
Auf gängigen Landkarten des Nahen Ostens steht in breiten Lettern „Syrien“. Tatsächlich ist das Land, umrandet von Israel, der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak, seit jeher aufgeteilt zwischen Stämmen unterschiedlichster Ethnien und verschiedener Religionen. Diktator Bashir al-Assad hat mit seiner Flucht im Dezember 2024 ein politisches Vakuum hinterlassen, das unterschiedliche Kräfte jetzt gewaltsam ausfüllen wollen. Die ersten 1000 Toten liegen aktuell in den Straßen. Der neue, Ahmed al-Sharaa, der sich selbst als Interim-Präsident bezeichnet, mag Damaskus beherrschen. Das ganze Land zu kontrollieren, das halb so groß ist wie Deutschland, ist selbst zwei Diktatoren-Dynastien in 50 Jahren nicht gelungen.
In der aktuellen Ausgabe von Wikipedia heißt es bereits im ersten Absatz: „Syrien ist als zusammengehöriges, souveränes Staatsgebilde nicht mehr existent.“ Die Flucht der Diktator-Familie um Bashir al-Assad wurde ausgelöst durch den Wegfall der Schutztruppen Hisbollah und Iran. Hinzu kam, dass Russland, das auch seine Hand während des andauernden Bürgerkriegs seit 2011 schützend über Assad gehalten hat, durch den Ukraine-Krieg keine freien Kapazitäten mehr besitzt. Wirklicher Auslöser für die aktuelle Gewaltorgie in Syrien ist bezeichnender Weise der 7. Oktober 2023, der grausame Überfall der Hamas auf den Süden Israels.
Für Jerusalem und die IDF ist der größte Verteidigungsfall seit der Staatsgründung eingetreten. Ein Kampf an mehreren Fronten, der nach Gaza im Süden die Verteidigung der Nordregion gegen die wesentlich gefährlichere Hisbollah im Libanon zwingend notwendig machte. Innerhalb weniger Tage zerstörte Israels Luftwaffe im Herbst 2024 die Schlagkraft der Hisbollah im Libanon und in Syrien.
Die Sunniten nutzten die Gelegenheit. Sie eroberten Damaskus im Handstreich. Ihr Anführer, ein ehemaliger El-Quaida-Terrorist, trägt seither Anzug und Krawatte, änderte seinen Namen und redet von der Einheit Syriens. Damit konnte er die Noch-Außenministerin Annalena Baerbock zu Jahresbeginn beeindrucken. Der „arabische Hoffnungsträger“ verweigerte ihr bei einem „Überraschungsbesuch“ gemeinsam mit dem französischen Amtskollegen den Handschlag, quittierte ihr aber 130 Millionen Euro Steuergelder aus Berlin umgehend.
Nur zehn Wochen später präsentiert sich die Nahost-Realität wie so oft: Jedem politischen Vakuum folgen Chaos, Zerstörung und tödliche Rachefeldzüge. Rechnungen zu begleichen gibt es genügend. Jetzt sind die Sunniten dran, die jahrzehntelang von einer Alawiten-Minderheit blutig unterdrückt wurden. Unter den Opfern befinden sich auch viele Christen wie nicht nur der christliche TV-Sender CBN in den USA beklagt.
Im Schatten der Auseinandersetzungen versuchen die nicht-arabischen Kurden im Norden ihr Terrain zu sichern und auszuweiten. Die angrenzende Türkei will mit aller Macht verhindern, dass sich ein selbständiges Kurdistan bildet. Dem Autokraten in Ankara, Erdogan, mangelt es nicht an der Vision, sein Land als osmanisches Reich wieder zu beleben.
Die USA im Nordosten und Russland am westlichen Mittelmeer-Rand Syriens beobachten nicht nur die fragile Lage. Sie verfügen über eigene Truppen in der Region. Frankreich, die einstige Kolonialmacht, hat das Land nie verlassen. Großbritannien, das zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg als Mandatsmacht im damaligen Palästina scheiterte, spielt auch noch mit, auch wenn es niemand mehr auffällt.
Keine Gelegenheit Gewalt anzuwenden vermeidet der Iran, der Patron aller Terror-Organisationen, der nicht nur Schiiten großzügig mit Geld, Waffen und militärischen Instruktoren ausstattet. Die Mullahs nutzen Syrien seit Dekaden als Plattform für ihre Pläne einer muslimischen Hegemonialmacht schiitischer Spielart. Die Chancen auf einen Erfolg Teherans sind seit der Fast-Zerstörung ihrer Stellvertreter-Armee Hisbollah durch Israel und der Wiederwahl Donald Trumps in Washington eher gering.
Israel, das gebrannte Kind der Region, kann nach mehreren syrischen Angriffskriegen seit 1948 nicht zulassen, dass im Grenzbereich zu den Golanhöhen bewaffnete Truppen ohne seine Zustimmung stationiert werden. Jerusalem hat angekündigt, dass es bis zur Klärung der Lage strategische Punkte in der Region besetzt hält.
Wenn die blutigen Unruhen, die jetzt in der Heimat der Alawiten im Westen ausgebrochen sind, andauern, wird unweigerlich ein erneuter Flüchtlingsstrom in Richtung Europa losbrechen. Hauptziel ist Deutschland, das bereits eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen hat.
Die Drusen im Süden Syriens nahe den Golanhöhen haben ein anderes Ziel im Auge. Sie würden gerne mit ihren Stammesbrüdern in Israel vereint werden. Es hat sich herumgesprochen, dass die nicht-muslimische Minderheit inzwischen willkommene Bürger mit allen Rechten und Pflichten in der einzigen Demokratie des Nahen Osten sind. Ihre offene Bitte an Ministerpräsident Netanyahu, die bei den neuen Machthabern in Damaskus nicht gut ankommt: annektiert uns.