Türkische Karikaturenschlacht: Staat stellt sich hinter Angreifer

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es ist wieder passiert. Eine Zeitung, diesmal in der Türkei, hat eine Karikatur gedruckt, in der vermeintlich auch der islamische Prophet Mohammed zeichnerisch dargestellt wurde. Zu sehen sind Häuser in Rauch und Flammen und fallende Raketen, darüber schwebend zwei bärtige Figuren mit Heiligenschein, der eine eine Kappe auf dem Kopf, der andere eine Art Hut und Schläfenlocken. Sie schütteln Hände und stellen sich dabei als Muhammed und Musa, die arabisch-türkische Version des Namens Moses, vor. Was die Karikatur aussagen soll, ist dabei nicht ganz klar. Vielleicht einfach, dass die Religionsgründer eine andere Haltung zum Nahost-Konflikt haben könnten als die Kriegsparteien.

Muslimische Gläubige hat das Bild aber wieder einmal in einer Weise aufgebracht, die unverhältnismäßig ist. Zu dutzenden griffen sie eine Bar in Istanbul an, in der die Mitarbeiter des Satiremagazins LeMan gewöhnlich verkehren. Am Ende prügelten sich laut AFP 250 bis 300 Personen. Auf Plakaten während Demonstrationen wurde die Redaktion als „unmoralischer“ Haufen beschimpft, der in seinem eigenen Dreck ersticken werde. Rufe der Demonstranten wurden laut: „Zahn um Zahn, Auge um Auge, Rache!“ Einige Passanten riefen dagegen: „Wir sind in der türkischen Republik, Sie können nicht nach der Scharia rufen!“ Doch genau das forderten die Demonstranten und griffen die protestierenden Passanten an. Das ging so noch etliche Stunden weiter.

Die türkische Polizei baute wohl einige Barrikaden auf und versprühte hier und da Pfefferspray, ging aber laut Augenzeugen keineswegs so mit den Demonstranten um, wie das gewöhnlich bei regierungskritischen Protesten passiert. Den Demonstranten blieb genügend Zeit, um auch noch ein öffentliches Gebet auf der Straße abzuhalten – so eines, wie sie auch hierzulande häufiger werden.

Dann aber änderte sich sogar die Stoßrichtung der Polizei. Am Montag verkündete der Innenminister Ali Yerlikaya die Festnahme des Zeichners des „abscheulichen“ Bilds und dreier weiterer Mitarbeiter, darunter der Chefredakteur und der Graphiker des Blattes. Dazu veröffentlichte Yerlikaya mehrere Videos, die zeigen, wie der Karikaturist und der Chefredakteur in ihren Wohnungen festgenommen und mit Handschellen abgeführt werden. „Diese Gotteslästerer werden vor dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte der Innenminister dazu.

Laut Staatsanwaltschaft hatte das Magazin durch die Veröffentlichung „religiöse Werte verunglimpft“. Weitere Haftbefehle gegen leitende Mitarbeiter des Magazins sind ergangen, die Redaktionsräume wurden von der Polizei durchsucht und sichergestellt.

Die Vergleiche mit dem Pariser Satiremagazin Charlie Hebdo, dessen Redaktion vor zehn Jahren zum Opfer eines terroristischen Angriffs wurde, liegen auf der Hand. Die Redaktion von LeMan unterstützte damals die französischen Kollegen. In eigener Sache wählt man allerdings den Rückzug, zweifellos um sich nicht weiter zu gefährden.

Die Redaktion tweetete: „Diese Karikatur ist keine Karikatur des Propheten Muhammad (Friede sei mit ihm).“ Die Figur, die dem Erzvater Moses die Hand schüttelt, soll angeblich nur irgendeiner der vielen Millionen Muhammeds sein, die in 1400 Jahren an den Propheten glaubten. Daneben sagte Chefredakteur Tuncay Akgün, die Reaktion des türkischen Staates sei „unglaublich schockierend, aber nicht überraschend“. So kann sich der Wind in einem Land nun einmal drehen, das dem fundamentalistischen Islam mitsamt Scharia und Darstellungsverbot die Tür öffnet. Man würde sogar sagen: So steht der Wind nun einmal, und das wussten freilich die Macher von LeMan, die vielleicht all ihren Mut – und ihr Geschick – zusammengenommen haben, um auch einmal eine Mohammed-Zeichnung in ihrer Zeitung unterzubringen. Einfach um es getan zu haben, und der Sinn der Zeichnung war dann erst einmal unwichtig, sogar am besten eher ein unauffälliger, um nicht zu viel Anlass zu Wut, Zorn und Aufruhr zu geben. Aber dieser Plan ging dann doch nicht ganz gut.

In der Türkei gibt es kein eigenes Blasphemiegesetz. Aber die „Aufstachelung zu Hass und Feindseligkeit“ steht unter Strafe, insbesondere wenn dabei religiöse Überzeugungen missachtet werden. Die „Beleidigung religiöser Werte“ und Störung von Gottesdiensten kann mit Haft von sechs Monaten bis zu einem Jahr bestraft werden. In Deutschland gibt es ein ähnliches Gesetz, das bisher aber selten angewandt wurde. Allerdings wurde 2006 ein Rentner im westfälischen Lüdinghausen  zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt, weil er Toilettenpapierblätter mit dem Wort „Koran“ bedruckt und an rund 15 Moscheen, Fernsehsender und Nachrichtenmagazine verschickt hatte. In einem Begleitschreiben bot er ähnlich bedruckte Toilettenpapierrollen zum Preis von vier Euro an, wovon jeweils die Hälfte in die Errichtung einer „Gedenkstätte für alle Opfer des islamischen Terrors“ fließen sollte.

Der Rentner hatte damit auf den Terroranschlag in London vom 7. Juli 2005 (52 Tote, mehr als 700 Verletzte) reagiert, der sich schon damals „in eine Vielzahl ähnlicher Anschläge“ einreihte, denen „bereits hunderte europäische und deutsche Männer, Frauen und Kinder zum Opfer gefallen sind“. Der später Verurteilte erinnerte besonders an den niederländischen Filmemacher Theo van Gogh, der nach ihm „nur dafür ermordet“ worden sei, „dass er seine bürgerlichen Grundrechte in Anspruch nahm“.

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