
Nachrichten wie diese gibt es immer wieder aus Großbritannien, wo sich ein repressives Meinungsklima allein mittels der Durchsetzung von Antidiskriminierungsgesetzen zu ergeben scheint. Der Equality Act von 2010, verabschiedet unter der letzten Labour-Regierung, fasste verschiedene ältere Regelungen zusammen, erweiterte die geschützten Gruppen dabei allerdings um Geschlecht, Religion, Glauben, Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Transgender-Identität. Aus diesen „schutzwürdigen“ Gruppen ergeben sich immer weiter gehende Maßnahmen und, man muss wohl sagen, Exzesse in der britischen Rechtspflege. So sind schwangere Frauen inzwischen Männern gegenüber vor Gericht grundsätzlich besser gestellt, ebenso Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten und Transpersonen. Ihnen allen werden mildernde Umstände zugestanden, nur weil sie der jeweiligen Gruppe angehören, weil sie schwanger sind oder Muslime.
Was den Schutz der Religion und des Glaubens angeht, so verwandelt er sich an vielen Stellen in einen Schutz von Muslimen vor Blasphemie gegen ihre Religion. Wenn Polizei und ermittelnde Staatsanwälte finden, dass religiöse Faktoren bei einem Vergehen eine Rolle spielten, wirkt das strafverschärfend. Und das kann zu paradoxen Folgen führen.
So wurden dem pensionierten Polizeibeamten Julian Foulkes aus Gillingham in Kent in seiner eigenen Wohnung Handschellen angelegt, wie der Telegraph berichtet. Zuvor hatten sechs Polizisten seine Bücher und Zeitschriften durchsucht. Sie stießen dabei auf „sehr brexitige Dinge“, „very brexity things“, so eine Polizistin – etwa auch ein Buch von Douglas Murray, der für den Spectator und den Telegraph schreibt, oder einzelne Ausgaben des Spectator, der weitgehend eine Pro-Brexit-Linie vertrat. Die Beamten hatten angeblich ein besonderes Interesse an Foulkes’ Lesestoff. Kommentare auf X verweisen auf das neue „Stasi Britain“.
Damit aber noch nicht genug, wurde Foulkes dann sogar festgenommen, für acht Stunden in einer Polizeizelle eingeschlossen und zu seinem „böswilligen Kommunikationsverhalten“ befragt. Man nahm seine Fingerabdrücke und eine DNA-Probe. Auf seine Nachfrage, was er getan habe, hieß es zunächst, er habe einen Post „extremistischer Natur“ veröffentlicht. Erst später wurde ihm sein Post gezeigt. Foulkes akzeptierte eine Verwarnung, weil er befürchtete, sonst verurteilt zu werden und nicht mehr ins Ausland reisen zu können – unter anderem zu seiner Tochter in Australien. Später gab die Polizei von Kent zu, dass diese offizielle Verwarnung eine übertriebene Maßnahme war.
Der Verhaftung lag der sogenannte „Malicious Communications Act“ zugrunde, also das „Böswillige-Kommunikations-Gesetz“ – ein Gesetz, das von „Gut“ und „Böse“ spricht. Man könnte von der Regression in finstere Zeiten sprechen. Selbst die Einkaufsliste der Frau des Pensionärs erregte den Argwohn der Polizisten. Sie hatte Bleichmittel, Aluminiumfolie und Handschuhe angeschafft. Eine „etwas merkwürdige Liste“, fand einer der Beamten, gleichsam in einer Hexenjagd begriffen. Dann erfuhr er, dass die Frau Friseurin ist.
Was die Hausdurchsuchung und Festnahme verursacht hatte, war aber noch merkwürdiger. Es handelte sich um eine Warnung vor Antisemitismus, die Foulkes in Form eines Tweets auf der Plattform X verbreitet hatte. Dieser Tweet stammt vom November 2023 und war eine Antwort auf den empörten Tweet eines Demo-Teilnehmers. Foulkes warnte den Pro-Hamas-Demonstranten, dass die Demonstranten als nächstes wohl Flughäfen stürmen würden, um nach „jüdischen Ankünften“ zu suchen. So etwas ist wirklich passiert, wenn auch in einer zentralasiatischen Republik. Die Kenter Polizei sah den Tweet allerdings selbst als antisemitisch an, was nur auf eine vom Kontext isolierte Analyse zurückführbar ist. Den Ton bei den Ermittlungen hatte zuvor das „Geheimdienst-Kommando“ der Londoner Polizei angegeben, das die Polizisten in Kent über den angeblich extremistischen Tweet informiert hatte.
Aus der Sicht von Foulkes wird die „freie Rede ganz klar angegriffen“. Niemand sei davor sicher: „Die Öffentlichkeit muss sehen, was passiert und sollte deshalb schockiert sein.“ Foulkes zieht einen pessimistischen Vergleich mit seiner aktiven Zeit: „Ich habe so etwas nie gesehen, als ich noch bei der Polizei war. Aber dieser woke Virus, der alles infiziert, hat definitiv auch die Polizei infiziert.“
Festgehalten werden muss, dass Foulkes natürlich nicht wirklich gegen ein Gesetz verstieß, als er vor jenem Antisemitismus warnte, der in den Pro-Palästina- oder besser Pro-Hamas-Demonstrationen der letzten Monate zum Ausdruck kommt. Sie legen vor allem London allsamstäglich lahm und führen dazu, dass Juden sich nicht mehr gefahrlos in der Stadt bewegen oder die Synagoge besuchen können. Das ist keine Mutmaßung, sondern wird von Juden in London und der Umgebung so gesagt.
Man könnte also die Warnung des einstigen Polizisten vor einem überhandnehmenden Antisemitismus für gerechtfertigt halten. Man könnte sogar sagen, dass die Tatsache, dass Foulkes so behandelt wurde, wie es geschah, seine Befürchtung nochmals belegt. Die dominierende Stellung des Islam in der britischen Öffentlichkeit macht Kritik an Muslimen schon heute fast unmöglich. Îm März waren die Eltern eines neunjährigen Mädchens in Hertfordshire bei London festgenommen worden, nachdem sie in einer Whatsapp-Gruppe Kritik an den Lehrern ihrer Tochter geäußert hatten – vermutlich ging es auch hier um die Religion der Lehrkräfte und ihr daraus folgendes Verhalten.
Gegen den Labour-Abgeordneten Ian Austin wurde ermittelt, nachdem er die Hamas „islamistisch“ genannt hatte. Die feministische Autorin und Journalistin Julie Bindel bekam ebenfalls Besuch von der Polizei, nachdem ein Transgender-Mann ihre transgenderkritischen Tweets als „Hassverbrechen“ angezeigt hatte. All das sind Beispiele dafür, dass die ängstlich-eifrige Vermeidung jeglicher „Diskriminierung“ selbst wieder etwas ähnliches hervorbringt – die Verfolgung der freien Meinungsäußerung. Man könnte sagen, nun werden eben Menschen mit Meinungen diskriminiert. In Deutschland ist es nicht anders. Die wenigen Politiker, die gegen eine Einheitsfront von CSU bis zur Linkspartei schwimmen, werden auch hier als Extremisten gebrandmarkt, einfach weil sie abweichende Meinungen äußern. Die Funktionsweise des öffentlichen Diskurses in diesen Dingen ist dies- wie jenseits des Kanals dieselbe.