Sie ist alleinerziehend und braucht das Geld

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Wenn uns die Geschichte (Drehbuch Judith Westermann, Regie Franziska Margarete Hoenisch) irgendwie bekannt vorkam, dann trügt das Gefühl nicht: Die Alleinbewohnerin (Altenpflegerin Paula Södersen, gespielt von Sarina Radomski) einer großen (sehr großen!) Wohnung holt sich eine Wildfremde um Asyl bittende Unbekannte (Mia Ewers, gespielt von Pola Friedrichs) ins Haus: Copy-Paste aus dem „Polizeiruf“ Magdeburg vom letzten Wochenende – Zufall?

Der Presseseite von Radio Bremen kann man entnehmen, wie wichtig auch Jasna Fritzi Bauer (spielt Kommissarin Moormann) der politische Auftrag ist: „Als öffentlich-rechtliche Sender (Mehrzahl!) haben wir die Verantwortung, alle sozialen Schichten im Fernsehen darzustellen und zu zeigen, welche Lebensformen in Deutschland oder allgemein möglich sind. Darum ist es wichtig, dass wir auch so ein Lebensmodell zeichnen können.“ Und Kollege Jonathan Berlin (spielt das Mordopfer) stimmt mit ein: „… finde es in Zeiten, in denen sich führende Politiker (ich gendere in diesem Fall bewusst nicht) immer wieder auf perfide Weise der Stärkung von Frauenrechten in den Weg stellen, einen wichtigen Stoff“.

Wer solche Dauerschläge aufs Trommelfell (Lernen Sie doch einfach mal eine Wohnungssuchende kennen!) gut aushalten kann, guckt weiter zu.

Der nicht vorbestrafte, als Einzelkind in Augsburg aufgewachsene deutsche Staatsbürger Marek Kolschak (Jonathan Berlin), der immer pünktlich seine Miete gezahlt hat und laut Nachbarin (Frau Nikolic, morgens schon angetrunken, gespielt von Andrea Jolly) ein „Netter“ war, wird mit eingeschlagenem Schädel ans Ufer der Weser geschwemmt. Die Kommissarinnen Liv Moormann und Linda Selb (Luise Wolfram) beginnen ihre Ermittlungen, unterstützt von Rechtsmedizinerin Edda Bingley (Helen Schneider).

Stumpfe Gewalt ist statistisch gesehen ein Indiz „für einen Mann als Täter“ (Selb)

Die Zuschauer sind der Polizei in puncto Erkenntnisse ein paar Szenen voraus, haben bereits in wackeligen Rückblenden (Kamera: Martin L. Ludwig) aus dem Blickwinkel von Mia Ewers erfahren können, wie aggressiv Kolschak sich immer wieder an sie herangewanzt hat. Sie hat vor den Nachstellungen dieses „one-night-stands“ so viel Angst, dass sie sich ihre Post immer noch an ihre frühere Meldeadresse schicken lässt und Tochter Rani zum Spielen nur in einen weit von ihrer Wohnung gelegenen Park bringt. Die Wohngemeinschaft mit Paula funktioniert augenscheinlich blendend, sie teilen sich, fast wie ein Ehepaar, Aufsicht und Erziehung von Rani. Nur die in einem Gründerzeit-Klinkerbau untergebrachte Schule stellt pingelige Anforderungen aus längst vergangenen Zeiten, indem sie Paula eben nicht als voll Erziehungsberechtigte anerkennt (verweigert ihr die Aushändigung eines Elternbriefs).

Auch im Zusammenspiel der beiden Polizistinnen läuft nicht alles glatt – beim polizeilichen Krav-Maga-Training (Zitat aus der Berliner Werbung „das macht Spaß und kann euch entscheidende Vorteile bringen, wenn es brenzlig wird“) ist die Perfektionistin Selb der Kollegin Moormann unterlegen, und dann grätscht die ihr auch noch in ihre Ermittlungen in einem anderen Fall gegen den Türsteher Dennis Zacher (Alexander Grünberg). Der Zickenkrieg wächst sich zur handfesten Klopperei aus, als Moormann spitz bekommt, dass Selb ihre in der JVA einsitzende Schwester Marie (Luisa Böse) als Informantin anwerben will. Die sollte sich an Zachers Freundin heranmachen, die den mit einem falschen Geständnis vor dem Knast bewahrt hat.

Während der Tatort sich bemüht, keinesfalls ein „rechtes Narrativ von Überforderung“ abzubilden und die Szenen im vergleichsweise ruhigen Alltag der 90er Jahren hängengeblieben zu sein scheinen (Klinik- und Schulalltag, Straßenbild), verdunkelt sich die Stimmung in der früher sorglosen Wohngemeinschaft Södersen/Ewers. Irgendjemand hat Mias Familienfotos verkehrt herum aufgehängt und sorgfältig die Augen herausgeschnitten. Paula ist entsetzt (falsch, denn sie hat die Bilder selbst umgehängt), fordert Mia auf, nun die Polizei einzuschalten. Daran hatte Marek schon vor seinem Ableben gedacht, und sie vorsorglich wegen Beleidigung und Nötigung angezeigt.

Laut Redaktions-Kollege Benno Falk (Julian Greis) war dieser Marek Kolschak sehr verschlossen und machte auf „Investigativ … Justiz, Drogen, Politik“. Falk habe sich aber nicht eingemischt, weil er nur für Lokales zuständig sei, „Modenschau im Einkaufszentrum, Eröffnung des neuen Kindergartens, Taufe der neuen Fähre“ und so, außerdem habe er „Familie, sorry“.

Kleiner Wink mit dem Standboxsack im Büro: Ausgleichend scheint das Familienleben nicht zu wirken … genauso wenig wie bei Mia, aus der Bühnenreif die Verzweiflung der Alleinerziehenden hervorbricht: „…ich konnte einfach nicht mehr, brauchte mal ’ne Pause … das Schlimmste ist, wenn einen Leute fragen, ob man sich am Wochenende erholt hat … nicht nachvollziehen können, wie das ist, alleine mit Kind. Seit Jahren keine Minute Pause … wie dieser Staat mit alleinerziehenden Müttern umgeht, ist wirklich unterirdisch.“

Sie habe diese „unvorstellbare Wut in sich“. Das Thema Kinder ist Leitmotiv für die beiden Solo-Kommissarinnen: Die seien „die perfekte Achillesferse für jede Tätersuche“ und mit ihrer Familie, so Selb, „kannst du mich erpressen“. Moormann, deren Mutter selbst alleinerziehend gewesen sei, gesteht: „Mama hat immer unsere Geburtstage vergessen, so dass wir alleine feiern mussten und froh waren, wenn wir einen Kuchen hatten“.

„Arbeitslos, alleinerziehend, die klassische Armutsfalle … finden sie mal ’ne bezahlbare Wohnung in dieser Stadt“ (Moormann)

Derweilen haben sich die Ermittlerinnen mit Hilfe der letzten Mahlzeit des Ermordeten seinem letzten Aufenthaltsort genähert. Nur ein einziger Imbissladen bietet in Bremen die einzigartige (laut Selb aber leckere) Kombination von Joghurt, Köfte, Safran und Sauerkraut an, und der befindet sich gegenüber dem Klub „Dark“ am Ufer der Weser. Im „Dark“ arbeitet der Verdächtige Zacher als Türsteher. Der ist zwar ein Verbrecher, hatte aber mit dem Mord an Kolschak nichts zu tun.

Mit Hilfe der Videoüberwachungsbilder eines auch gegenüber liegenden Geldautomatens (wo alle Hungrigen Geld ziehen müssen, denn die Imbissbude akzeptiert nur Bares) entdecken die Kommissarinnen, dass Benno Falk seinem Kollegen an die Weser zu dessen konspirativen Treffen gefolgt war. Falk gibt zu, Kolschak aus Wut über dessen Arroganz niedergeschlagen zu haben. Vollendet hat die Tat aber Paula Södersen, die so ihre idyllische Wohngemeinschaft mit Mia und Rani von dem Stalker befreien wollte.

In einer Schrebergartenkolonie voller Bremer Greise vollzieht sich der Showdown, in dem Paula ihre nun doch zum Auszug entschlossenen Mitbewohner in Mias Gartenhäuschen betäuben und offenbar ebenfalls ermorden will. Während die zur Rettung im letzten Moment aufgetauchte Moormann von Paula krankenhausreif geschlagen wird, hat Selbs Nahkampfausbildung dann doch etwas gebracht. Die „Roboter-Kollegin“ (Marie Moormann über Selb) rettet Moormann sowie Mutter mit Kind.

Das stellenweise doch arg mechanische Auftreten des Bremer Duos mag auch auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass zu viel Wert auf das Abspulen offenbar absichtlich platzierter politischer Botschaften und Narrative gelegt wird. Da muss die größte Schauspielkunst verknöchern.

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