
Nach Monaten der Diskussion und aber auch des Schweigens und Beschweigens der Tatsachen wurden am Montag die Ergebnisse einer neuen nationalen Untersuchung veröffentlicht. Die parteilose Louise Casey, die als Baroness im Oberhaus sitzt, stellte ihren Bericht vor. Und laut der BBC dominieren noch immer „scharfe politische Angriffe“ das Thema. Während der Ton im Parlament sonst „kritisch, aber höflich“ sei, war das nun ganz anders. Labour und Konservative warfen sich gegenseitig vor, eine nationale Untersuchung aller Straftaten behindert und verzögert zu haben – was zweifellos den Tatsachen entspricht. Noch zu Beginn des Jahres hatte Premier Keir Starmer jenen, die auf einer nationalen „inquiry“ beharrten, vorgeworfen, der extremen Rechten hinterherzurennen und sie zu „verstärken“.
Ein wichtiges Ergebnis von Caseys Untersuchung ist, dass es in der Mehrheit der lokalen Untersuchungen zu Prozessen wegen Missbrauchs der Marke „grooming gangs“ keine Angaben zur Ethnizität der Täter gebe. Das gilt für 35 von 51 örtlichen Untersuchungen. In neun Studien wird von „asiatischen“ Tätern berichtet, in einem Bericht von einheimischen. Casey war umso mehr bestürzt darüber, als sie schon vor zehn Jahren eine Inspektion der Rotherham-Fälle durchgeeführt hatte. Seitdem war nichts vorangegangen. Im Zuge ihrer neuen Recherchen habe sie verstanden, wie viel Widerstand es noch immer gegen die Aufklärung der Verbrechen gebe. Laut dem Bericht gibt es noch immer „viel zu viele Täter, die sich zu lange der Justiz entzogen haben, und wir sollten versuchen, das zu ändern“.
Polizisten haben Casey gesagt, Vertreter der lokalen Behörden hätten ihnen davon abgeraten, ihre Erfolge und Ermittlungsergebnisse zu veröffentlichen. Das Ziel war klar: Die Ethnizität der allermeisten Täter sollte nicht in den Blick der Öffentlichkeit geraten, weil man Angst hatte „rassistisch zu erscheinen, Spannungen in der Gemeinschaft zu erhöhen oder Probleme beim Zusammenhalt der Gemeinschaft zu verursachen“. Noch heute spricht der Bischof von Manchester davon, dass es sich keineswegs um „ein auf eine bestimmte ethnisch-kulturelle oder religiöse Gruppe beschränktes Muster von Straftaten“ handelt. Die britische Empirie lehrt leider etwas anderes.
Die reichlich oberflächliche Harmonie im Königreich hatte lange Vorrang vor dem Wohl der missbrauchten Kinder und Jugendlichen, unter denen übrigens auch Jungen waren. Lange befolgte man hierbei den zynischen „Rat“ einer Abgeordneten. Naz Shah, Labour und Muslima, hatte in sozialen Medien gefordert, „die missbrauchten Mädchen in Rotherham und anderswo müssen einfach schweigen“, zum höheren „Wohle der Diversität“. Dieselbe Abgeordnete hat heute erneut dazu aufgefordert, trotz allem an der Seite der Muslime zu stehen.
Das Labour-Establishment muss derweil seine eigenen Worte wiederkäuen und sie ziemlich verändert hochwürgen. Jess Phillips, Staatssekretärin für „Schutzmaßnahmen“ (safeguarding), gab im selben Atemzug zu, dass der Skandal an vielen Stellen vertuscht worden war und dass es natürlich keine nationale „inquiry“ brauche. Gesundheitsminister Wes Streeting hatte berichtet, dass er Personen mit Pakistani-Wurzeln oder solche, die „anders aussehen“, aus seinem Wahlkreis kenne, die nun „ängstlicher“ in die Zukunft schauten als vor der Debatte um Grooming-Gangs. Auch Innenministerin Yvette Cooper lehnte eine nationale Untersuchung der Vorwürfe ab – so etwas hätte ja schon gegeben. Beliebt auch der Vorwurf an die Kritiker, dass es ihnen ja gar nicht um die Kinder gehe. In London hat Bürgermeister Sadiq Khan rundheraus abgestritten, dass das Phänomen in der Stadt vorgekommen sei.
Statt einer Untersuchung der Vorwürfe arbeitete sich Labour am „Boten“ ab, und das war immer wieder der Aktivist und Journalist Tommy Robinson. Ministerin Cooper und MP Shah zogen sogar Youtube zur Verantwortung für die Popularität von Robinsons Videos.
Damit die Täter aus den Grooming-Gangs aus der öffentlichen Diskussion ferngehalten würden, musste Tommy Robinson in einer Gefängniszelle verschwinden. Es war der offensichtliche Versuch, den Boten der üblen Nachricht zum Schweigen zu bringen, indem man ihn selbst als Kriminellen behandelte. Dieses Manöver ist gescheitert, seit Robinson freikam. Er hat sich seitdem wieder mit neuer Verve den Online-Plattformen zugewandt, die er in gewohnter Weise bespielt, ob es seinen politischen Gegnern nun passt oder nicht. Denn um nichts anderes geht es als um legitimen politischen Streit.
Es ist noch nicht klar, wie die neue nationale „inquiry“ zu den Kinderprostitutionsringen, die vorwiegend muslimische Männer mit oft pakistanischem Hintergrund aufgebaut haben, in Wirklichkeit aussehen wird. Baroness Casey fordert gesetzliche Befugnisse, die diese nationale Untersuchung über andere – auch ihre eigene – herausheben.
Doch die Labour-Politiker – vor allem auch: Politikerinnen (siehe oben) –, die sich nun der allgemeinen Forderung von Konservativen, Reform UK und außerparlamentarischen Akteuren wie Robinson angeschlossen haben, waren bislang zum größten Teil schuld an der mutwilligen Vertuschung des Skandals. Kann man unter diesen Umständen also Aufklärung von ihnen oder einer von ihnen beauftragten Supervision der Strafprozesse im ganzen Land erwarten?
Die andere Frage bleibt, wozu es solch einer Supervision bedarf. Baroness Casey will im Grunde zwei Ansätze verfolgt sehen: zum einen eine strafrechtliche Ermittlung auf nationaler Ebene, die dort nachbohrt, wo lokale Ermittlungen stecken bleiben. Wie Innenministerin Cooper bestätigte, gibt es derzeit Interesse an einer Revision von 800 Fällen im ganzen Land. Bald, so Cooper, würden es wohl mehr als 1000 Fälle sein. Diese Zahl allein, die erst nach Jahren herauskam, bestätigt den durchgreifenden Charakter der Rechtsverletzungen. Es handelt sich um eine nationale Tragödie.
Daneben möchte Baroness Casey eine nationale Untersuchung („inquiry“), die wiederum „eine Reihe von gezielten lokalen Ermittlungen“ anstoßen soll. Die Labour-Regierung will ihr angeblich in vielem folgen. So soll in Zukunft durch neue Gesetze vermieden werden, dass das Opfer statt des Täters für einen Missbrauch verantwortlich gemacht wird. Urteile, die das Gegenteil umsetzten, sollen unwirksam werden. In der Tat plant Yvette Cooper nun auch eine nationale Polizeioperation, und sie will die Vergabe von Taxi-Lizenzen reformieren. Gewisse Taxi-Unternehmen waren tief in den Sumpf der Kinderprostitution versunken.
Wie weit ist das Land aber wirklich mit Aufarbeitung und Abwicklung der schlimmen Verbrechen? Im Guardian konnte erst dieser Tage die Autorin Yasmin Alibhai-Brown, selbst teilweise pakistanischer Herkunft und angeblich als Muslimin für die säkulare Demokratie, einen abenteuerlichen Text veröffentlichen, in dem sie behauptet, es sei in Wahrheit um „sexuell unersättliche Kinder“ gegangen, denen die armen Pakistanis und Muslime zur „Beute“ gefallen seien. Dieser Kommentar zeigt deutlich: Es ist noch lange nicht vorbei. Das Land hat noch einen langen Kampf vor sich, und die Windmühlenflügel, gegen die er geht, erhalten noch immer kräftigen Wind.