
Die Ukraine konnte die russische Invasion zunächst erfolgreich zurückschlagen: Neun Monate nach Kriegsbeginn hatte sie beeindruckende Erfolge erzielt, wie der Frontverlauf zeigt. Danach stabilisierte sich die Frontlinie weitgehend. Es folgte ein Abnutzungskrieg, der die Notwendigkeit von Verhandlungen immer deutlicher machte – eine Forderung, die von höchster militärischer Stelle schon früh erhoben wurde.
Laut Wall Street Journal forderte der Ukraine-Krieg auf beiden Seiten mehrere Hunderttausende Opfer. Während eine vertrauliche ukrainische Schätzung von 80.000 getöteten und 400.000 verwundeten ukrainischen Soldaten ausgeht, schätzen westliche Geheimdienste die Verluste auf russischer Seite sogar auf 600.000 Soldaten, eine Summe, die sich aus 200.000 Toten und 400.000 Verwundeten ergibt, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) Ende September 2024 berichtete. Bereits zu diesem Zeitpunkt reichte es für die erschreckende Überschrift: „Russlands Krieg in der Ukraine: Mehr als eine Million tote und verletzte Soldaten.“ Der enorme Blutzoll, den beide Seiten entrichten, habe „auch langfristig fatale Auswirkungen“, so das RND weiter – besonders für die Ukraine. Da ihre Bevölkerung nur rund ein Viertel der Größe der russischen beträgt, sei das Problem für sie – anders als für Russland – „existenziell“.
Vor dem Hintergrund solcher Zahlen sind Äußerungen wie die der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen zu betrachten, die der dänischen Sozialdemokratie angehört und sich exemplarisch für die europäische Positionierung wie folgt äußerte: „Meine Meinung über die Ukraine ist dieselbe wie seit drei Jahren – dass sie den Krieg gewinnen müssen. Wenn wir zulassen, dass Russland den Krieg gewinnt, wird es weitermachen. Wenn wir diesen Krieg jetzt beenden, mit einer Art eingefrorenen Konflikt, einem Waffenstillstand, wird das Russland die Möglichkeit geben, mehr Geld und Menschen zu mobilisieren und vielleicht ein anderes Land in Europa anzugreifen“, so die dänische Staatschefin.
Anders als Frederiksens Position veränderte sich der Frontverlauf seit drei Jahren auf deutliche Weise. Wie genau, darüber wurde in der Öffentlichkeit jedoch kaum je gesprochen. Wie sich drei Jahre Ukraine-Krieg im Zeitraffer darstellen, das zeigte ZDF heute in einer anschaulichen Visualisierung, auf die NIUS in der folgenden Darstellung zurückgreifen wird. Zu sehen sind sechs Momentaufnahmen innerhalb des Krieges, beginnend mit dem Februar/März 2022, in dem die russische Armee (rote Farbe) schlagartig große Teile ukrainischen Territoriums (gelbe Farbe) einnehmen kann. Man achte auf den Wendepunkt im Dezember 2022.
Zu erkennen ist, dass sich die Frontlinie nach dem Höhepunkt der ersten erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive im Winter 2022 zu verewigen beginnt – bereits neun Monate nach Kriegsbeginn. Im gesamten weiteren Kriegsverlauf gab es keine nennenswerten Zurückeroberungen. Stattdessen gelang es dem russischen Militär in den nachfolgenden zwei Jahren zunehmend, den Spieß wieder umzudrehen und langsam, aber kontinuierlich die Frontlinie Richtung Landesinneren zu verschieben. Was aber geschah an jenem Wendepunkt zum Jahreswechsel? Zweierlei ist festzuhalten.
Erstens begann Russland Ende 2022 und verstärkt Anfang 2023 damit, die Frontlinie in der Ukraine durch umfangreiche Befestigungen zu sichern. Diese Verteidigungsanlagen, die als „Surovikin-Linie“ bezeichnet werden (benannt nach einem russischen General), umfassten eine Vielzahl von Hindernissen wie Panzergräben, Minenfelder, Schützengräben und Betonbarrieren („Drachenzähne“). An jener „Linie haben sich die Russen auf mehr als 800 Kilometern Länge entlang der gesamten Front quasi eingegraben“, schrieb das SRF im Sommer 2023.
Zweitens verkündete der Kreml im Dezember 2022, „keine Einverleibung neuer Gebiete“ mehr anzustreben; „vielmehr sollten die beanspruchten Regionen endgültig der ukrainischen Kontrolle entrissen werden“, so der MDR seinerzeit. Damit war Russland erfolgreich: Der Ausbau dieser Befestigungen führte dazu, dass die ukrainische Gegenoffensive im Jahr 2023 erheblich erschwert wurde. Die dichte Verminung und die robusten Verteidigungslinien verlangsamten den ukrainischen Vormarsch erheblich, sodass keine bedeutenden Geländegewinne erzielt werden konnten. Seither tragen die beiden Kriegsparteien einen Abnutzungskrieg aus, dessen Frontlinie sich nur noch minimal veränderte. Etwa zu jenem Zeitpunkt, im November 2022, befand der ranghöchste amerikanische General, Mark Milley, dass die Gelegenheit zu Verhandlungen gekommen sei.
General Mark Milley
Seine zurückgewiesenen Ratschläge erweisen sich im Nachhinein als vorausschauend: „Man sollte verhandeln, wenn man sich in einer Position der Stärke befindet und der Gegner geschwächt“, sagte er, wie CNN berichtete. Während das russische Militär „wirklich schwer angeschlagen“ sei, nachdem es in fast neun Monaten Krieg keines seiner Ziele erreicht habe, habe die ukrainische Armee „einen Erfolg nach dem anderen erzielt“. Es könne deshalb „eine politische Lösung geben, bei der sich die Russen auf politischem Wege zurückziehen“. Unter diesen Umständen könnte die Ukraine sogar den Abzug der russischen Truppen fordern – ein Ziel, das militärisch schwer durchzusetzen wäre.
Zwei Jahre und drei Monate später geben sich Europäer nach wie vor der Illusion hin, den Ukraine-Krieg gewinnen zu können. Derweil hat die neue amerikanische Regierung unter Donald Trump entschieden, dass die Fortsetzung dieses Abnutzungskriegs aussichtslos und opferreich ist und dass ein Verhandlungsfrieden die bessere Alternative darstellt. Er folgt damit einer Einsicht, die sein ranghöchster General früh öffentlich äußerte.
Der Frontverlauf bestätigte die Einschätzung Amerikas ranghöchsten Generals: Ein militärisches Zurückdrängen Russlands war nach der ersten erfolgreichen Gegenoffensive nicht mehr möglich. Nach ihr hätten Verhandlungen mit Russland spätestens geführt werden.
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