
Mit einem Brief an alle NATO-Partner bringt US-Präsident Donald Trump diese in Zugzwang: Neuen Sanktionen gegen Russland will er nur zustimmen, wenn die Europäer gar kein Öl mehr von Putin kaufen und China hohe Zölle auferlegen. Denn noch immer beziehen europäische Länder Öl und Gas aus Russland in erheblichem Umfang – und finanzieren so den Krieg gegen die Ukraine auch auf der anderen Seite mit.
Seit der Invasion russischer Truppen in der Ukraine im Februar 2022 gerieren sich die Europäer als Schutzmacht Kiews, schießen rhetorisch scharf gegen Putin und verhängen ein Sanktionspaket nach dem anderen gegen Russland. Seit Donald Trump seine zweite Amtszeit angetreten und die Rolle des Vermittlers übernommen hat, um den Krieg zu beenden, wird der US-Präsident immer wieder aufgefordert, mit Sanktionen oder Sekundärzöllen mehr Druck auf Moskau auszuüben.
Jetzt hat Trump mit einem Brief an die NATO-Verbündeten erläutert, er sei zu neuen Sanktionen gegen Wladimir Putins Kriegsmaschinerie bereit – wenn die anderen NATO-Staaten sämtliche Öl-Käufe aus Russland einstellen. Damit legt er den Finger in eine bislang gut verdeckte Wunde. Denn Tatsache ist: Trotz aller Solidaritätsbekundungen finanzieren die Europäer Russlands Krieg gegen die Ukraine de facto mit.
Zwar hat die Europäische Union die Einfuhr russischen Öls weitgehend verboten, aber nach Angaben der EU-Kommission machten russische Gaslieferungen 2024 noch immer rund 19 Prozent der gesamten EU-Gasimporte aus. Im Jahr zuvor waren Erdgas und Flüssiggas im Wert von 15,6 Milliarden Euro aus Russland in die EU importiert worden. Länder wie Österreich, die Slowakei und Ungarn importieren russisches Gas über Pipelines. Frankreich, Spanien und Belgien haben einen Anteil von 85 Prozent des importierten Flüssiggases, zahlten dafür seit Kriegsbeginn 6,3 Milliarden Euro. Und die Türkei – kein Mitglied der EU, aber NATO-Mitgliedsstaat – ist nach China und Indien seit 2023 drittgrößter Importeur von russischem Öl.
„Der Kauf von russischem Öl durch einige Länder ist schockierend!“, schreibt Trump in seinem Brief. „Dies schwächt die Verhandlungsposition und die Verhandlungsmacht gegenüber Russland erheblich.“
„Ich bin bereit, umfassende Sanktionen gegen Russland zu verhängen, wenn alle NATO-Staaten sich darauf geeinigt haben, dasselbe zu tun, und damit begonnen haben, und wenn alle Nato-Staaten den Kauf von Öl aus Russland einstellen“, erklärte Trump am Samstag in seinem Onlinedienst Truth Social. Darüber hinaus regte der Präsident Strafzölle in Höhe „von 50 bis 100 Prozent“ auf Einfuhren aus China an, bis der Krieg in der Ukraine beendet sei. Eine solche Maßnahme sei „ebenfalls sehr hilfreich zur Beendigung dieses tödlichen, aber lächerlichen Krieges“.
Mit seinem Brief hat Trump den Ball an die Europäer zurückgespielt.
Dieser Krieg sei nicht seiner, sondern „Bidens und Selenskyjs Krieg“, schrieb Trump. „Ich bin nur hier, um ihn zu stoppen und Tausende russische und ukrainische Leben zu retten (allein letzte Woche sind 7.118 Menschen ums Leben gekommen. Wahnsinn!).“ Weiter behauptete Trump, der am Tag zuvor erklärt hatte, er sei dabei, die Geduld mit Putin zu verlieren: „Wenn die NATO tut, was ich sage, wird der Krieg rasch enden und all diese Leben werden gerettet! Wenn nicht, verschwenden Sie nur meine Zeit und die Zeit, Energie und das Geld der Vereinigten Staaten.“
Ungarn und die Slowakei zahlten für russisches Öl seit Kriegsbeginn jeweils mehr als 6 Milliarden Euro, die beiden Länder beziehen auch Gas aus Russland. Russisches Öl gelangt ebenfalls nach Europa, allerdings über Umwege: Länder wie Indien und die Türkei kaufen Putins Rohöl, verarbeiten es und liefern es als Diesel oder Kerosin nach Europa, auch nach Deutschland. 2024 sollen Ölprodukte im Wert von zweistelligen Milliardenbeträgen in die EU geströmt sein.
Viktor Orbán lässt Ungarn weiter mit günstigem russischen Öl versorgen.
Im Juli hat die EU zwar beschlossen, schrittweise damit Schluss zu machen, aber bis 2027 fließen weiter riesige Summen an den Aggressor. Es ist nun einmal so: Eine Reihe von EU-Ländern verfügt weder über die technischen noch über die finanziellen Kapazitäten, ihre Käufe sofort einzustellen. Viele europäische Länder haben ihre Wirtschaft auf der Grundlage langfristiger, zuverlässiger und günstiger Lieferungen aus Russland aufgebaut.
Die USA haben ihre Gasexportkapazitäten massiv ausgebaut und einen großen Teil der amerikanischen Flüssiggas-Exporte nach Europa gelenkt. „Die EU ist unser langjähriger Verbündeter und Partner. Allein während der Trump-Regierung werden wir die Kapazitäten für LNG-Exporte aus den Vereinigten Staaten verdoppeln“, sagte US-Energieminister Chris Wright erst kürzlich. Von der Leyen hatte als Teil des Zoll-Deals mit Trump zugesagt, dass die EU in den kommenden drei Jahren amerikanische Energie (Gas, Öl und Atomkraft) im Wert von 750 Milliarden US-Dollar importieren werde.
Noch gehen die Einkäufe aus Russland weiter. Derzeit ist sogar der Bau einer Pipeline zwischen Serbien und Ungarn geplant, die russisches Öl von der Druschba-Pipeline transportieren soll, denn seit den Sanktionen der EU gegen russische Schiffstransporte 2022 kann Serbien offiziell kein russisches Öl mehr über Kroatien importieren. Der Baubeginn ist für Anfang 2026 in Serbien und Ungarn veranschlagt. Es gehe um eine Transportkapazität von 5 Millionen Tonnen Rohöl. Die neue Pipeline könnte schon 2027 in Betrieb gehen.
Trotz aller Sanktionen und Bemühungen, unabhängiger von russischem Öl und Gas zu werden, hat die EU laut dem britischen Forschungsinstitut Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) im vergangenen Jahr nur ein Prozent weniger fossile Brennstoffe aus Russland importiert als im Vorjahr. Die Wahrheit ist: Das Gerede darüber, Russland durch das Embargo empfindlich zu treffen, ist hohl, Putin kann weiter auf sprudelnde Milliarden zählen.
Möglicherweise geht es Donald Trump einfach nur darum, den Schwarzen Peter, den ihm die Europäer zuschieben wollen, zurückzuweisen und ihre Heuchelei bloßzustellen. Denn da ist noch die Forderung nach Strafzöllen für China, das mit Russland eine enge strategische Partnerschaft pflegt, die offiziell als „Freundschaft ohne Grenzen“ bezeichnet wird. Als Gegenmodell zur westlich dominierten Weltordnung arbeiten die beiden Großmächte politisch zusammen, aber auch in Bereichen wie Investitionen, Handel oder Energie. Außerdem hilft China Russland, Sanktionen zu umgehen.
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China ist der größte Käufer russischen Öls (über 150 Milliarden Euro seit 2023), was Moskau trotz westlicher Sanktionen stabilisiert. Trump argumentiert, dass sehr hohe Zölle (50–100 Prozent) auf den Kauf russischen Erdöls Pekings Einfluss auf Russland brechen würden. Die USA haben bereits 50 Prozent Zölle auf indische Importe verhängt, um ein Signal zu setzen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die USA als „maßgeblichen Partner“ gelobt und ein 19. Paket vorbereitet, das die Umgehung durch Drittländer (inkl. China) erschweren soll. Auch wurde in den G7-Gesprächen am 12. September über Zölle auf russische Ölkäufer diskutiert. Auch Länder wie Polen und die Baltikum-Staaten drängen auf härtere Maßnahmen gegen Russland und China.
Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Umsetzung von Trumps Vorschlag gering, zu groß ist die wirtschaftliche Abhängigkeit von China, dem größten Handelspartner der EU (Handelsvolumen 2024: ca. 800 Milliarden Euro). Heftige Zölle würden die Preise für Konsumgüter (z. B. Elektronik, Maschinen) explodieren lassen und einen Handelskrieg auslösen, den die EU gerade gar nicht gebrauchen kann und der wohl zum Sargnagel für unsere ohnehin siechende Wirtschaft würde.
Donald Trump kann sich also zurücklehnen: Für sein Land holt er wieder einmal alles raus, weil die Europäer Öl und Gas aus Amerika kaufen. Und sein Brief entlarvt das Pharisäertum der Europäer und mildert so den Druck auf ihn selbst, Russland stärker unter Druck zu setzen. In Zugzwang sind jetzt die Europäer.
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