
Bei Racheakten am Freitag und Samstag wurden 745 alawitische Zivilisten von HTS-Milizen und sunnitischen Muslimen in Syrien getötet. Unter den Getöteten befinden sich auch Frauen und Kinder, wie die in Großbritannien ansässige Organisation Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) am Samstagabend mitteilte. Der ehemalige syrische Diktator Baschar al-Assad gehört der Gruppe der Alawiten an, die dem schiitischen Spektrum des Islams zuzurechnen sind. Die HTS-Miliz hatte vor drei Monaten die Macht in Syrien übernommen.
„Die überwiegende Mehrheit der Opfer wurde von Elementen, die mit dem Verteidigungs- und Innenministerium verbunden sind, summarisch hingerichtet“, erklärte die Menschenrechtsorganisation am Freitag. Insgesamt kamen bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften der islamistischen Regierung und bewaffneten Assad-Anhängern und anschließenden Racheakten an der alawitischen Zivilbevölkerung über 1.000 Menschen ums Leben. Neben den 745 Zivilisten, die getötet wurden, starben 125 HTS-Milizen und 148 pro-Assad-Kämpfer.
Wie die Organisation SOHR mitteilte, seien in 29 Orten in den Küstenregionen Latakia, Tartus, Hama und Homs Massaker an Zivilisten verübt worden. In diesen Regionen leben viele Alawiten, die rund zehn Prozent der Bevölkerung darstellen. Die Mehrheit der syrischen Muslime ist sunnitisch. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, haben viele Zivilisten Schutz in der russischen Militärbasis bei Hmeimim in Latakia gesucht. Neben der Tötung von Zivilisten kam es zu Plünderungen und Brandschatzungen.
Laut Newsweek sollen in den letzten Tagen in Syrien auch Christen getötet worden sein. Angesichts der sich zuspitzenden Lage rief Übergangspräsident Ahmad al-Sharaa am Freitagabend zur Deeskalation auf. „Wenn wir unsere ethischen Prinzipien aufgeben, setzen wir uns auf die gleiche Stufe wie unser Feind“, erklärte er in einer Videobotschaft. Er forderte alle bewaffneten Gruppen, die dem gestürzten Regime nahestehen, zur Kapitulation auf, während er gleichzeitig an seine Anhänger appellierte, von Gewalt gegen Zivilisten abzusehen.
Die HTS ging aus einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Qaida hervor, der Al-Nusra-Front. Der Anführer al-Scharaa war zuvor auch Mitglied des „Islamischen Staates”. HTS gilt in Deutschland, den USA und Großbritannien als Terrorgruppe. Sie versucht sich seit dem Umsturz in Syrien als gemäßigte Kraft zu präsentieren. Am 03. Januar war Außenministerin Annalena Baerbock zusammen mit dem französischen Außenminister Jean-Noël Barrot nach Damaskus gereist und hatte sich mit dem neuen syrischen Machthaber, Ahmed al-Scharaa, getroffen.
Die Außenministerin sagte damals: „Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat.” Weiter sagte sie: „Wir werden die HTS weiter an ihren Taten messen.“ Und: „Bei aller Skepsis dürfen wir jetzt nicht die Chance verstreichen lassen, die Menschen in Syrien an diesem wichtigen Scheideweg zu unterstützen.“ Al-Scharaa hatte Baerbock bei der Begrüßung den Handschlag verweigert (Apollo News berichtete). Bereits im Dezember hatte Baerbock acht Millionen Euro humanitäre Hilfe für Syrien versprochen und im Januar hatte sie weitere 50 Millionen Euro für die Versorgung mit Nahrung und Medikamenten zugesagt (mehr dazu hier).