Stuttgarts Kämmerer schlägt Alarm

vor 18 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

In Deutschland galt einmal die Regel, sozialpolitisch zu verteilen, was ethisch geboten schien und die Privatwirtschaft nicht über Gebühr belastete. Bis zur Wendezeit hielt man sich auch im Großen und Ganzen daran. Selbstverständlich verfielen auch Politiker in den Jahrzehnten zuvor immer wieder in das bekannte Verhaltensmuster, ökonomische Krisen mit billigem Kredit zu übermalen. Doch hatte man das Ausgabenverhalten weitgehend unter Kontrolle, der Schuldenberg war stets eher ein langsam wachsender Hügel im Mittelgebirge des Schuldenpanoramas.

Mit dem Wandel der politischen Klasse veränderte sich auch der intellektuelle Horizont. Eine Hybris, ein Machbarkeitsglaube, um nicht zu sagen, ein Gestaltungswahn, traten an den Platz, an dem zuvor fiskalische Seriosität hoch im Kurs stand. Der über zwei Generationen hinweg stabilisierte ökonomische Erfolg Deutschlands machte die Politik blind für die Fragilität komplexer Ökonomien.

Nur so ist zu erklären, dass sich die politische Führung an Industriestandorten wie Stuttgart, Wolfsburg, oder Ludwigshafen widerstandslos in das verrückte Abenteuer der grünen Transformation stürzte, ohne die inhärente Gefahr eines ökonomischen Kollapses zu erkennen.

Die Wetterzeichen des heraufziehenden Sturms sind seit Jahren sichtbar. Deutschland befindet sich im dritten Rezessionsjahr und im Grunde genommen ist es angesichts der Horrorzahlen aus der deutschen Industrie erstaunlich, dass es so lange dauerte, bis man im Zentrum der Automobilindustrie in Stuttgart den Ernst der Lage erkannte.

Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann von der CDU ist der Bedauernswerte, der nun die Horrorzahl verkünden musste, die jedem Stadtkämmerer den kalten Schweiß auf die Stirn triebe: Stuttgarts Gewerbesteueraufkommen bricht um etwa 30 Prozent ein. Die Steuer wird nicht die kalkulierte Summe von 1,2 Milliarden Euro, sondern lediglich 850 Millionen Euro einbringen. Allein die Automobilindustrie generierte im vergangenen Jahr 523 Millionen Euro an Gewerbesteuern. Diese halbieren sich beinahe auf etwa 278 Millionen.

Das Defizit im laufenden Jahr wird auf 890 Millionen Euro geschätzt, was die Gesamtverschuldung der Stadt auf 3,7 Milliarden Euro in die Höhe schießen lässt. Dies ist ein fiskalischer Kollaps und keine Folge einer gewöhnlichen Rezession. Es vollzieht sich ein Zusammenbruch lokaler Wertschöpfungsketten.

Die Krise nahm ihren Ausgang bei Mercedes, Porsche und Co. und frisst nun auch tiefe Löcher in die öffentlichen Kassen. Was hier zu beobachten ist, ist symptomatisch für zahlreiche deutsche Industriestandorte. Städte wie Wolfsburg mit VW, Ingolstadt (Audi) oder Ludwigshafen als Heimatstandort von BASF hängen von Wohl und Wehe einzelner Flaggschiffe der deutschen Industrie ab.

Fuhrmann steht also sinnbildlich für jene Kämmerer, die nun wie aus heiterem Himmel vor schmerzhaften Anpassungsentscheidungen stehen. Investitionen müssen gestrichen werden, Rücklagen werden aufgebraucht, sofern überhaupt welche existieren. Wachsweiche Sozialprojekte werden ersatzlos gestrichen. Öffentliche Einrichtungen, möglicherweise Sportstätten, müssen geschlossen werden. Vielleicht erledigt sich das Problem der Freibäder auf diese Weise.

Wer für die Kosten der Migrationskrise, die man geschmeidig zu einem großen Teil den Kommunen in die Schuhe geschoben hat, aufkommen wird, ist in diesem fiskalischen Szenario unklar. Neue Kreditpakete der Bundesländer werden nötig sein, auch eine Kofinanzierung durch den Bund – die Politik wird in Kürze unter Hochdruck einen Finanzierungsrahmen zu erarbeiten haben.

Dann schlägt wieder die Stunde der Krisenmanager. Also der Verantwortlichen dieser Krise, die nun vorgeben, mit neuer Regulierung und höheren Steuern eine Lösung für das grüne Desaster anbieten zu können. Es ist ein absurder Teufelskreis.

Die hektische Betriebsamkeit wird dabei wie stets in der Vergangenheit jede tiefere Ursachenforschung überzeichnen. So entsteht der Eindruck in der öffentlichen Meinung, diese Krise fiele vom Himmel, sei möglicherweise das Ergebnis marktwirtschaftlicher Fehlsteuerungen oder ein böswilliger Komplott der Opposition. Es wird alles dafür getan, die wahre Ursache, den Umbau der deutschen Wirtschaft in eine grüne Todeszone, zu verschleiern.

Stuttgart ist dabei ein anschauliches Beispiel für das Scheitern des Green Deal, dieses breitbeinig angelegten Umbaus der Ökonomie. Die willentlich provozierte Energiekostenkrise, CO2-Steuern und grüne Regulierungswerke sowie das Scheitern des Aufbaus eines wettbewerbsfähigen E-Auto-Sektors, schlagen unmittelbar auf die Finanzlage der Unternehmen durch.

Eine wichtige Erkenntnis: Strukturwandel lässt sich nicht am Reißbrett in den Parteizentralen planen. Er ist Ausdruck und Ergebnis von Anpassungen der Unternehmen an die sich langsam ändernden Konsumentenbedürfnisse. Die saubere Produktionstechnologie, über die wir heute verfügen, ist nicht das Ergebnis regulativer Politik. Sie ist zustande gekommen im Zusammenspiel gesellschaftlicher Kräfte, die sich am Ende über den Marktmechanismus artikulierten und zu einem Innovationsprozess beitrugen, der Umweltkosten über den Preismechanismus internalisierte.

Einen dynamischen, innovativen Prozess sollten wir für die deutsche Wirtschaft in der kommenden Zeit nicht erwarten. Die heraufziehende Schuldenkrise wird zu viel Kapital binden, als dass dies realistisch wäre.

Und die Krise wird sehr real: Im Stuttgarter Raum stieg die Arbeitslosigkeit im ersten Halbjahr 2025 um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Besonders junge Menschen sind betroffen. Die Krise in Stuttgart wirft auch die nie abschließend beantwortete Frage der Kommunalfinanzierung auf.

Berlin und die Landeshauptstädte sehen in ihren Kommunen lediglich ausführende Organe ihrer politischen Projekte. Das Handling der Migrationskrise ist ein gutes Beispiel dafür. Zu hohe Kosten und die Abhängigkeit vom Konjunkturzyklus, das zeigt der Zusammenbruch der Gewerbesteuer, machen ein neues Finanzierungsmodell der Kommunen erforderlich. Eine stärkere Verteilung der Steuerkraft, stabilere Einnahmequellen und flexible Haushaltsinstrumente könnten die Kommunen widerstandsfähiger machen.

Deutschland müsste wieder subsidiärer werden. Handlungskompetenzen sollten von Zentralkörpern wie Brüssel und Berlin zurückgegeben werden, um das demokratische Element vor Ort zu stärken. Die heraufziehende ökonomische Depression wird so zu einer Kompetenzkrise zwischen den Gebietskörperschaften.

Auch in den Medienabteilungen und Pressestellen der Parteien beginnen die Vorbereitungen auf die wirtschaftliche Depression in Deutschland. Jetzt ist die Zeit, die passenden Narrative zu setzen, die vom politischen Versagen ablenken und simultan dazu beitragen, dem gefräßigen Staatsapparat neue Finanzquellen zu erschließen.

Es war dem „Star-Ökonom“ der Staatsakademie, Marcel Fratzscher, vorbehalten, den ersten erheiternden propagandistischen Testballon zu starten. Der Klimawandel sei schuld am Exodus deutscher Unternehmen, so der „Hegel“ unter den Ökonomen. Dass sich die deutsche Politik und ihr Medienapparat in einer intellektuellen und klimatischen Sonderlage befinden, ist seit Längerem gut dokumentiert. Dass nun aber der oberste akademische Repräsentant der ökologistischen Staatswirtschaft im Thunberg-Duktus seine Leserschaft verhöhnt, ist vielsagend.

Wer unfreiwillig und unbewusst, wie im Falle Fratzschers, die eigene Argumentationslinie ins Lächerliche zieht, ist gewöhnlich am Ende seines Abwehrkampfes angelangt. Die stetig anbrandenden Wellen der realen Außenwelt paralysieren den Träumer. Auf den skurrilen Traum folgt schockartiges Erwachen.

Und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass es Vertreter der niedergehenden Industriestandorte sein werden, die bislang den grünen Traum geträumt haben, diesen nun verteufeln und in nicht ferner Zukunft in Opposition zu ihm treten werden.

Der Zusammenbruch der Steuerbasis wird den Fiskus dazu zwingen, dem Steuerzahler noch viel tiefer in die Tasche zu greifen. Machen wir uns nichts vor: Nach wie vor ist dies der Weg des geringeren Widerstands. Und nach wie vor dominiert in Brüssel die Vision zentral gesteuerter Transformation. Es kommt der Wendepunkt, an dem der naive Steuerungsglaube durch die Härte des wirtschaftlichen Niedergangs gebrochen wird. Wann es soweit ist, steht in den Sternen.

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