
Ein syrischer Täter, fünf Verletzte, zwei in Lebensgefahr, Benzin im Rucksack – ein offensichtlicher Anschlag. Doch in der Tagesschau kein Wort, auf den Titelseiten gähnende Leere. Was früher Aufmacher gewesen wäre, läuft heute unter „ferner liefen“. NIUS dokumentiert das Versagen der Medien, einem Ereignis mit höchstem Nachrichtenwert die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken.
Am frühen Sonntagmorgen, dem 18. Mai 2025, ereignete sich in der Bielefelder Innenstadt ein brutaler Angriff, der nach den Maßstäben klassischer Nachrichtenwerte als glasklarer „Top-Aufmacher“ gelten müsste. Ein 35-jähriger syrischer Staatsbürger, Mahmoud M., stach laut Polizei vor einer Bar auf mehrere Menschen ein, mindestens zwei von ihnen schweben zeitweise in Lebensgefahr. Vier von fünf Menschen wurden schwer verletzt, eine fünfte Person leicht. Die Polizei fand am Tatort eine Tasche mit den Personaldokumenten des Verdächtigen sowie einer Flasche mit nach Benzin riechender Flüssigkeit. Die Beamten gehen von einem gezielten Anschlag aus. Wer mit Benzin auf Menschen losgeht, dem ist versuchter Massenmord vorzuwerfen.
Hier wurde friedlich getrunken und gefeiert als ein Mann plötzlich auf die Gäste der bei jungen Leuten sehr beliebten Bar einstach.
Trotz dieser Schwere – eine Messerattacke mit mehreren Schwerverletzten, geplant und damit mit terroristischem, islamistischem Hintergrund – findet das Verbrechen medial fast nicht statt. Die Hauptnachrichtensendung der Tagesschau um 20 Uhr am Sonntagabend berichtete nicht. Auch das ZDF-heute journal schwieg in seiner Abendsendung. Auf Anfrage von NIUS begründete die Tagesschau ihr Schweigen wie folgt:
„Die tagesschau ist eine Nachrichtensendung, die ihren Schwerpunkt auf Politik und Wirtschaft legt. Über Kriminalfälle wird deshalb grundsätzlich nur selten berichtet und völlig unabhängig davon, welcher Herkunft das Opfer oder der mutmaßliche Täter oder die Täterin war. Zum Zeitpunkt der 20 Uhr Tagesschau am 18. Mai war das Motiv der Tat noch unklar. Die tagesschau berichtet dann, wenn es einen gesellschaftspolitischen Hintergrund geben könnte oder es ihn gibt. Daher gibt es auch heute Berichterstattung zu diesem Thema unter anderem auf tagesschau24.“
Eine Erklärung, die ratlos zurücklässt. Denn bei den – deutlich selteneren – Angriffen anderer Tätergruppen war die Schwelle zur Primetime-Berichterstattung oft erheblich niedriger. Der Verweis auf ein „noch unklareres Motiv“ überzeugt angesichts der Funde – Stichwaffen, Benzinbehälter – kaum. Auch der Hinweis auf eine thematische Einordnung als „Kriminalfall“ greift zu kurz: Wenn ein Syrer mitten in der Nacht offenbar gezielt Passanten attackiert, liegt ein politisch aufgeladener Kontext sehr wohl nahe – zumal in einer Zeit, in der Debatten um Migration, Integration und innere Sicherheit die öffentliche Agenda bestimmen.
NIUS fragte auch das heute journal an. Die Antwort steht noch aus.
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Auch in der Online-Berichterstattung dominierte am Montag das Schweigen. Eine Momentaufnahme von nachrichtentisch.de um 13 Uhr zeigt: Nur fünf der großen deutschen Medienportale erwähnten den Anschlag überhaupt. Das Wort „Anschlag“ benutzte lediglich der Tagesspiegel, das Wort „Syrer“ fällt gar nicht.
Nachrichtentisch.de bildet die aktuellen Titelgeschichten im Online-Bereich.
Die Frankfurter Rundschau fiel als linke Zeitung mit wenigstens auf der Startseite erkennbarem Bericht aus dem Rahmen. Beim Spiegel, Deutschlandfunk, dem MDR und der Taz: kein Wort auf der Startseite – am Montagmittag. In den Printausgaben von Bild und FAZ vom Montagmorgen fand sich der Vorfall nicht auf der Titelseite. Auf der Website der Tagesschau war die Meldung weit unten versteckt – unter der Überschrift: „Offenbar Hinweise auf Anschlag“ – als müsste man offizielle Hinweise von der Polizei mit einem „offenbar“ relativieren.
Screenshot: Tagesschau.de
Dabei geht es nicht nur um journalistische Auswahlprozesse, sondern um einen gesellschaftlichen Stimmungswandel. Vor zehn Jahren hätte ein solcher Angriff – mitten in einer Großstadt, auf junge Menschen, mit einer politischen oder religiösen Motivlage – die Berichterstattung über Tage hinweg dominiert. Heute rutscht er durch. Die Öffentlichkeit scheint abgestumpft, Medien wirken müde, institutionalisierte Sprachregelungen wie „unklare Motive“ oder „ein Mann“ ersetzen die präzise Benennung von Realität.
Diese Entwicklung ist das Ergebnis einer zehnjährigen Gewöhnungspolitik, die seit Merkels Migrationsentscheidung 2015 jeden ernsthaften Diskurs über importierte Gewalt mit einem Tabu belegt hat. Die redaktionelle Entscheidung, einen solchen Vorfall zu marginalisieren, ist nicht Ausdruck von Zurückhaltung, sondern von Verdrängung – einer inneren Kündigung an den gesellschaftlichen Auftrag, relevante Ereignisse sichtbar zu machen.
Ein nächtlicher Angriff mit mehreren Schwerverletzten, Benzin und Tatwaffen – geplant von einem syrischen Staatsbürger – ist nach allen klassischen Nachrichtenkriterien von höchster Bedeutung. Wenn ein solcher Fall heute in den Leitmedien nur noch am Rande vorkommt, liegt das nicht an fehlenden Informationen, sondern an fehlendem Willen. Die mediale Reaktion auf den Bielefeld-Anschlag ist ein Lehrstück über schleichende Normalisierung und politisch motivierte Themenausblendung – und eine bedenkliche Abstumpfung.
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