
Man reibt sich beim Ansehen die Augen – wegen des offensichtlichen Etikettenschwindels, den verkünstelten Bildern und der völlig überdrehten Geschichte (Drehbuch von Georg Lippert).
Laut Berliner Zeitung (Eva-Maria Braungart) gab es „scharfe Kritik“ an dem Krimi, sogar die Polizeigewerkschaft Hamburg habe auf ihrer Plattform die „Schulnote: 4“ wegen „teilweise geradezu hanebüchener Story“ vergeben.
Am Hauptbahnhof in Hannover ist die Welt früh um 7 Uhr noch in Ordnung. Geschäftig hasten die Pendler durch völlig Graffiti-freie, saubere Gänge und Hallen, aus dem Morgenradio tönen kuschelige Verkehrsmeldungen, verlesen von zur Fröhlichkeit verdonnerten Moderatorinnen.
Für einen Mann mit Kopfhörern und auffälligem Hals-Tattoo (Mario Romano) endet der Gang durch den Bahnhof tödlich: Er wird im Vorbeigehen angerempelt, ohne die Stiche zu spüren von einem Kapuzenmann viermal in die Leiste gestochen, er strauchelt, fällt. Eindringlich schlüpft die Kamera (Martin Langer) in die Perspektive des langsam Verblutenden. Leider, leider ist die Videoüberwachung am Bahnhof Hannover defekt.
Aber es gab einen aufmerksamen Zeugen: Joachim Bühl, 44, etwas füllig und obdachlos. Er hat die Tat von seinem Stehtisch am Kiosk aus beobachtet, folgt dem Täter und stellt ihn mit einem „Hey Du!“ – böser Fehler, der ihm einen plötzlichen Messerangriff gegen Hals und Nacken einbringt. Auch er stürzt unentdeckt, bleibt wie einer, der seinen Rausch ausschläft, mit dem Gesicht zur Wand liegen. Erst seine „Kumpels“ finden ihn, als es schon lange zu spät ist.
Polizeidirektorin Gabriele Seil (Anna Stieblich) versetzt dieser Fall in helle Aufregung, weil die Pressemeute sie bedrängt – verständlich, denn auch das Niedersächsische Innenministerium ist durch diesen Messerangriff im eigentlich ja geschützten Raum Bahnhof alarmiert und gestattet deshalb, neue Wege zu beschreiten. Obwohl es ihr ja „nicht um ihre Karriere gehe“, öffnet sich Seil in ihrer Not neuen Ermittlungsmethoden, in denen die Fahndungssoftware der an der Londoner Börse notierten Firma „Kroisos“ eine entscheidende, Hauptkommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) aber nur eine Nebenrolle spielen soll.
Den neuen Ton gibt nun Finn Jennewein (Thomas Niehaus) von Kroisos vor, der sich gleich von seinem Laptop aus in die Gebäudeautomation der Polizeidirektion hackt, um die Deckenbeleuchtung nach seinem Geschmack zu dimmen. Er kennt auch Kollege Falke, dessen kleine Freuden (Milch) und großen Leiden (Verlust seiner Kollegin Grosz durch einen Messerangriff). Aber um seine KI zu füttern, verwendet er „natürlich nur richterlich freigegebene Daten“ der Personen, die am Tag der Tat mit ihren Smartphones in der Funkzelle am Bahnhof unterwegs waren, und kann sehr schnell drei mögliche Täter präsentieren: ein Farbiger, zwei weiße Männer. Für die KI Kroisos ist einer davon besonders verdächtig, weil es „Anzeichen dafür gebe, dass er in psychiatrischer Behandlung war“.
Kroisos musste dafür nicht etwa seine elektronische Patientenakte prüfen, sondern nur sein Bewegungsprofil: Er hatte an drei Tagen eine Psychiatrische Klinik aufgesucht. Außerdem ist René Kowalski (Mirco Kreibich) schon angezeigt worden, weil er sich am Bahnhof herumtrieb, und er postet seltsame Sachen auf seinem Profil (für die er immerhin 6 „likes“ bekommen hat): „sie sind böse …können unsere Gedanken lesen … wenn wir sie nicht vorher ausschalten“.
Natürlich spricht Kowalski hier nicht vom öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm, sondern von unsichtbaren Feinden, von denen er sich umzingelt, verfolgt und bedroht sieht. Schwester Nora (Maria Dragus) kennt ihren Bruder gut, weiß, dass er an paranoiden Schüben leidet, Stimmen hört: „das volle Programm eben“. Diese Warnung hält Falke und seine neue Kollegin Yael Feldman (Peri Baumeister) nicht davon ab, mit dem Ruf „Polizei, wir kommen jetzt rein“ in Kowalskis Haus einzudringen, was den so in Panik versetzt, dass er auf der Flucht tödlich abstützt.
Polizeidirektorin Seil ist mit diesem Ausgang zufrieden, was sie, eingerahmt von Uniformen und hohen Beamten, gleich der Presse kundtut. Wohl im Bewusstsein, wie diese beim Zuschauer ankommen werden, tauscht die ARD die allzu bekannten Sätze für „die Angehörigen der Opfer und Gedanken, die bei ihnen sind“, durch kaum bessere Floskeln aus: „wir spüren, es hätte jeden von uns treffen können … es darf keine generelle Stigmatisierung von psychisch Kranken geben“.
Und tatsächlich: Die forensischen Untersuchungen der Spuren (Blut der Opfer auf seiner Kleidung) ergeben ganz klar, dass Kowalski der Täter war. Außerdem findet seine Schwester die Tatwaffe, eine chirurgische Schere, in seinem Versteck und die Videoüberwachung in der Psychiatrie zeichnete auf, wie er diese in der Klinik gestohlen hatte. Nun erinnert sich Nora Kowalski auch, dass sie ihrem Bruder erzählt hatte, auf dem Nachhauseweg von einem Mann mit auffälligem Tattoo (Opfer Nr.1) belästigt worden zu sein. Ihr treuer Bruder habe sie wohl rächen wollen, den Mann aufgespürt und ermordet, auch um sie zu beschützen.
Nun, da der Fall abgeschlossen scheint, steigen die Aktienkurse von „Kroisos“ in London, und auch im Radiosender frohlockt man: „unsere Stadt ist wieder sicher, wie ich gerade gehört habe. Besser gläsern als tot, danke, KI“. Aber zu früh gefreut: Ole Fleissner aus Niendorf wird um 6 Uhr früh am Bahnhof erstochen. Bis ins kleinste Detail folgt der Tathergang den früheren beiden Morden. Als Seil und Jennewein diesmal vor die Presse treten müssen, sind sie sehr kleinlaut, der Kurs der Kroisos-Aktie neigt sich dramatisch gen Süden.
Aber Jennewein und seine KI-Maschine präsentieren schnell einen neuen Verdächtigen, der dem Verfassungsschutz durch islamistische Kommentare nach Trunkenheitsunfällen („Allah bestraft die Ungläubigen“) aufgefallen war. Der syrische Staatsangehörige Ahmed Mafoud (Çiya Tayçimen) ist 2015 über die Balkanroute eingereist, war in eine Messerstecherei vor einer österreichischen Disko verwickelt und lebt seit 6 Monaten in Hannover mit seiner Familie, besuche dort eine bekannte islamistische Moschee. Allerdings war „sein Mobiltelefon aber zur Tatzeit deaktiviert“.
Kaum ist das SEK mit 8 Mann zur Verhaftung von Mafoud (die Ermittlungen verlaufen im Sande, waren „Zeitverschwendung“) abgerauscht, taucht der „investigative“ Journalist Moritz Staub (Garry Fischmann) auf und gibt bei Falke seine Zweifel am System „Kroisos“ zu Protokoll, die er mit „NGOs und Journalisten-Kollegen teile“, die sich kritisch mit der KI auseinandersetzten. Werde Kroisos morgen anhand von „Erkrankung, Religion und Hautfarbe ermitteln?“ Und besondere Abscheu hegt Staub gegen das Geld, welches Investoren mit dem Aufstieg der Software-Aktie verdienen würden: Zum Beweis verbrennt er den 200-Euro-Schein, den er an der Börse mit Kroisos-Papieren verdient hatte.
Lange ermittelt Staub nicht mehr – vermummte „Profis“ überfallen und ermorden ihn mit in den Mund injiziertem Gift in seiner Wohnung. Er schafft es noch, einen geheimnisvollen USB-Stick in seiner Faust zu verstecken, wo Falke ihn findet. Weil Spuren in der Wunde des erstochenen Pendlers darauf hinweisen, dass die Waffe in einem 3-D-Drucker hergestellt worden ist, kommt der ganze Skandal langsam ans Licht und wir ahnen, warum Thorsten Falke ständig unglücklich dreinblickt, seufzt und die Flügel hängen lässt.
Geheimnisvolle kriminelle Investoren haben die „Kroisos“-Aktie mit einem fingierten dritten Mord und der damit verbundenen Fehldiagnose im Fall Kowalski kalkuliert abstürzen lassen und damit 1,8 Milliarden Euro kassiert, die nun „verschwunden sind“. Der schillernde Herr Jennewein war Mitwisser und Täter, kann aber entkommen und Kollegin Feldmann noch ins Bein schießen. Damit nicht genug, bekamen die Börsenspekulanten Insider-Wissen aus der Hannoveraner Polizei zugespielt, ohne die sie den dritten Mord nie so präzise als Kopie der ersten beiden hätten ausführen können. Direktorin Seil tritt frustriert ab, Falke erfährt am Notarztwagen, dass Feldmann – bis zu ihrem nächsten Tatort wenigstens – überleben wird.
Die Schauspielerin Florence Kasumba (spielt Kommissarin Anaïs Schmitz) hatte gleich zwei Auftritte an diesem Ostermontag, einmal als zufällig – aber völlig überflüssigerweise – anwesende Göttinger Kollegin im ARD Tatort und bei RTL als Dora Milaje-Kämpferin Ayo im Marvel-Epos „Black Panther – Wakanda Forever“. Die Zuschauer können entscheiden, wo sie besser zur Geltung kam.