Tobias Haberls Suche nach dem Glauben in einer glaubensarmen Welt

vor 8 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Nachdem Tobias Haberl für das Süddeutsche Zeitung Magazin einen Essay darüber verfasst hat, wie unverstanden er sich als Christ in unserer Zeit und Gesellschaft fühlt, ist die Resonanz überwältigend. Unzählige Rückmeldungen per Mail positiv wie auch kritisch, belegen, dass er einen Nerv getroffen hat. Und so legt er mit dem gleichnamigen Werk eine Ausarbeitung in Buchform vor: Wie fühlt man sich heutzutage als Christ unter Heiden? In einer Gesellschaft, in der viele Menschen dem Glauben kaum noch begegnen, in der Vorurteile und Vorverurteilungen weit verbreitet sind, und in der nicht nur Unwissen und Unverständnis vorherrschen, sondern auch weithin Desinteresse gegenüber Theologie, Religion, Glaube.

Tobias Haberl gibt Auskunft über das Gefühl, unverstanden zu sein, der Exot beim gemeinsamen Abendessen, der Außerirdische insbesondere in intellektuellen und „elitären“ Milieus wie der Medienwelt.

Ein solches Anliegen könnte leicht in Weinerlichkeit oder Belehrung abgleiten; beides aber liegt dem Autor völlig fern. Dass man seinen Schilderungen gern folgt, hat verschiedene Gründe. Zum einen wäre da Haberls freundlicher Humor. Bei aller Ernsthaftigkeit wird deutlich, dass hier jemand dazu bereit ist, auch über sich selbst zu lachen, sich selbst zu hinterfragen. Das weckt Vertrauen. Und dann wäre da Haberls Zugewandtheit: Immer wieder spricht aus seinen Zeilen frische, aufgeweckte Neugier auf das Andere, den Anderen.

Wer aber so ehrlich interessiert ist an dem, was ihm fremd ist, dem gesteht man gern zu, auch von dem zu erzählen, was er kennt, was ihm eigen ist, und sei es der eigene Glaube. Es steckt sogar eine gewisse Verführungskraft in Haberls ungewzungen-toleranter Weltoffenheit, die doch gerade Christen gern abgesprochen wird: Man will ihm nicht nachstehen in seiner Aufgeschlossenheit, und fühlt sich gewissermaßen herausgefordert, sich als ebenbürtig zu erweisen. Und das bedeutet eben, die Tür des eigenen Geistes aufzustoßen, hinauszugehen, und sich von ihm ein Stück weit in seine Gedanken- und Erfahrungswelt mitnehmen zu lassen.

Das ist durchaus nicht unbescheiden: Haberl, dem laut eigener Aussage der Katholizismus bei seiner Geburt „wie ein Eimer über den Kopf“ gestülpt wurde, spricht aus der Perspektive eines „Cradle Catholic“, d.h. eines von Kindheit an katholisch sozialisierten Menschen.

Natürlich sind ihm die Vorannahmen, die eine solche Prägung mit sich bringen, bewusst und er legt sie reflektiert dar – vielleicht sogar ein wenig zu bemüht: Denn während es richtig und wichtig ist, anzumerken, dass ein religiös erzogener Mensch kein unbeschriebenes Blatt ist, so sollte man nicht vergessen, dass auch nicht religiös erzogene Menschen keineswegs „neutral“ und objektiv sind. Sie sind ebenfalls geprägt, eingebunden in einen Kontext und einen Verständnis- und Erkenntnisrahmen. Häufig reflektieren und problematisieren sie die eigenen Vorannahmen sogar weit weniger als religiöse Menschen; bis hin zum Irrtum, man unterliege – anders als „diese Religiösen“ – keiner derartigen Begrenzung.

Nun gibt es immer wieder mehr oder weniger dramatische Glaubenszeugnisse von Menschen, die aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Glauben oder sogar aus feindseliger Ablehnung herausgerissen werden und sich bekehren. Das sind wertvolle Lebensgeschichten, oft im wahrsten Sinne „unglaublich“; faszinierende Belege für die Wirkmacht Gottes, oder, wie es weniger Enthusiastische wohl sagen würden, für die Wirkmacht einer zweitausend Jahre alten Erzählung: Schon das ist und wäre bemerkenswert.

Menschen, die mit dem Glauben aufgewachsen sind, empfinden gegenüber solchen Bekehrten oft eine gewisse Scheu: Bei ihnen selbst sei der Glaube ja schließlich nichts Besonderes, man habe sich nicht so wirklich dafür entscheiden müssen, keine großen Opfer gebracht, und eben vieles „in die Wiege gelegt“ bekommen. Gerade die Stimmen des unaufgeregten, selbstverständlichen Hineinwachsens in den Glauben fehlen aber, wenn diese Christen von ihrem Glaubensweg nicht sprechen, weil sie annehmen, da gäbe es nichts zu erzählen.

Haberl dagegen nimmt für sich in Anspruch, dass es da durchaus Erzählenswertes gibt: Die Sonntagsmesse, die Gemeinschaft, die Geborgenheit, die Schönheit. Die Tradition, das Vorleben des Glaubens, wie man ihn von Eltern und Großeltern vermittelt bekommt.

Wohltuend normal klingen die Kindheitserinnerungen. Und sie zeigen, dass diese Form der Normalität, eine organische christliche Sozialisation ohne Brimborium, ohne das Bewusstsein, irgendetwas Herausgehobenes zu sein oder zu tun, ihren Wert und ihren Platz hat. Und dass man auch „unter Heiden“ einen Anspruch darauf hat, dass diese Normalität geachtet und respektiert wird.

Allerdings legt Haberl dem Leser nicht nahe, all diese Probleme zu lösen, indem er Jesus Christus als seinen Herrn und Erlöser anerkennt. Haberls Verkündigung ist zurückhaltend: Es genügt ihm darzustellen, was ihn bewegt, was ihn erfüllt. Der Leser kann damit tun, was er möchte: Zustimmung, Skepsis, Staunen – alles ist erlaubt.

Ein aus katholischer Sicht wichtiger Aspekt: Haberl spielt Kirche und Glaube nicht gegeneinander aus, obschon er in vielen Fragen nicht mit der kirchlichen Lehre übereinstimmt. Die deutsche „Allgemeinheit“ ist, ohne dass dies bewusst und transparent gemacht würde, stark von protestantischen Grundannahmen geprägt. Dazu gehört auch die Annahme, dass die Institution Kirche vom persönlichen Glauben zu trennen sei. Das ist zwar ein Widerspruch zum Glaubensbekenntnis, das auch evangelische Christen ablegen, aber in der Genese des Protestantismus begründet: der hat sich schließlich in Abgrenzung zur Kirche konstituiert. Werden Kirche und Glaube als untrennbare Einheit aufgefasst, woher sollte er seine Legitimation nehmen?

So wird katholischer Glaube meist anhand protestantischer Maßgaben aufgefasst, was ihm natürlich nicht gerecht wird und vieles völlig unverständlich bleiben lässt. Haberl scheint dieses Problem unterschwellig wahrzunehmen: Dass der Umgang mit der katholischen Kirche – bei allen Problemen, bei aller berechtigten Kritik – zumeist nicht adäquat ist, sagt er nachdenklich, aber deutlich.

Zwar ist auch Haberl vor der Selbstüberschätzung, die einen persönlichen Glauben formuliert, der sich über die kirchliche Lehre erhebt, obgleich er ohne dieselbe gar nicht möglich wäre, nicht gänzlich gefeit, aber diese Selbstüberschätzung ist von deutlich mehr aufrichtiger Demut begleitet, als es gemeinhin üblich ist.

So ist beispielsweise spannend, dass sich Haberl verschiedentlich gleichsam für seinen Mangel an theologischem und religiösem Wissen entschuldigt – was er nicht müsste. Niemand muss schließlich Theologe sein oder päpstliche Enzykliken lesen, um als getaufter und gefirmter Christ valide Auskünfte über den Glauben geben zu können und zu dürfen. Expertokratie ist dem Katholischen Glauben fremd: Es ist überhaupt ein gern übersehenes Charakteristikum der katholischen Kirche, dass hier das Wort ungebildeter Hirtenmädchen schwerer wiegen kann als das eines Bischofs, und dass das alte Mütterchen durch den Rosenkranz zu denselben Erkenntnissen gelangen kann wie der Gelehrte durch jahrzehntelanges Studium.

Haberl empfindet und bekennt Wissensdefizite aber bezeichnenderweise ausgerechnet im „spirituellen“ Rahmen, also da, wo sie nicht unbedingt ins Gewicht fallen müssen: Wo es ganz unmittelbar um Gottesbegegnung geht, legt er eine geradezu verblüffende und beeindruckende Demut an den Tag. Eine Demut, die sicher auch aus der Bereitschaft rührt, Unbekanntes wahr- und aufzunehmen, und sich immer wieder von neuen Erfahrungen überraschen zu lassen.

Die Einblicke in Haberls Gotteserfahrungen und Gottesbegegnungen macht das keinesfalls weniger eindrücklich oder bemerkenswert. Wenn er die Teilnahme an der „Alten Messe“ beschreibt, wenn er über seinen Klosteraufenthalt in Le Barroux spricht, dann öffnet er dem Leser die Tür zu einem Erfahrungshorizont, der dem Nichtgläubigen gänzlich unbekannt oder undenkbar war, vielleicht auch außerhalb seiner Vorstellungskraft liegt. Zudem bewegt sich Haberl hier in Bereichen, die auch vielen Katholiken fremd sind. Diese Ausflüge in katholische Lebenswelten sind aber keine äußerlichen Expeditionen. Sie sind auch deshalb so lohnend und berührend, weil Haberl sie mit einem Eintauchen in sein Denken und Fühlen verbindet.

Persönliches Erleben und Ringen so zu schildern, dass man intime Einblicke gewährt, aber zugleich die notwendige Distanz bewahrt, ist eine hohe Kunst. Haberl beherrscht sie: Nirgends auch nur ein Anflug von Fremdscham, nirgends wird der Leser zu Voyeurismus angehalten, nirgends dreht sich der Autor egozentrisch um sich selbst. Und dennoch ist er vom ersten bis zum letzten Wort konsequent persönlich.

„Unter Heiden“ besticht ganz maßgeblich durch den Mut, sich auf diese Weise verletzbar und angreifbar zu machen und durch seine Ehrlichkeit. Das Wohlwollen, das Haberls Worte ausstrahlt, weckt wiederum Sympathie: so entsteht ein freundschaftliches Band zwischen Autor und Leser, das Haberl erlaubt, seine Leser mit seinem Innen- und Glaubensleben zu konfrontieren, aber auch mit allgemeineren Überlegungen zu Religion und Religiosität in einer säkularen Welt.

Damit gelingt Haberl nicht nur ein tiefsinniges Plädoyer für den Glauben, sondern auch für Menschlichkeit und ein Miteinander, das nach gegenseitigem Verständnis sucht.

Tobias Haberl, Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe. btb, Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 22,00 €.

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