
Am Freitagmittag platzte in Brüssel die Bombe. Während sich die EU-Funktionäre mental auf das Wochenende einstimmten, überbrachte US-Präsident Donald Trump auf dem kurzen Postweg via Truth Social eine nicht so frohe Botschaft. Ab dem 1. Juni werden die Zölle auf EU-Importe auf 50 Prozent angehoben. Trump begründete diese Strafmaßnahme mit dem chronischen EU-Protektionismus, mit Handelsbarrieren wie Mehrwertsteuern, „lächerlichen“ Strafen für amerikanische Konzerne, Währungsmanipulationen und „ungerechtfertigten Klagen“. Die EU erziele auf diese Weise einen enormen Exportüberschuss gegenüber den USA.
Natürlich haben wir seit Beginn der Handelsrunde im April gelernt, dass Trump hohe Einstiegszölle als Verhandlungsmasse einsetzt. Es können sich daher kurzfristige Änderungen ergeben. Das werden wir abwarten müssen. Verhandlungen sind fließende Prozesse, keine statischen Diktate. Das hat man möglicherweise in Brüssel mit der Zeit verlernt.
Die ostentative Passivität der Europäer in diesem Handelskonflikt, sieht man von einer eher gebrechlichen Androhung von Gegenzöllen einmal ab, zeigt, dass man entweder den Ernst der Lage nicht erkannt oder sich so sehr im eigenen Macht- und Ideologieraum eingeigelt hat, die Zeichen der Zeit nicht mehr interpretieren zu können. Brüssels augurischen Fähigkeiten sind in diesen Tagen eindeutig Grenzen gesetzt!
Trumps Angriff zielt exakt auf das Machtzentrum der EU, den ausschweifenden Protektionismus, mit dem daran angedockten Verteilungsmechanismus von Subventionen und Genehmigungen. Im Prinzip operiert die EU wie ein säkularer Ablasshandel. Wer die Regeln aus dem Zentrum der Macht akzeptiert, sich der Regulierung und dem Etatismus unterwirft, wird dafür belohnt, darf sein Unternehmen betreiben oder sich politisch betätigen. Wer nicht, wird bestraft.
Die Europäische Union betreibt unter dem Label des einheitlichen Binnenmarktes ein Kraftwerk aus protektionistischen Einzelaggregaten. Schätzungen lassen darauf schließen, dass der Zentralkörper in Brüssel, im Zusammenspiel mit den nationalen Haushalten, ein jährliches Subventionsvolumen in Höhe von 500 Milliarden Euro bewegt, um der eigenen Wirtschaft kompetitive Vorteile zu verschaffen. Dass diese Politik in Wahrheit die ökonomischen Triebkräfte unterminiert, können wir täglich in den Wirtschaftsnachrichten prüfen.
Handelsnormen, Harmonisierungsvorschriften und Klimaschutzregulierungen füllen ganze Bücherregale – kurz: EU-Europa ist ein Paradies für Subventionsjäger im Binnenraum, aber ein Albtraum für außereuropäische Wettbewerber, Unternehmen, Konsumenten und Steuerzahler, die die Zeche für den Regulierungswahnsinn in Form höherer Preise und Abgaben zu zahlen haben.
Freunden des Freihandels war der Brüsseler Interventionsmus schon immer ein Dorn im Auge, man heiße ihn nun französische Industriepolitik oder deutschen Bürokratismus – der Politik war stets daran gelegen, sozialen Frieden und Krisen am Arbeitsmarkt in einem Meer von versteckten Beihilfen und Unterstützungsdiensten zu ertränken. Das nennt sich „Fahren auf Sicht“. Und diese politische Kurzsichtigkeit hat sich zu einem Produktivitätskiller entwickelt, der die Kraft und Kreativität Eurozonenwirtschaft in einen schleichenden Erosionsprozess überführt hat. Deutschland, auf dem besten Wege zu einer Art europäischem „Rust Belt“ zu degenerieren, ist zum Fanal dieser Politik mutiert.
Beifang des Euro-Protektionimus ist seit Jahren ein gewaltiger Handelsüberschuss mit den Vereinigten Staaten. Mit versteckten Handelshemmnissen ist es Brüssel gelungen, den Handelsüberschuss im vergangenen mit den USA auf den Rekordwert von 236 Milliarden Euro zu heben. Ein Achtungserfolg für Merkantilisten, während den Libertären die Haare zu Berge stehen.
Doch jede Party, fragen Sie die Haushälter des französischen Hochmerkantilismus (das endete eher unfreundlich), geht einmal zu Ende. Denn US-Präsident Donald Trump befindet sich seit dem 2. April, dem von ihm zum „Liberation Day“ deklamierten Aufschlag, auf dem Kriegspfad. Auf den großkalibrigen Zollschuss in die Tiefe des Raumes, folgten erste Nahkämpfe mit großen Kontrahenten wie China und – sind sie noch Partner? – Großbritannien.
Entgegen der zum Teil verleumderischen Mediendarstellung werden die USA als mächtigste Volkswirtschaft der Welt selbstverständlich nun für sich vorteilhaftere Handelskontrakte mit ihren Partnern zu Papier bringen, als dies vorher der Fall war. Naturgemäß werden die Konsequenzen ein Anstieg des amerikanischen Zollvolumens auf wahrscheinlich wenigstens 300 Milliarden Dollar im Jahr sowie die schrittweise Reduktion des enormen Handelsbilanzdefizits sein.
Dies kommt für die EU-Europäer überraschend, da man es sich im Brüsseler Sprach- und Ideologieparadies gemütlich gemacht hatte und nun mit dem Einbruch interessengeleiteter Realpolitik konfrontiert wird. Für die Funktionäre in Brüssel beginnt eine Phase des Umlernens, wenn klar wird, dass die alte Taktik der medialen Problemzerstreuung, des Ablenkens, der versteckten Angriffe auf den amerikanischen Anleihenmarkt wie zuletzt im April geschehen, nicht ausreichen werden, um sich vor der Realität der anstehenden Verhandlungen mit der US-Regierung aus der Affäre zu ziehen.
Trumps Zollpolitik ist ein strategischer Schachzug, der EU-Europa zu massiven Zugeständnissen und zum Abbau seines überbordenden Protektionismus nötigen soll. Aus der Sicht der EU-Europäer ist es an der Zeit, das Binnenverhältnis zwischen regionaler Gestaltungsfreiheit und dem immer mächtigeren Brüsseler Zentralkörper zu diskutieren. Dissidente Kräfte erheben seit längerem, und dies immer wortmächtiger, Kritik am Status quo.
Eine politische Bewegung, die Macht wieder auf die Regionen verlagert, die einsteht für Individualismus, Eigenverantwortung und marktwirtschaftliches Rahmenwerk, wird allerdings erst dann in Europa sichtbar, wenn das eintritt, was in Argentinien den Präsidenten Javier Milei hervorgebracht hat. Eine tiefe Vertrauenskrise in die politische Elite, die sich amalgamiert mit harten ökonomischen Fakten, die das Scheitern zentral gesteuerter Ökonomien schonungslos offenlegen.
Dem libertären Präsidenten Argentiniens ist in bemerkenswert kurzer Zeit gelungen, was vielen als unmöglich galt: Er hat den hochdefizitären Staatshaushalt ausbalanciert, die grassierende Inflation unter Kontrolle gebracht und zu Jahresbeginn ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent erzielt. Ein ökonomischer Befreiungsschlag, der weit über die Grenzen Südamerikas abstrahlt – als mögliches Vorbild für andere Krisenregionen der Welt, als Idee, die ansteckend wirken könnte wie ein Virus: der Turnaround durch radikale ökonomische Freiheit.
Selbstverständlich verläuft auch im Falle Mileis die Geschichte nicht nach dem idealtypischen Playbook. Fehler bleiben nicht aus, und die notwendigen Anpassungsprozesse gehen mitunter mit spürbaren Härten für breite Bevölkerungsschichten einher. Doch gerade darin liegt die Realität jeder tiefgreifenden Reform: Sie ist selten geradlinig, oft schmerzhaft – und doch der einzige Weg aus strukturellem wirtschaftlichen Verfall.
Donald Trump hat den Angriff auf diese Staatsmachtstruktur auf die internationale Ebene gehoben, indem er den Dollar und die Zollpolitik in sein geopolitisches Waffenarsenal aufgenommen hat. Es ist wichtig, diese Botschaft in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder zu dechiffrieren, um zu verstehen, wie sich der Prozess der Neuordnung der Macht zwischen den großen politischen Zentren ausformt.
Trumps harsche Zollpolitik, ridikülisiert von der Mainstream-Presse, ins Lächerliche gezogen von etablierten Politikkadern Europas, die in Wahrheit wie das Kaninchen auf die Schlange starren, erscheint auf den ersten Blick als Handelspolitik. Blickt man fokussiert hinter den propagandistisch eng geknüpften Vorhang, wird deutlich, dass wir erst am Beginn einer Neuordnung geopolitischer Kräfteverhältnisse stehen.
Ob es uns Europäern die Realität gefällt oder nicht: Wir als ressourcenarmer, energieabhängiger Wirtschaftsraum verlieren zunehmend den Zugang zu externen Rohstoffquellen. Ein Beispiel dafür ist Frankreichs erzwungener Rückzug aus seinen ehemaligen afrikanischen Kolonialgebieten, die lange Zeit als günstige Uranquelle für den französischen Energiesektor dienten.
Wir wollen uns an dieser Stelle nicht allzu weit aufs politische Glatteis wagen, doch die auffällig manische Russland-Phobie, die sich zuletzt Bahn brach, lässt zumindest vermuten, dass die eigene Ressourcenabhängigkeit langsam ins Bewusstsein der Akteure in Brüssel gerückt ist. Die geopolitische Begehrlichkeit gegenüber dem rohstoffreichen Land ist offensichtlich – und die von EU-Außenbeauftragter Kaja Kallas ins Spiel gebrachte Vorstellung einer politischen Zerschlagung Moskaus legt nahe, dass strategische Kalküle längst weiter gediehen sind, als öffentlich zugegeben wird.
Die bevorstehenden Verhandlungswochen und -monate mit den USA werden deutlich machen, dass geopolitischer Einfluss im Kern ein Abbild des Zugangs zu Energie und Ressourcen ist. Dass sich ausgerechnet im Moment dieser geopolitischen Kollision das Zentrum der Europäischen Union, Deutschland, von einer Schlüsseltechnologie und Energiequelle wie der Kernkraft freiwillig trennt, ist Ausdruck infantiler Selbstüberschätzung und ideologischer Verdummung. Und die zögerliche Haltung der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz in dieser Frage macht deutlich, dass sich an diesem Befund vorläufig nichts ändern wird.
Als freier Publizist widmet sich Thomas Kolbe, studierter Volkswirt, schwerpunktmäßig ökonomischen Prozessen und beobachtet geopolitische Ereignisse aus dem Blickwinkel der Kapitalmärkte.