Trennung wegen „massiver Missachtungen journalistischer Standards“: Mit diesem Brandbrief verließ ein Qualitätsjournalist das ZDF

vor 1 Tag

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Bildquelle: NiUS

Peter Welchering, ein bekannter Wissenschaftsjournalist, der viele Jahre als freier Mitarbeiter für das ZDF gearbeitet hat, beendete seine Zusammenarbeit mit dem Sender Ende 2024. Jetzt macht er die genauen Gründe öffentlich: In einem Brandbrief an Intendant Norbert Himmler, den er am 20. Dezember 2024 verschickte, wirft Welchering dem ZDF eine unerträgliche Missachtung journalistischer Standards vor.

Selbst für ein Urgestein wie ihn seien die Arbeitsmethoden und Zustände beim ZDF inzwischen „nicht mehr mit berufsethischen Grundsätzen vereinbar“, schreibt Welchering auf X. Auf vielfache Nachfrage habe er das vollständige Schreiben an ZDF-Intedant Himmler veröffentlicht.

Welchering macht Wut und Enttäuschung über den langjährigen Auftraggeber Luft, spricht über Jan Böhmermanns Vernichtungskampagne gegen den ehemaligen BSI-Chef Schönbohm, die verlogene Berichterstattung über den Correctiv-Skandal und das erfundene Geheimtreffen in Potsdam. Und er beschreibt, wie früher bei den öffentlich-rechtlichen gearbeitet wurde: sorgfältig und stets auf Neutralität achtend.

Heutige Propaganda-Methoden und Schlampereien des ZDF, so Welchering, seien für ihn und viele andere sauber arbeitende Journalisten ein regelrechter Schlag ins Gesicht: „Eine stärkere Missachtung von Autorenleistungen, bei denen journalistische Sorgfaltspflichten skrupulös beachtet wurden, bei denen für die seriöse und korrekte Umsetzung journalistischer Standards auch mal eine Nacht oder ein ganzes Wochenende durchgearbeitet wurde, die dank intensiver selbstkritischer Prüfung anhand geltenden journalistischen Methodenwissens zustande kamen, eine stärkere Missachtung kann ich mir gar nicht vorstellen.“

NIUS dokumentiert den Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Dr. Himmler,

wenn ein langjähriger freier Mitarbeiter des ZDF seinem Intendanten einen Brandbrief schreibt, ist es ernst. Und es ist sogar sehr ernst. Denn in Sachen Glaubwürdigkeit des ZDF brennt die Hütte. Das hat mit der zu weitgehenden Missachtung journalistischer Standards zu tun. Ich werde diesen schon seit längerer Zeit schwelenden Hüttenbrand noch ausführlicher schildern.

Vorab das Wichtigste: Ich kann aus berufsethischen Gründen nicht mehr als freier Mitarbeiter für das ZDF tätig sein.

Unmittelbar auslösendes Motiv für diese Entscheidung ist das Verhalten der verantwortlichen Führungskräfte des Senders in der Affäre „Schönbohm/Böhmermann“. Nach der gestrigen Entscheidung des Landgerichts München I (AZ: 26 O 12612/23) hätte ich erwartet, dass die Senderverantwortlichen Konsequenzen ziehen, Herrn Schönbohm um Entschuldigung bitten und die zweifelsfrei feststellbaren massiven Missachtungen journalistischer Standards aufarbeiten.

Was Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale am 7. Oktober 2022 abgeliefert hat, hat mit Journalismus nichts mehr zu tun. Es hat auch nichts zu tun mit typischen Stilmitteln der Satire. Denn auch satirische Zuspitzungen müssen von wahren Tatsachenkernen ausgehen. Ich habe das ja in Diskussionen unter Kollegen mit Verweis auf mein Modul „Journalismus oder Aktivismus? Die Causae Correctiv und Böhmermann“ im Rahme meiner journalistischen Lehrtätigkeit bereits mehrfach ausführlich erläutert. Ich gehe davon aus, dass Ihnen die diesbezüglichen mehrfach vorgetragenen Überlegungen und entsprechenden Schlussfolgerungen bekannt sind. Ansonsten lasse ich Ihnen das Material gern zukommen.

Ich hätte weiterhin erwartet, dass über das diesbezügliche Urteil des Landgerichts unvoreingenommen in den Nachrichtenformaten des ZDF berichtet wird. Weder in der 19:00-Uhr-Ausgabe der Heute-Sendung noch in der späteren Ausgabe des Heute Journals war das am gestrigen Tag der Fall.

Und da kommen wir auch zum schwelenden Hüttenbrand. Der findet im Maschinenraum des ZDF statt, bei den Beitragsautoren, die die feststellbare Missachtung journalistischer Standards zunehmend unerträglich finden. Ich habe darüber mit vielen Kollegen sehr lange und sehr intensiv gesprochen. Böhmermann ist ja leider kein Einzelfall.

Die Berichterstattung über den Correctiv-Text „Geheimtreffen gegen Deutschland“ am 10. Januar 2024 im Heute Journal, gegen die das Landgericht Hamburg am 29. Oktober 2024 eine entsprechende einstweilige Verfügung erließ, ist ein weiteres Beispiel, wie über journalistische Sorgfaltspflichten, Standards und über journalistisches Methodenwissen einfach hinweggegangen wird.

So wird der im Stil eines Dramas geschriebene Correctiv-Text in der Anmoderation der Heute-Sendung vom 10. Januar 2024 fälschlicherweise als „Bericht“ bezeichnet. Es wird nicht darauf hingewiesen, dass ein Drama ganz andere Zugangsvoraussetzungen für eine Aussagenüberprüfung aufweist als ein journalistischer Bericht. Zudem wird bezüglich der Quellen im Heute Journal Update am 10. Januar 2024 nicht weiter nachgefragt:

Es gibt zwar die Moderatorinnenfrage: „Herr Bensmann, wie belastbar sind Ihre Quellen?“. Die Antwort bleibt ausweichend: „Unsere Quellen sind recht belastbar. Wir haben Dokumente, wir haben Kopien von Briefen, wir haben Fotos von innen und von außen, wir haben Filmaufnahmen und wir haben Quellen, die uns das, was dort gesagt wurde, sehr, sehr vertrauensvoll übermittelt haben, sodass wir davon ausgehen und dafür sicher sind, dass diese Quellen oder dass die Geschichte, die auf diesen Quellen beruht, stimmt.“

Hier hätten dringend weitere Details zur Quellenlage nachgefragt werden müssen.

Mir sind zudem keinerlei Gegenrecherchen zur Überprüfung der von Herrn Bensmann behaupteten Quellenlage bekannt.

Im Gegenteil: Laut Mitteilung von Rechtsanwalt Dr. Carsten Brennecke hat das ZDF vor Gericht argumentiert, dass „im Rahmen der tagesaktuellen Berichterstattung eigene Nachrecherchen aus Zeitgründen in aller Regel nicht möglich seien".

Das ist für Rechercheure und Beitragsautoren wie mich, die unter großen Zeitdruck, Beiträge wie die über die Snowden-Dokumente (2013), das angreifbare Kryptohandy der Kanzlerin (2014), Satellitenfotos zum MH17-Absturf (2015), Cyberterror gegen Atomanlagen (2016), Riskante Sicherheitsdateien des Bundes (2017), Patientendaten als Erpressungsmittel (2018), Facebook überwacht Konzern-Gegner (2019), Schwachstellen der Corona-Apps (2020), Angriffe über Exchange-Server (2021), Millionenverschwendung für unnötigen Gerätetausch bei Ärzten (2022) – um nur mal einige wenige Beispiel zu nennen – ein Schlag ins Gesicht.

Wobei sich Autoren wie ich beide Beine ausgerissen haben und die Arme oftmals dazu, das ist also aus Zeitgründen in aller Regel nicht möglich? Es wird auch nicht als notwendig erachtet?

Eine stärkere Missachtung von Autorenleistungen, bei denen journalistische Sorgfaltspflichten skrupulös beachtet wurden, bei denen für die seriöse und korrekte Umsetzung journalistischer Standards auch mal eine Nacht oder ein ganzes Wochenende durchgearbeitet wurde, die dank intensiver selbstkritischer Prüfung anhand geltenden journalistischen Methodenwissens zustande kamen, eine stärkere Missachtung kann ich mir gar nicht vorstellen.

Das hat dazu geführt, dass ich Ihnen nun diesen Brandbrief schreibe. Ich werde meinen Brandbrief auch öffentlich machen. Spätestens nach dem am gestrigen Tage erlebten Umgang im Sender und des Senders mit der Causa Böhmermann wurde eine Entscheidung notwendig. Und die hängt von der Beantwortung der Frage ab: Kann ich noch glaubwürdig als Journalist für diesen Sender arbeiten?

Glaubwürdige Arbeit setzt zwingend die umfassende Geltung journalistischer Standards voraus. Die wurden zu oft verletzt. Und es passierte danach wahrnehmbar nichts. Das stellt dann auch die eigene Arbeit für das Haus massiv in Frage.

Vor einigen Jahren sagte ich in einem medienpolitischen Interview mal, dass ich neben meiner Arbeit für den Deutschlandfunk als publizistischen Zweitwohnsitz das ZDF bezeichnen würde. Daran lässt sich vielleicht ermessen, wie schwer mir diese Entscheidung fiel.

Ich wage trotzdem noch, meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass nach diesem Brandbrief eines freien Mitarbeiters mit 40jähriger Berufserfahrung als Journalist der schwelende Hüttenbrand im Maschinenraum erkannt wird und endlich etwas in Sachen Brandbekämpfung getan wird.

Ich selbst will durch meine Kritik und – helfende, konstruktiv gemeinte – Hinweise dazu beitragen. Aber es ist mir nicht mehr möglich, unter diesen Voraussetzungen noch journalistische Beiträge zuzuliefern. Ich hatte zwar mit Eintritt in den Ruhestand im Spätsommer dieses Jahres zugesagt, mich nicht völlig aus der Arbeit für das ZDF herauszuziehen. Aber ich muss das jetzt tun, um glaubwürdig zu bleiben.

Wie soll ich, der ich noch immer junge Journalisten ausbilde, die Notwendigkeit journalistischer Standards begründen können, wenn ich journalistisch für einen Sender arbeite, in dem sie an entscheidender Stelle nicht mehr gelebt werden, teilweise missachtet werden?

Mit sorgenvollen Grüßen

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