Nicht zu fassen: Tatort Wien vergreift sich

vor 13 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Rupert Henning hätte den Vorschlag für das Drehbuch auch einfach ablehnen können, stattdessen muss er sich mit einem Stoff herumschlagen, der in Hollywood zu einem Blockbuster, bei der ARD jedoch zu einem abstrusen Schwurblerkrimi gerät. Es ist Revolution in Wien Zentrum (könnte das auf dem Heldenplatz gedreht worden sein?), es gelbwestet gewaltig, allerdings ohne die in Frankreich üblichen neonfarbenen Leiberl. Die Meldungen im Polizeifunk überschlagen sich: „…sie wollen zum Parlament!…erhöhte Bedrohungslage im Regierungsviertel…Absperrungen teilweise durchbrochen…“.

Polizeihubschrauber werden mit Laserpointern angegriffen,1200 Ordnungshüter stehen in „vorderster Linie“ sind gereizt, müssen mit dem Schlagstock gegen eine aggressive Menge vorgehen. „Spaziergänger“ stürmen Absperrungen. Seit der „Räumung eines Querdenker-Protestcamps“ vor Monaten habe es „eine Demo nach der anderen“ gegeben. In Wien riegelt die Polizei, obwohl sie laut Einsatzleiter Markus „die Mauer“ Schuch (Wolfgang Oliver) „Personalmäßig aus dem letzten Loch pfeife“, Krankenhäuser ab und bewacht die Eingänge, teilt Pfefferspray an die Mitarbeiter aus, falls sie auf dem Weg zur Arbeit angepöbelt werden.

Das „System“ wird hier einmal mehr in Zweifel gezogen, wütende Protestler die den Staat verachten, machen ihrem Ärger und ihrer Frustration Luft. Seltsam: es fehlen knackige klare politische Parolen, die üblichen Fahnen, die Springerstiefel. Ganz Wien wird, wie die Einstellungen zeigen, von einem anonymen, aber jungen Mob tyrannisiert, der mit Kapuzen vermummt, kichernd und scheibenklirrend durch die Stadt tobt. Die Einsatzkräfte sind verständlicherweise hypernervös, haben „in zehn Minuten mehr als ein Dutzend Verletzte durch… Pflastersteinwürfe und Wurfbrandsätze“ zu beklagen. Plötzlich liegt da einer der Krakeeler in seinem Blut (Jakob Volkmann, gespielt von Tilman Tuppy). In einer Rückblende soll deutlich werden, was diesen toten jungen Mann so bewegt hat, dass er sich mit seiner Familie am Esstisch zoffte und seine Mutter (Nora Volkmann, gespielt von Daniela Gaets) ihn rauswirft. Aber viel mehr als nebulöse Sprachfetzen kann man weder den Parolen der Revoluzzer auf der Straße noch den Streitereien der Familie Volkmann entnehmen: „…freies Land nur noch auf dem Papier… der Scheiß-Staat schränkt uns alle ein und nimmt uns jede individuelle Freiheit… Widerstand…“. Hier hält sich der Krimi vornehm zurück, will keine Angriffsflächen auf dem Debattentisch öffnen.

Die im Todesfall Volkmann ermittelnden Polizisten Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) interessieren die politischen Gründe der Unruhen erstmal weniger. Ihr erstes Augenmerk fällt auf die vielen Dienstknüppel ihrer Kolleginnen, mit denen die Protestierer davon abgehalten wurden, das Parlament „wie das US-Capitol“ zu stürmen. Hat hier einer (Polizist Jonas Leisch, gespielt von Noah L. Perktold) zu stark zugehauen? Die Sichtung der Videoaufnahmen führt zu der dauerempörten zweifachen Mutter Jessica Plattner (Julia Edtmeier), die sich den Einsatzkräften besonders lautstark widersetzt hatte. Auch ihre Sinne sind von der „üblichen wilden Mischung“, dem Zorn über die vermeintliche staatliche Unterdrückung, vernebelt, auch sie lässt sich durch die „Gruppendynamik aufputschen“, wird zum Instrument, um die „Stabilität und staatliche Ordnung zu unterminieren“, hat eine „LGBTIQ-Allergie“, meint, sich gegen „Kinderschänderflaggen“ zur Wehr setzen zu müssen, zieht auch ihre Kleinen mit hinein: “Ihr seid Krieger, euch kommt keiner so schnell blöd“.

Im Ministerium setzen sich die Ermittelnden aus Polizei und Innenministerium zusammen. Auch ein Mann vom Verfassungsschutz („Schubert“, gespielt von Dominik Warta) nimmt teil, um den Ausnahmezustand zu besprechen. Scheinbar nur zur Deko dabei: Moritz und Bibi mit ihrem toten Demonstranten, bei dem Gerichtsmediziner Prof. Werner Kreindl (Günter Franzmeier) nun auch noch in Zweifel zieht, dass ihn der Schlag auf den Kopf getötet hat. Schlapphut Schubert klärt auf: Jakob Volkmanns Akte sei bis vor zwei Jahren „weiß“ gewesen, bis er Kontakte zu „Staatsverweigerern“ bekommen habe. Die Parolen dieser Gruppe, die sich KAPO („Kampfbereite Außerparlamentarische Opposition“) nennt, konnten der Ende-zu-Ende verschlüsselnden Kommunikation nur deshalb entnommen werden, weil einige Mitglieder die App befehlswidrig nicht regelmäßig ge-updated hätten: „…ein paar Tage, und das Land gehört uns… jetzt keine offenen Telefonate mehr!“

Aber der „Tatort“ weiß es genauso wenig wie die Revolutionäre selber, die wie Jakob Volkmann „In Verschwörungstheorien abdriften“: „…die korrupten internationalen Eliten, gegen Bevormundung, gegen „die da oben“, gegen den Mainstream,…gegen verrottete Elemente in den Parlamenten…im kosmischen Endkampf zwischen Gut und Böse…“ Bei dem europaweiten Netzwerk KAPO, so Aussteiger Heiko Tauber (Gerold Votava), handle es sich um „den Gully, in dem der ganze staatsfeindliche Dreck zusammenlaufe“. Diese Typen seien „Humorbefreit“ und würden jeden, der versuche, die Fliege zu machen, umbringen. „Diesmal“, so der schwarz vermummte „KAPO“-Mann Alexander Woltschak (Philip Leonhard Kelz) „werfen wir keine Farbbeutel“, als er den naiven Jakob Volkmann in einer weiteren filmischen Erklär-Rückblende als Fahrer für einen als „Impulsaktion“ bezeichneten Brandanschlag auf die Polizeiinspektion in der Wiener Keplergasse rekrutiert. Volkmann ist so geschockt, dass er sich vom Verfassungsschutz anwerben lässt und „alles aufschreibt“. Das führt dazu, dass ihn Woltschak und ein Komplize mit einem Narkosemittel für Pferde betäuben und in die Polizeikette werfen, wo er scheinbar durch eine Polizeiknute tödlich verletzt wird. Dumm nur, dass ihre als Doppelschlag gegen den V-Mann und die Polizeimethoden gedachte Aktion wegen der Videoaufnahmen der Bodycameras auffliegt.

Volkmanns schwangere Freundin Katja Ralko (Julia Windischbauer) dreht völlig durch, als sie erkennt, dass die „Schutzprogramme eures Scheißvereins“ den Vater ihres Kindes nicht retten konnten und nun auch sie im Fadenkreuz von “KAPO“ steht. Gerade noch ist Polizeiassistentin Meret Schande (Christina Scherrer) glimpflich einem Molotov-Cocktail-Wurf Woltschaks entkommen, da läuft er ihr beim Versuch, Katja zu eliminieren, vor den Lauf der Dienstpistole und sie kann ihn festnehmen.

Die KAPO, dieser „versponnene Verein von Verschwörungschwurblern“, so erfährt man, lasse sich auf die Idee einer „Utopistischen Republik auf Madagaskar, die radikal libertär sein sollte“ zurückführen. Der Insellage geschuldet habe man sich für die Piratenflagge mit den gekreuzten Knochen, den sog. „Jolly Rodger“ als Emblem entschieden. KAPO werde „keine Pseudohumanität oder Nachgiebigkeit gegenüber den Repräsentanten des Staates an den Tag legen… und ihn durch wohl temperierte Grausamkeit destabilisieren“.

Einer der Hintermänner der KAPO und ihrer Schwesternorganisationen, z.B. in der Schweiz und Deutschland, ist das „kosmopolitische Bürscherl“, der ehemalige Internatsschüler und Fremdenlegionär, heute staatenlos (die Österreicher haben ihn rausgeworfen), Gejza von Rencz (Michael Weger), der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde und nun schnellstens in seinem schwarzen SUV mit Fahrer und windigem Rechtsanwalt aus dem Lande fliehen will. Eine seiner Unterschlüpfe ist das mondäne Gestüt von Tierärztin Dr. Vettach-Alsmeier, die bereits mit „antidemokratischen Sprüchen“ aufgefallen sei und offenbar das Pferdenarkosemittel für die Beseitigung von Jakob Volkmann besorgt hatte. Dort liegt im Schreibtisch bereits die Kabinettsliste der neuen revolutionären Regierung, neben einer geladenen Pistole und verschiedenen Alias-Pässen.

Obwohl die Wiener Kommissare vor Ort warten, kann der Pate der „KAPO“ entkommen, Verfassungsschützer Schubert beruhigt aber: Man habe immer „mehrere Eisen im Feuer“, lasse öfter mal die großen Fische zu den anderen schwimmen, um sie dann alle ins Netz zu bekommen.

Und die Moral von der Geschicht‘, die weiß der „Tatort“ selber nicht…

Fellner und Eisner dürfen die Schlussszene versöhnlich ausklingen lassen: „wie man jetzt wieder zusammenkommen könne mit all den Leuten, die da “gegen den Staat spazieren” gehen? “Ned aufgebn, ned in an Topf werfen! Miteinander redn”.

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