
In der Politik kann Nichtstun Gold sein: In den zurückliegenden Jahren stiegen die Beliebtheitswerte der jeweiligen Bundesregierung nicht selten während der Sommerpause. Wenn die Bürger nichts aus Berlin hörten, fühlten sie sich offenbar wohl und waren zufrieden.
Der aktuellen Koalition aus Union und SPD unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) will dieser Umfrage-Auftrieb zumindest bislang nicht gelingen. Union und SPD liegen noch unterhalb ihres desaströsen Ergebnisses bei der Bundestagswahl (28,5 bzw. 16,4 Prozent), während die AfD sich bei rund 25 Prozent fest eingerichtet zu haben scheint.
Am Mittwoch wird Friedrich Merz zum letzten Mal die Kabinettsitzung leiten und dann mit seinen Ministern in die „Betriebsferien“ gehen. Doch eine Erholung des miserablen Betriebsklimas in der Koalition ist davon nicht zu erwarten. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) wird nicht müde, auf längere Lebensarbeitszeit und eine tiefgreifende Rentenreform zu drängen. Sozialministerin und SPD-Chefin Bärbel Bas lehnt das ab.
Friedrich Merz läutet zum Beginn einer Kabinettssitzung.
Bundesfinanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil ist offen für Steuererhöhungen, sein Generalsekretär Tim Klüssendorf will sich „sehr unnachgiebig“ für Reichen- und Vermögenssteuer einsetzen. Die Union lehnt das ab. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will Verbeamtungen drastisch reduzieren, CSU-Chef Markus Söder möchte sämtliche Ukrainer aus dem Bürgergeld nehmen und nach Asylbewerberleistungsgesetz versorgen. Jeder, der ein wenig Erfahrung mit Bund-Länder-Zuständigkeiten und Sozialreformen hat, weiß: Beides wird nicht kommen.
Lars Klingbeil und Tim Klüssendorf wollen Steuererhöhungen.
Union und SPD befinden sich 90 Tage nach Regierungsantritt im Parade-Modus, wollen ihren Anhängern zeigen, welche Politik sie eigentlich machen würden, wenn sie nur könnten und der Koalitionspartner es zulassen würde. Eine ganze Reihe zwischen den Partnern völlig unverträglicher, programmatischer Sprengbomben wurden zudem in Kommissionen ausgelagert, die das Selbstbestimmungsgesetz (einmal jährlich Geschlechtswechsel) „evaluieren“, Rente und Schuldenbremse reformieren (sprich: lockern) und den Sozialstaat verschlanken sollen. Und in der Israel-Politik irrlichtert die Union sogar ganz ohne SPD ...
Mit anderen Worten: Ein Herbst der Blockaden und Krisen ist weit wahrscheinlicher als alle Ankündigungen.
Das Problem: Beide Parteien sind in ihrer eigenen Basis längst nicht mehr verwurzelt. Über die Regenbogen-Allüren, das Enteignungsgesetz und die Chaos-Demonstrationen auf den Straßen des Regierenden CDU-Bürgermeisters von Berlin, Kai Wegner, schütteln sie in der Union den Kopf, während der Junge-Union-Chef der Hauptstadt, Harald Burkart zu Protokoll gibt, endlich nicht mehr als „Gurkentruppe“ wahrgenommen werden zu wollen.
Die SPD-Basis läuft still und leise zur AfD über, bekommt von den Spitzen-Genossen aber verlässlich nichts als die alten Sozialstaatsrezepte vorgesetzt, die immer weiter Richtung einstelligen Umfragen führen. Migrations-, Entwicklungs-, Klima-, Identitäts- und Ukraine-Politik sollen die SPD-Brüder und Schwestern wieder zur Sonne, zur Freiheit führen, scheitern aber gleichermaßen an der Realität und der Union.
Kurz: Der politische Herbst in Deutschland sieht so düster aus, wie der Himmel des vermeintlichen Hitze-Sommers in diesen Tagen. Läuft.
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