
Seit Tagen beschäftigt sich Deutschland mit dem Bayern-Star Thomas Müller. Er macht was mit uns. Er bewegt uns. Keine Vertragsverlängerung für ihn – das ist das eine. Er ist doch erst 35, sagen viele. Kein anderer hat so viele Spiele für den FC Bayern bestritten wie er, 743 an der Zahl. So einen schmeißt man doch nicht einfach raus. Andere sagen: Er fällt doch weich mit diesen vielen Millionen. Der kann sich nicht beklagen.
Er ist der Liebling der Fans: Thomas Müller holte mit den Bayern zwölf Meistertitel, sechs Pokal- und acht Super-Cup-Siege. International gewann er mit seinem Verein jeweils zweimal die Champions-League, den UEFA-Cup und die Klub-Weltmeisterschaft.
Das alles stimmt und lässt sich diskutieren. Und doch trifft es alles nicht den Kern, sagt mir mein gesunder Menschenverstand. Was uns so bewegt an der Causa Thomas Müller – er ist einer von uns. Oder präziser: Er ist so, wie wir mal waren.
Der Vater ist Ingenieur bei BMW-Motorrad – er arbeitet als Fahrzeugtechniker in der Münchener Hufelandstraße. Er liebt seinen Beruf, er liebt BMW-Motorräder. Er war Projektleiter der K-1600-Tourenmotorräder – die „größten BMW-Motorräder überhaupt“, sagt der Vater. In einer Kiesgrube tobten sich Vater und Sohn früher auf Mofas und Enduros aus. Doch „aus Vernunftgründen“ hörten sie irgendwann auf. „Für Thomas als Profifußballer war das einfach zu gefährlich“, sagte Vater Gerhard der Abendzeitung.
Thomas Müller mit seinen Eltern Gerhard und Klaudia auf der Tribüne in der Allianz-Arena.
Da ist der eine Punkt, der einen Thomas Müller auszeichnet: eine innige Vater-Sohn-Beziehung, die ihm Kraft und Selbstvertrauen gab. Zu seiner Mutter Klaudia, einer Sozialmanagerin, hat Thomas Müller ebenfalls eine sehr enge Beziehung. Die Müllers kommen aus Pähl südwestlich von München zwischen Starnberger See und Ammersee. Eine ehemalige Grundschullehrerin sagt: „Ein Bilderbuch-Bub war der kleine Thomas. Er war sehr begabt und sehr fleißig.“
Der FC Bayern ist seine große Fussball-Liebe: Thomas Müller als Junge in Bayern-Kluft auf seinem Bett.
Und das ist der zweite (und dritte) Grund, der einen Thomas Müller auszeichnet: ein gesegnetes Elternhaus, liebende Eltern, Begabung und vor allem: Fleiß wurde vorgelebt, Fleiß wurde belohnt. Auf die Idee, als Fußballer kein Abitur zu brauchen, kam Thomas Müller nicht. Er machte das Abi, obwohl er schon Profi war.
Er ist ein Kämpfer, er hat Stil, er ist bodenständig, aber nicht spießig. Er ist verschmitzt, er hat Humor. Seine Frau Lisa sagt: „Thomas bringt mich jeden Tag zum Lachen.“
Thomas Müller ist nicht begnadet wie ein Lionel Messi. Er hat sich seine Erfolge hart erarbeitet. Er steht früh auf, um zu trainieren. Egal, in welcher Verfassung er ist. Man kann sich immer auf ihn verlassen. Wenn sein Verein miserabel gespielt hat, nimmt er sich in der Kritik nicht aus, aber er schützt Mannschaftskameraden vor unberechtigter Kritik. Er ist fleißig, pünktlich, pflichtbewusst. Er wollte etwas werden und wurde etwas. Er hat alle Tugenden, die die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, als sie unser Land aufbauten: nicht jammern, machen; zupacken, ohne viel zu fragen; Humor, denn ohne den geht es nicht.
Zu ihm sehen alle auf: Thomas Müller mit dem Pokal nach dem WM-Finale 2014 in Brasilien.
Irgendwie glaube ich, dass es uns so schwerfällt, vom Sportler Thomas Müller Abschied zu nehmen, hat einen tieferen, in uns schlummernden Grund: Wir nehmen ein bisschen Abschied von uns selbst. Von dem, was uns stark gemacht hat. Man nennt es deutsche Tugenden: Einsatzbereitschaft, Fleiß, Ehrlichkeit, Ordentlichkeit, Charakter. Ein Stück von dem, was in der Wirtschaft „Made in Germany“ genannt wird.Das alles hat uns dieser Typ aus Weilheim in Oberbayern vorgelebt. Und er hat nicht viel darüber gesprochen. Er hat es gemacht.Thomas Müller – er ist wie wir mal waren. Deshalb ist der Abschied so schwer.
Die letzte Kolumne für den gesunden Menschenverstand von Louis Hagen:Wir brauchen richtige Polizei, keine für unseren Müll