
Vorm Finale des Paten kommt es zum klärenden Gespräch. Don Vito (Marlon Brando) erklärt seinem Sohn Michael (Al Pacino), warum er zum Mafia-Oberhaupt geworden ist: Er wollte nie eine Marionette sein, die an den Fäden der “Big Shots” tanzt. Im westlichen Bündnis ist Donald Trump der Big Shot. Alle anderen tanzen an seinen Fäden. Das hat der Gipfel von Washington eindrucksvoll gezeigt.
Der Regierungschef der drittgrößten Industrienation, Friedrich Merz ist zu Trump gereist. Zusammen mit der führenden Frau des größten Binnenmarktes der Welt, Ursula von der Leyen. Gemeinsam mit dem Staatsoberhaupt einer Atommacht, Emmanuel Macron, und dem Regierungschef einer weiteren Atommacht, Keir Starmer. Und mit dem Generalsekretär des mächtigsten Militärbündnisses der Welt, Mark Rutte. Da das immer noch nicht reicht, sind auch noch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der finnische Präsident Alexander Stubb dabei gewesen.
Zu welchem Ergebnis kommt diese eindrucksvolle Runde mächtiger Menschen? Donald Trump befürwortet einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg und – wenn dieser in Kraft ist – kann er sich militärischen Schutz für die Ukraine vorstellen. Wie der aber aussieht, ist heute noch völlig offen. Ebenso wie der Frage, ob der Schutz überhaupt kommt. Merz, von der Leyen, Macron, Starmer, Rutte, Meloni und Stubb müssen für dieses Ergebnis reisen. Deutlicher könnte nicht sein, wer der Big Shot ist und wer die Marionetten.
Doch eigentlich ist das eindrucksvollste Personal-Tableau seit der “Konferenz von Potsdam” nach Washington gereist, um sich hinter Wolodymyr Selenskyi zu stellen. Sie haben ihm das Händchen gehalten, ihm Mut zugesprochen und wie eine Mutter dafür gesorgt, dass ihr Schützling nicht wieder so abgekanzelt wird, wie es Big Shot Trump getan hat, als der ukrainische Präsident zuletzt die amerikanische Hauptstadt besucht hat. Deutlicher könnten sie nicht ausdrücken, wie sehr sie die Wut des Paten fürchten.
Im Film ist der Pate jemand, der Morde befiehlt, Menschen einschüchtert und Verbrechen organisiert. Er hat aber auch seine guten Seiten. So sorgt der Big Shot für Ruhe in seinem Machtbereich. Und für Ordnung. Auch für Wohltaten: Wenn der fleißige Konditor abgeschoben werden soll, statt die Tochter seines Chefs heiraten zu können, dann verhindert das der Pate. Wenn ein Gericht die Mistkerle nicht verurteilen will, die eine Frau misshandelt haben, kümmert sich der Pate darum. Auch ein Verbrechen. Aber eines, das dazu führt, dass die Zuschauer mit dem Verbrecher sympathisieren.
Auch im echten Leben ist der Big Shot nicht unproblematisch – hat aber ebenfalls seine guten Momente. Etwa im Ukraine-Krieg. Trump hat eine Strategie, um diesen zu beenden. Ob das die beste ist und ob sie überhaupt funktioniert, darüber kann man diskutieren und das wird sich zeigen. Aber es ist eine Strategie. Seit über drei Jahren zeigt die EU, dass sie keine Idee hat, das Problem an Don und Dnjepr zu lösen. Sie hat keinen Plan, den Krieg diplomatisch zu beenden, aber ihr fehlt es auch an Entschlossenheit und Möglichkeiten, den Krieg zu gewinnen. Das Dilemma drückt sich in der Sprachregelung aus, Russland dürfe diesen Krieg nicht gewinnen. Was bedeutet, dass das Sterben einfach nur weitergehen soll und weiter und weiter. “Whatever it takes”.
Donald Trumps Zollpolitik ist ebenfalls nicht unproblematisch. Sie ruiniert den Freihandel, reduziert damit den Wohlstand und den Fortschritt auf der Welt und verunsichert Märkte, die am besten florieren, wenn Sicherheit herrscht. Aber wie der Filmpate setzt Trump seinen Einfluss auch für Gutes ein. So nutzen die USA aktuell die Zölle, um das zu verteidigen, was acht Jahrzehnte lang die Wertebasis des Verteidigungsbündnisses war: Recht und Freiheit.
So steht das Zollabkommen zwischen der EU und den USA wieder zur Disposition. Es geht um den “Digital Services Act”. Mit dem wolle die EU nicht andere Meinungen verbieten, sagt die EU. Sie wolle bestimmen dürfen, welche Meinung Hassrede ist und die dann verbieten, sagt die EU. So wie an der Mauer auch nie Menschen erschossen worden sind, sondern nur geltendes Recht durchgesetzt wurde, sagte die DDR.
Nach einem Bericht der Financial Times wollen die USA den Digital Services Act zum Gegenstand des Zoll-Deals machen. Das sei der Grund dafür, dass es zu dem Abkommen noch keine gültige Fassung gibt. Davon betroffen sind die Konzerne, die in der modernen Technik führend sind: Meta (Facebook), Alphabet (Google) und Byte Dance (TikTok). Die kommen entweder aus den USA oder aus China. Die europäische Wirtschaft hat diesen Zug verpasst. Doch schon bald wird es ein europäisches Projekt geben, staatlich organisiert, das genauso gut sein wird oder sogar besser, sagt die EU.
Der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance hat mehrfach darauf hingewiesen, dass er im Digital Services Act einen unzulässigen Eingriff in die Meinungsfreiheit sieht. Den will die Nation nicht zulassen, die Hitler-Deutschland besiegt und West-Europa befreit hat. Einerseits erpresst der Capo des Paten die Wirtschaft – andererseits erreicht er damit etwas Gutes. Er verteidigt (schon wieder) die Freiheit in Europa.
Die Europäer sind kein gleichwertiger Partner mehr für die USA. Wenn es einen Beweis dafür gebraucht hätte, dann hat diesen der Gipfel von Washington geliefert. Mit der Bank der Untergebenen, die dem Big Shot zuhören – und sich wie Friedrich Merz dabei Notizen machen. Es ist nicht einmal die militärische Schwäche, die den Washington-Touristen fehlt, um für den Big Shot ein gleichwertiger Partner zu sein. Zusammen verfügen sie durchaus über ausreichend Soldaten und Waffen, darunter auch atomare.
Es ist ihre moralische Schwäche, die Merz, von der Leyen und Co aus dem Feld der gleichwertigen Partnerschaft geschossen hat. Ihre Obsession davon, Meinungen staatlich regulieren zu wollen. Unliebsame Wahlen wie in Rumänien für ungültig erklären zu lassen. Oder – nächster Schritt – wie in Ludwigshafen erst gar nicht zustande kommen zu lassen. Dazu passt, dass sie als Entourage zur Ermutigung einen begleiten, der sich nicht zur Wiederwahl stellen lassen will, weil in seinem Krieg herrscht. Was wiederum kein Argument für ein Land ist, das 1864, mitten in einem Bürgerkrieg, eine Präsidentenwahl durchgeführt hat – bei der sein ehemaliger, gescheiterter und von ihm zurecht entlassener oberste Befehlshaber gegen den Präsidenten angetreten ist.
China und Russland nimmt Trump ernst. Das zeigt, wie er mit ihnen umgeht. Etwa, wenn er sich über internationales Recht hinwegsetzt, um ihren Besuch zu ermöglichen. Oder wenn er sie einzeln empfängt – und nicht als Meterware im Sonderangebot. Will Selenskyjs Entourage wieder ernst genommen werden, müssen sich ihre Mitglieder selbst wieder wie ein Big Shot verhalten. Zumindest im Film führt das aber auch zu ziemlich schlechten Zeiten.