
Bei den Deutschen Jugend-Einzelmeisterschaften im Schach hat in der Altersklasse U18 weiblich mit Nora Heidemann erstmals eine Transfrau den Titel gewonnen. Heidemann holte 7,5 Punkte aus neun Partien und setzte sich gegen 27 Konkurrentinnen durch – obwohl sie in der Setzliste nur auf Rang 10 geführt war und nicht zum Favoritenkreis zählte.
Nach dem überraschenden Sieg wird im deutschen Schach erneut über die Teilnahme von Transfrauen an Turnieren der Frauenschachkategorie diskutiert. Anders als in vielen Sportarten gibt es im Schach keine strikt geschlechtlich getrennten Wettbewerbe. Neben einer offenen Kategorie – in der alle Spieler unabhängig vom Geschlecht antreten können – existiert eine eigene Frauenschachkategorie, die vor allem der gezielten Förderung von Mädchen und Frauen im traditionell männlich dominierten Schach dient.
Heidemann hatte sich nicht regulär für die Meisterschaft qualifiziert. Bei der Landeseinzelmeisterschaft ihres Bundeslands trat sie noch in der offenen U18 an und verpasste dort die direkte Qualifikation. Hintergrund war, dass ihre amtliche Geschlechtsänderung erst nach Ablauf der regulären Frist erfolgt war. Ihre Teilnahme in der U18 weiblich erfolgte schließlich über einen Freiplatz.
Die Deutsche Schachjugend, die für das Turnier verantwortlich ist, verteidigte diese Entscheidung in einem öffentlichen Statement. Die Geschlechtsänderung habe bei der Freiplatzvergabe „keine Rolle“ gespielt, so die Organisation. Entscheidend sei allein die Wertungszahl gewesen, auf deren Grundlage auch anderen Spielerinnen Freiplätze gewährt worden seien.
Kurz nach dem Turnier befassten sich die Landesfrauenreferentinnen beim traditionellen Jahrestreffen mit dem Fall. Laut dem veröffentlichten Protokoll wurde dort einstimmig beschlossen, dass die Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister aus Sicht der Frauenschachkommission nicht ausreiche, um an Turnieren der Frauenschachkategorie teilzunehmen. Zudem solle eine wissenschaftliche Analyse klären, welche Unterschiede im Schachspiel zwischen Männern und Frauen bestehen.
Obwohl Schach keine körperliche Sportart ist, zeigen Ranglisten deutliche Unterschiede. Die stärkste Frau der Welt, Hou Yifan, liegt auf Platz 95 der Weltrangliste. Elisabeth Pähtz, Deutschlands Nummer eins, belegt Rang 93 unter den deutschen Schachspielern. Als Ursachen werden teils statistische Effekte genannt – deutlich mehr Männer als Frauen spielen Schach auf hohem Niveau –, teils biologische Faktoren wie hormonelle Unterschiede. Eine abschließende Klärung gibt es nicht.
Die Deutsche Schachjugend erhält Rückendeckung vom Deutschen Schachbund. In einer Stellungnahme heißt es: „Schach ist bunt und inklusiv.“ Forderungen nach Einschränkungen für Transfrauen im Frauenschach, wie sie unter anderem von der Frauenschachreferentin Nadja Jussupow geäußert wurden, lehnt der Verband ab. Auch eine Sperrfrist von einem Jahr wird nicht unterstützt. Präsidentin Ingrid Lauterbach erklärte: „Transfrauen dürfen natürlich weiter mitspielen.“ Der Verband verweist zudem auf das neue Selbstbestimmungsgesetz und auf die Vorgaben des Internationalen Olympischen Komitees. Da im Schach kein körperlicher Vorteil bestehe, gebe es keinen Grund für einen Ausschluss.
Anders ist die Lage auf internationaler Ebene. Der Weltschachverband FIDE beschloss 2023, dass Transfrauen nach einer Geschlechtsumwandlung vorerst nicht an offiziellen Frauenturnieren teilnehmen dürfen, bis eine abschließende Entscheidung getroffen werde. Diese Regelung hatte bereits im Vorjahr Proteste des Deutschen Schachbunds ausgelöst. In einer Reaktion betonte der Verband, Transfrauen würden im deutschen Schach nicht ausgeschlossen. Bereits in den 2000er-Jahren habe eine Transfrau den deutschen Meistertitel gewonnen, hieß es damals – und das solle auch künftig möglich bleiben.