
Ukraines Präsident Selenskyi sei ein „Diktator ohne Wahlen“, der „die Vereinigten Staaten von Amerika überredete, 350 Milliarden Dollar auszugeben, um in einen Krieg einzutreten, der nicht gewonnen werden konnte, der nie hätte beginnen müssen“, erklärte US-Präsident Trump am Donnerstag in einem langen Tweet in dem er auch diverse Fehler in der Ukraine-Politik seines Vorgängers Joe Biden anprangerte.
Aber Selenskyi als Diktator, der Krieg wollte? Obwohl doch ganz offensichtlich Russland den Schritt zur Invasion unternahm? Das ist kurz gesagt, natürlich vor allem eins: Schwachsinn. Aus Deutschland hagelt es in der Folge jetzt die verschiedenste Trump-Beschimpfungen, „Verräter“ wohl am beliebtesten. All das wird an Trumps Meinung natürlich erst recht wenig ändern. Die große Frage ist eher: Wie sieht die denn wirklich aus?
Vor allem aus vielen Widersprüchen, muss man sagen. Das begann schon mit der Aufstellung seines Kabinetts: Als er den außenpolitischen Hardliner Marco Rubio als neuen Außenminister nominierte, sorgte er für viel Empörung im isolationistischen Flügel seiner Partei um Figuren wie Tucker Carlson. Traditionelle Reagan-Republikaner hingegen waren dann empört über die Nominierung von Ex-Demokratin Tulsi Gabbard, die nun neue Direktorin der nationalen Nachrichtendienste geworden ist.
Was jetzt den Ukraine-Konflikt angeht, ist es noch schwieriger Trumps Position zu dechiffrieren. Was ist Verhandlungstaktik, was ist das endgültige Ziel, worauf will er bestehen? All das ist aktuell in der Luft. Denn dem wütenden „Diktator“-Tweet stehen auch Trump-Aussagen von vor wenigen Tagen gegenüber in denen er Selenskyi einen persönlichen Freund nannte.
Nach Trumps Wahl feierten offenbar auch einige in Selenskyis Umfeld, der ukrainische Präsident lobte ausdrücklich Trumps Ansatz des „Friedens durch Stärke“ und blickte einer „Ära starker [USA] unter Präsident Trumps entschlossener Führung“ entgegen. Trumps Ukraine-Beauftragter Kellogg hob derweil ebenfalls am Donnerstag in Kiew die „Bedeutung der Souveränität dieser Nation und ihrer Verteidigung“ hervor.
When are we Europeans going to stop being scandalised about Donald Trump and start helping him to end this war?
Of course Ukraine didn’t start the war. You might as well say that America attacked Japan at Pearl Harbor.
Of course a country undergoing a violent invasion should…
— Boris Johnson (@BorisJohnson) February 19, 2025
Ist der Trump-Tweet also nur Show? Um die Europa mit einem Schock-Moment zu zwingen, selbst aufzurüsten? Das glaubt zumindest der britische Ex-Premier und großer Ukraine-Unterstützer Boris Johnson: „Wann hören wir Europäer endlich auf, uns über Donald Trump aufzuregen und beginnen, ihm zu helfen, diesen Krieg zu beenden?“, schrieb der als Reaktion über die jüngste Trump-Empörung.
Natürlich habe Russland und nicht die Ukraine den Krieg begonnen, natürlich könne ein Land im Krieg keine Wahlen abhalten – Großbritannien hätte dies auch nicht während dem Zweiten Weltkrieg – und natürlich lägen Selenskyis Zustimmungswerte nicht bei 4 Prozent, sondern seien eher „ungefähr gleich hoch wie die von Trump“. Aber: „Trumps Aussagen sollen nicht historisch korrekt sein, sondern die Europäer zum Handeln schockieren“, so Johnson.
Er forderte etwa eine Beschlagnahmung eingefrorener russischer Konten. Aber gerade auch die eigene Verteidigungsfähigkeit hochzufahren, dürfte Johnson im Hinterkopf haben. „Wir müssen ernst machen und zwar schnell“, meint jedenfalls der Ex-Premier.
Und ja, eins ist klar: Dass die Europäer immer noch viel zu wenig für die eigene Verteidigung tun ist ein Dauerthema für Amerika – nicht nur bei Trump und den Republikanern sondern auch bei Demokraten.
Wer sich selbst verteidigen kann, den respektiert Trump – das zeigte er bei Israel oder Polen. Bei Ländern wie Deutschland, die jahrelang seine Warnungen vor russischer Gas-Abhängigkeit und Forderungen zur Wiederaufstockung der Bundeswehr ignorierten und jetzt – man muss es so hart sagen – nur noch über Trump jammern, ohne etwas zu unternehmen, da sieht es eben anders aus.
Vielleicht versucht er jetzt tatsächlich den Kontinent zu schocken, um die Verbündeten zum aufrüsten zu bringen. Oder es ist Teil Show rund um die Friedensverhandlungen. Oder es ist eben nur ein wirrer Trump-Tweet.
Egal ob Johnsons Schock-Theorie stimmt oder nicht – in jedem Fall stünde Deutschland sicherer und wohl mit mehr Respekt von Trump da, wenn man als bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstärkstes europäisches NATO-Land auch eine der eigenen Größe angemessene Armee hätte. Aber statt dem schlagkräftigste Militär Europas, kommt aus Deutschland vor allem die größte Empörungswelle – jedes Mal wenn Trump twittert.