meinung, der Medien, der hasserfüllten Demonstranten auf unseren Straßen, der Politiker im In- und Ausland – von Klingbeil bis Macron. Der Kanzler, stets bemüht um Zustimmung, kann sich zwischen Zuschauen, Tadeln, Einmischen und Drohen nicht entscheiden, fühlt sich zwischen den Fronten sichtlich unwohl. Er hat versprochen, zu „führen“ – und scheint doch nur wie ein Getriebener.
In der Zange zwischen Macron und Starmer: Merz spielt endlich international eine Rolle – nur was für eine?
In dieser Situation müsste Merz standhaft bleiben, auch wenn es unpopulär scheint. Man kann nicht einerseits routinemäßig die Freilassung der (teils auch deutschen) Geiseln in den Tunneln der Hamas anmahnen und gleichzeitig auf ein „Unentschieden“ im Gaza-Krieg hinarbeiten, das die Terroristen am Leben erhält und nur ein Garant für den nächsten und übernächsten Krieg (zulasten von Palästinensern und Israelis) wäre.
Mit seinem wankelmütigen Auftreten in der Gaza-Frage verstimmt der Kanzler auch Mitglieder seiner eigenen Partei. Die Junge Union Hessen bekundete eben ihr „wachsendes Befremden“ über seine jüngsten Äußerungen. Merz verliere die klare Haltung gegenüber der Hamas – und entferne sich in seiner Rhetorik von Israel, dem er „unverbrüchliche Solidarität“ zugesagt habe. In ihrem offenen Brief schreiben sie laut Bild: „Wir dürfen unsere eigenen Überzeugungen nicht aufgeben, nur weil einige europäische Partner bereits beginnen, in ihrer Haltung einzuknicken.“
Merz sollte diese Stimmen ernst nehmen. Eifert er den E3-Partnern Macron und Starmer auch bei der verantwortungslosen Anerkennung eines Palästinenserstaates nach, wäre das nur ein weiterer Beleg für seine Neigung, dem Drängen der Linken nachzugeben. Das Gegenteil wäre richtig: zu seiner Äußerung zu stehen, dass Israel „die Drecksarbeit für uns alle“ macht, weil der islamistische Terror eben nicht nur den jüdischen Staat bedroht, sondern den gesamten Westen.
Der Kampf gegen den Terror, gegen Dschihadisten, die uns den Krieg erklärt haben, mag unpopulär sein, teuer und verlustreich, aber vor ihm zu kapitulieren, wäre ungleich verheerender. Völlig unverantwortlich wäre es, Israel – neben Amerika der wichtigste Verbündete in diesem Kampf – in dieser historischen Stunde im Stich zu lassen. Vielmehr bräuchte es die klare Ansage eines standhaften Staatsmannes: Wir wackeln nicht, wir stehen dem bedrohten Israel im Krieg gegen die Hamas ohne jeden Zweifel solidarisch bei und vermeiden alles, was einen gegenteiligen Eindruck erweckt. Über eine Zweistaatenlösung und einen Staat Palästina reden wir erst, wenn sichergestellt ist, dass er kein Hamas-Staat, kein Dschihadisten-Staat wird.
Man kann nur hoffen, dass sich in der Union genügend Aufrechte finden, die ihn dazu ermutigen.
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