Ukrainekrieg: Bidens Spiel mit den roten Linien und die deutsche Verantwortung

vor 8 Tagen

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Ende März und Anfang April wäre es eigentlich das große Thema für die deutsche Presse gewesen. Aber Berichte über die Planung wesentlicher Teile des Ukrainekriegs von Wiesbaden aus erhielten kaum die Aufmerksamkeit, die ihnen gebührte. Am 30. März veröffentlichte die New York Times die Recherche, die zeigte, wie die Biden-Administration direkt in die Operationen der ukrainischen Kräfte hineingewirkt hat, und zwar im Rahmen der neugebildeten Task Force Dragon, die wiederum in der Wiesbadener Clay-Kaserne (dem Hauptquartier der US-Armee für Europa und Afrika) tagte.

Das begann schon Ende März 2022, kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Es war ein Bericht, der bestätigte, was Donald Trump und seine Berater zuvor wie danach immer wieder öffentlich festgehalten haben: Dass es sich in der Ukraine um einen Stellvertreterkrieg handelt, in den ebenso Russland wie die USA verwickelt waren. Einen Krieg, den Trump nun beenden will, wofür er nicht immer Lobeshymnen erhielt.

In der NY Times lesen sich die Enthüllungen vom März so: „Fast drei Jahre vor Trumps Rückkehr an die Macht waren die Vereinigten Staaten und die Ukraine in einer außergewöhnlichen Partnerschaft im Hinblick auf geheimdienstliche Aufklärung, Strategie, Planung und Technologie verbunden, deren Entwicklung und innere Vorgänge nur einem kleinen Kreis von amerikanischen und verbündeten Offiziellen bekannt waren.“ Die USA steckten über die Jahre 66,5 Milliarden US-Dollar in diesen Krieg, wie das Pentagon jüngst offengelegt hat. Aber die eigentliche Kriegsbeteiligung geschah andernorts – in Wiesbaden, auf deutschem Boden. Diese Tatsache hat die AfD-Bundestagsfraktion in einer sogenannten „Kleinen Anfrage“ an die Bundesregierung (mit allerdings 52 Unterfragen) aufgegriffen.

Im Rahmen der Beratung der ukrainischen Kräfte durch US-Offzielle, die auch der ehemalige ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj bestätigt hat, wurden Zielkoordinaten aus US-amerikanischer Aufklärung an die Ukrainer weitergegeben, wenn auch nur unter dem Titel „points of interest“ (interessante Punkte). Bedrohungen aus der Luft erhielten den Namen „tracks of interest“ (Spuren von Bedeutung). So vermied man es, Zielmarken als solche zu benennen, was dazu führt, dass man solches im Nachhinein ohne weiteres abstreiten konnte – obwohl es geschehen ist. Durch Aufklärungsweitergabe konnte etwa das russische Flaggschiff „Moskwa“ von der ukrainischen Marine versenkt werden.

Auch die Bedienung der Artilleriesysteme HIMARS (High Mobility Artillery Rocket System), die nur mit US-Unterstützung funktioniert, geschah unter amerikanischer Aufsicht, was der US-Administration Kontrolle über die tatsächlich angepeilten Ziele gab. Ein US-Offizieller sagte damals, dieser Schritt habe sich so angefühlt, als „stünde man ‚an der Front und würde sich fragen, ob der Dritte Weltkrieg ausbricht, wenn man einen Schritt nach vorne macht‘“. Doch die Biden-Regierung überschritt weitere rote Linien, die sie sich vorher gesetzt hatte. 2024 erlaubte das Weiße Haus die Beschießung von russischem Territorium, um Charkiw zu verteidigen.

Vielleicht hängt auch der letztlich erfolgte Landgewinn Russlands bei Bachmut mit den Planungen in Wiesbaden zusammen, allerdings kamen hier Uneinigkeiten in der Ukraine hinzu. General Saluschnyj war demnach einverstanden mit dem amerikanischen Plan, das südlich gelegene Melitopol anzugreifen und so die russischen Versorgungslinien zu kappen. Aber sein Rivale, damals Untergebener und inzwischen Nachfolger, Oleksandr Syrskyj, meuterte gegen diesen Plan und konzentrierte die Hälfte der ukrainischen Kräfte auf Bachmut, nachdem Selenskyj sich ihm angeschlossen hatte. Der Erfolg blieb bekanntlich aus – und man darf sich fragen, ob es an der Inkompetenz der Ukrainer oder der US-Berater lag oder mit den gegebenen Mitteln eben nichts anderes zu erreichen war.

Zwischenzeitlich schätzte die CIA die Wahrscheinlichkeit eines russischen Atomwaffeneinsatzes auf 50 Prozent, was die empfundene Unsicherheit angesichts einer möglichen deutschen Kriegsbeteiligung steigern hätte können. Diese 50-Prozent-Einschätzung der CIA bezog sich auf einen möglichen Fronteinbruch der Russen nach einer Gegenoffensive der Ukraine, sollte diese etwa bis auf die Krim führen. Das war im Oktober 2022. Zuvor hatte die CIA die Wahrscheinlichkeit immer bei fünf bis zehn Prozent gesehen. Nach einer aufgefangenen Äußerung des damaligen Kommandeurs der russischen Streitkräfte im Ukrainekrieg, Sergei Wladimirowitsch Surowikin, änderte sich das. Doch genau die Krim ‚massierte‘ man später mit Angriffen wie „Lunar Hail“, Seedrohnen und Langstreckenraketen. Noch im August 2024 wurde die Krim-Brücke mit ATACMS-Raketen beschossen – dabei aber nur beschädigt.

Es ist folglich nicht ganz absurd zu sagen, dass auch ein Dritter Weltkrieg sich aus dem Geschehen am Dnjepr hätte entwickeln können, wenn die Wiesbadener Beratungsleistungen etwas anders gelaufen wären. Das Biden-Team – quasi führungslos – spielte anscheinend mit dem weltpolitischen Feuer.

Stefan Keuter und andere haben nun Fragen gestellt nach den Implikationen einer möglichen Einordnung von Deutschland als „kriegsbeteiligtem Land“ durch Russland, nach dem Eskalationspotential des Krieges an sich, nach den Informationen, die die Bundesregierung zu den Beratungen in der Wiesbadener Basis bekam, auch nach der Unterrichtung des Bundestags durch die Bundesregierung dazu. All das sind durchaus Fragen, die sich stellen lassen und die eine Relevanz für die Sicherheit Deutschlands und seiner Bürger im Konfliktfall – wie er in der Ukraine besteht und sich ausweiten könnte – haben.

Daneben sei auch die deutsche Öffentlichkeit nicht über die Vorgänge informiert worden. Und hätte nicht zumindest nach der Veröffentlichung der New York Times im März eine Regierungserklärung oder eine Unterrichtung des Deutschen Bundestags folgen müssen? All das ist ganz offenbar nicht passiert, was umso mehr Anlass für die nun gestellten Fragen gibt.

Die Antworten der Bundesregierung auf die 52 Fragen der AfD-Fraktion zur Sicherheit und Verteidigung des Landes fielen erneut nichtssagend aus – allerdings nicht ohne Grund. Der wichtigste Satz in der Vorbemerkung dürfte dieser sein: „Die Bundesregierung verweist darauf, dass sich der parlamentarische Informationsanspruch nur auf Gegenstände erstreckt, die einen Bezug zum Verantwortungsbereich der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag haben und die in der Zuständigkeit der Bundesregierung liegen.“ Eine Pflicht zur Beantwortung von Fragen bestehe eben nur dann, wenn diese Fragen „einen konkreten Bezug zum Regierungshandeln haben und die Bundesregierung einen amtlich begründeten Kenntnisvorsprung gegenüber den Abgeordneten hat“. Man versteht: Diesen Bezug zum Regierungshandeln gibt es hier nicht, auch keinen „Kenntnisvorsprung“. Die Bundesregierung weiß über diese Dinge tatsächlich nur vom Hörensagen, obwohl sich das US-Hauptquartier auf deutschem Boden befindet.

Daneben gilt natürlich die Vertraulichkeit bei Gesprächen zwischen der Bundesregierung und anderen Regierungen – also ist es wieder nichts mit dem Informationsanspruch des Parlaments. Man fragt sich langsam, wann der denn greift, zumal bei so wichtigen Fragen. Was aber in dieser Antwort-Vorbemerkung noch hinzugekommen scheint, ist, dass gewisse Informationen noch nicht einmal „in eingestufter Form“ mitgeteilt werden können, weil die „überwiegenden Belange des Staatswohls“ dem entgegenstehen. Das könnte bedeuten, dass die AfD-Abgeordneten hier im Top-Secret-Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen kratzen, wofür auch sonst einiges spricht. Das gilt natürlich vor allem für Fragen mit Bezug zu den Nachrichtendiensten. „Auch ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens, dass durch eine eingestufte Antwort entsteht“, ist demnach „nicht hinnehmbar“.

Was lässt sich nun also aus den konkreten Antworten der Bundesregierung lernen? Die Bundesregierung bestätigt weder, noch leugnet sie die dargestellten Sachverhalte. Sie äußert sich nicht dazu, ob sie vorab, im Nachhinein oder überhaupt über die „Task Force Dragon“ und deren Arbeit informiert war. Immerhin waren laut ihrer Antwort keine deutschen Offiziere, zivilen Beamten oder Mitarbeiter deutscher Sicherheitsdienste in die Arbeit der Task Force Dragon involviert. Aber Bundesbehörden könnten Infrastruktur, Logistik oder Kommunikationsnetze für die Wiesbadener Operationen zur Verfügung gestellt haben, denn dazu wird wiederum keine Stellung genommen.

Die Bundesregierung stellt aber fest, dass derartige Aktivitäten keineswegs vom Bundessicherheitsrat genehmigt werden müssten. Sie führt auch keine Verhandlungen mit den USA über eine Beschränkung der Nutzung, eine Verlegung oder Schließung der in Wiesbaden angesiedelten Elemente. Und natürlich gilt für die Bundesregierung eine Art Ehrenkodex: „Deutsche Behörden überwachen verbündete Staaten weder im Inland noch im Ausland.“

Eine parlamentarische Kommission, die die Faktenlage zu Aktivitäten der US Army auf deutschem Boden oder daraus erwachsende Risiken untersucht, sei nicht notwendig, meint die Bundesregierung. Alles folgt dem NATO-Truppenstatut und dem Stationierungsrecht: „Die Nutzung deutschen Hoheitsgebiets durch Streitkräfte verbündeter Staaten erfolgt auf Grundlage völkerrechtlicher Vereinbarungen, insbesondere des NATO-Truppenstatuts und des Aufenthaltsvertrags. Diese völkerrechtlichen Verträge regeln abschließend die einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen.“ Das regelt diese Fragen aus Sicht der Bundesregierung abschließend.

Stefan Keuter, Obmann im Auswärtigen Ausschuss und stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, kommentiert die Haltung der Bundesregierung so: „Die Sicherheit der Deutschen spielt für diese Bundesregierung offenbar keine Rolle und ihre Antwort zeugt von ihrer Verantwortungslosigkeit gegenüber unserer Bevölkerung.“ Allein die Waffenlieferungen an die Ukraine hätten „nicht nur die Bundeswehr geplündert, sondern insbesondere auch das Risiko einer Eskalation stetig erhöht“.

Und so gibt es am Ende auch noch eine glasklar politische Seite der Sache. Die Aktivitäten der alten Biden-Regierung in der Ukraine (und dem Wiesbadener US-Hauptquartier) waren sowohl der alten wie auch der neuen Bundesregierung gerade recht. Davon darf man wohl auch bei Kanzler Merz ausgehen. Man stand ja geeint an der Seite der Ukraine – und nun steht Merz eher einsam als Kanzler der Kriegspartei da, zusammen mit Macron und Starmer. Insofern hatte die Ampel und hat die Regierung Merz gar keinen Grund zum Protest über die Enthüllungen der Times. Viel eher kritisiert man Trump dafür, dass er dem Waffengang ein Ende machen will und so Russland möglicherweise ein Stück näher an die westlichen Gemeinschaft führen könnte.

Für Keuter und seine Kollegen steht indes „das Interesse Deutschlands an seiner nationalen Sicherheit“ im Zentrum. Ein Interesse, das sie auch im Bundestag vertreten wollen. Diesen Gedanken haben die Abgeordneten an den Beginn ihrer Fragen gestellt und ihm damit ein gewisses Gewicht gegeben, das die Bundesregierung in ihren Antworten freilich so ziemlich ignoriert hat.

Für Keuter ist klar: „Wenn die ukrainischen Angriffe von deutschem Boden aus und dann auch noch auf russisches Kernland gesteuert werden, werden die Deutschen im Falle einer Eskalation zur direkten Zielscheibe gemacht. Biden hat die Task Force Dragon in Wiesbaden einrichten lassen – ohne Rücksicht darauf, dass dies mit einem Dritten Weltkrieg auf europäischem Boden enden könnte, und ohne jemals einen Verhandlungsfrieden zu wollen, wie Trump ihn anstrebt. Der Ukrainekrieg ist nicht unser Krieg und wir dürfen uns im eigenen Sicherheitsinteresse nicht daran beteiligen, sondern müssen zurückkehren zu Diplomatie, Souveränität und vor allem Selbstschutz.“

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel