Tatort aus Nürnberg startet mit einem fränkischen Norman Bates

vor etwa 2 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es wäre auch verwunderlich gewesen, wenn das Flaggschiff der Sonntagabendunterhaltung sich untreu geworden wäre und ein neues Kapitel in Sachen Kriminalitätsdarstellung aufgeschlagen hätte… Wie immer gab es schaurige Impressionen aus Dunkeldeutschland (Nürnberg, ausschließlich düster und wolkenverhangen) garniert mit einem Überzug von Vorgestern (blank geputzte Gründerzeitfassaden).

Irgendwo im Frankenwald plumpsen Geo– bzw. Hydrologen bei Bodenuntersuchungen (was suchen die eigentlich – hier versäumen die Autoren Max Färberböck und Catharina Schuchmann doch glatt den Klimawandel geschickt zu erwähnen) in das improvisierte Grab von Andreas Schönfeld (Benjamin Schaefer), dem allem Anschein nach lebensfrohesten, freundlichsten, sympathischsten, großzügigsten Fahrradladenmitinhaber in Nürnberg, “…netter Kerl, immer da, astrein” (Jugendfreund, gespielt von Sebastian Kempf, über ihn). Trotzdem hat ihm jemand den Schädel eingeschlagen und anschließend nackt “wie Gott ihn schuf” (Forensikerin Schmuck, gespielt von Lisa Sophie Kusz über den Zustand der Leiche) dort verscharrt.

Unheimlich, wie die nun eingeschalteten Ermittler Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) auf eine “undurchdringliche Mauer aus Normalität” stoßen, die Schönfeld “um sich herum errichtet” habe. Er spielte Klavier und Gitarre, war im Kinderchor von St. Sebald, sogar eine Audioaufnahme seiner Musik findet sich als Anlage bei der Polizeiakte, die denkbar kurz ist: Eine lächerliche Ordnungswidrigkeit wegen zu schnellen Fahrens. Seine Mutter Erika Schönfeld (Marion Reuter) war “Selfmadefrau” und sogar Bürgermeisterin, hat ihr Abitur nachgemacht. Seltsam vertraut wirkt diese Mutterfigur beim Tatort; das Abziehbild der immer wieder gerne bei der ARD eingespannten, blond und streng frisierten Übermutter in der gefühlt schon x-mal als Drehort verwendeten moosbedeckten Villa mit Mobiliar, Tapeten und dem Ticken einer Wohnzimmer-Standuhr aus den Achtziger Jahren.

Spätestens jetzt wittert der geneigte Krimifan, wie die Geschichte weitergeht und wie sie enden wird. Kurz nach einem bizarren Treffen von Voss und Frau Schönfeld, in dem sie gesteht, geahnt zu haben, dass “ihr Andi” tot ist, und er im Keller des Anwesens in einer Dunkelkammer Spuren von Andreas` Fotografierleidenschaft findet, baumelt die Dame des Hauses vom schmiedeisernen Geländer ihres Treppenhauses.

Andreas Schönfeld hatte zwar Frauenbekanntschaften, und fast hätte er die Vikarin (gespielt von Lisa Oertel) der Kirche geheiratet, in der er immer Gitarre geübt hat. “Es war so schön, sie habe sofort “Ja” gesagt”, gesteht sie. Aber wenige Tage vor der Heirat habe er die Vermählung mit ihr wieder abgesagt und um Verzeihung gebeten. Wie Wanda Goldwasser ermittelt, hätten sich beide Intimitäten bis nach der Hochzeit “aufgespart”. Igendwas stimmt da in der Gefühlswelt des Mordopfers nicht… auch “auf seinem Handy war absolut nichts los” (Goldwasser).

Ihren Instinkten folgend (der Ausdruck “ich muss kotzen” wird bemüht) hangelt sich das Ermittlerduo an den im Jugendzimmer des Opfers gefundenen SD-Speicherkarten mit 800 heimlich geschossenen Aufnahmen von mindestens 14 Frauen entlang, bis sie auf erste Fälle von Vergewaltigung und Missbrauch stoßen. Zwei der Fotografierten wurden von einem im Ganzkörperdress steckenden und mit einer blonden, hüftlangen Perücke maskierten Mann angegriffen und teils stundenlang gequält. Voss und Goldwasser hegen keine Zweifel, dass Andreas Schönfeld unter der Maskerade steckte und müssen nun nach einem Racheengel suchen.

Bei einer der von Schönfeld fotografierten Frauen werden sie fündig: Die blinde Lisa Blum (Mavie Hörbinger) war von ihm vier Tage lang in ihrer Wohnung festgehalten und missbraucht worden, hat sich daraufhin völlig zurückgezogen. Erst ihre große Liebe Stephan Gellert (Alexander Simon), “Ex-Militär”, hat sie mit seiner Liebe und seiner kultivierten und weltgewanden Art über die Qualen hinweggetröstet, ruhte aber nicht, bis er den Täter ermittelt und zur Rede gestellt hat. Schönfeld lässt ihn kalt und mit einem hilflosen Hugh Grant-Lächeln abblitzen, setzt sich dann aber unvorsichtigerweise mit dem Rücken zu Gellert ans Klavier, wo der ihn, während er Schumann spielt, mit einem Hammer erschlägt.

Voss bedauert es sichtlich, Gellert, der sich “um diese wunderbare Frau bemüht” und “nicht weiß, wie man lügt”, nun zeigen zu müssen, dass er “keine Chance” habe. Noch bevor der Hauptkommissar aber die blitzeblanke Klingelplatte an dem historischern Wohnblock bedienen kann, hat Gellert schon für sich und Lisa einen tödlichen Trank zubereitet. Voss tappt unvorbereitet in die Wohnung und wird von Gellert überwältigt. Der als Aushilfsfahrer (Voss hat sich verletzt und kann nicht fahren) angestellte Bürohengst und fast-Pensionär Manfred Kramer „Fred“ (Sigi Zimmerschied) kann die Lage, obwohl Gellert nun eine Pistole hervorholt, betont handgreiflich entschärfen. Der Mörder wird schließlich von 3 Beamten unter heftiger Gegenwehr verhaftet, Lisa im letzten Moment vom Notarzt gerettet. Voss bleibt in der letzten Einstellung, offenbar schwer geschockt von den eigenen Einsatzfehlern, wie benommen stehen.

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