
Friedrich Merz galt einst als konservativer Retter der CDU. 2018 betrat der heute 69-Jährige nach Jahren im politischen Abseits wieder die Bühne. Er bewarb sich um den Vorsitz der Partei, nachdem diese nach der Amtszeit seiner einstigen Rivalin und ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel vollends ohne vernünftigen Wertekompass herumirrte.
Für große Teile der Basis war klar: Mit Merz wird alles besser. Die Wahl zum Vorsitzenden 2018 verlor er dennoch gegen Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Basis tobte, man hatte ihr eine konservative Wende verbaut. Im Januar 2021 trat er erneut an. Doch auch hier verlor er, diesmal gegen Armin Laschet. Sein dritter Anlauf im Dezember 2021 war erfolgreich; er wurde zum CDU-Vorsitzenden gewählt und trat das Amt im Januar 2022 an.
Es brauchte erst eine verlorene Bundestagswahl und eine Basisabstimmung, um Merz an die Spitze des Konrad-Adenauer-Hauses zu hieven. Nun wollte er wirklich anpacken – er wurde Oppositionsführer und hatte die Augen immer auf das Kanzleramt gerichtet. In der Opposition tat er sich leicht, die desaströse Ampel-Politik machte es ihm einfach, sich zu profilieren.
Im Wahlkampf zur vorgezogenen Bundestagswahl galt es als sicher: Merz wird Bundeskanzler. Mit breiter Brust stellte er sich hin und erklärte, dass er die AfD halbieren wollte und setzte auf einen konservativen Wahlkampf. Im Vorfeld der Wahl sorgte Merz mit seinem Fünf-Punkte-Plan zur Migration für Hoffnung bei konservativen Wählern. Alles könnte besser werden. Nicht nur in puncto Migration wollte Merz etwas verändern, er wollte die Wirtschaft ankurbeln, die Staatsausgaben senken, Deutschland wieder an die Spitze Europas führen und international wieder wettbewerbsfähig machen. Bei der Schuldenbremse setzte man eine rote Linie. Merz stimmte sogar mit der AfD ab, um die Ampel abzustrafen.
Im Wahlkampf sollte es einfach gehen, doch die Union legte sich immer wieder Steine in den Weg. Man schloss eine Minderheitsregierung aus. Auch unkoordiniert wirkende Äußerungen aus Bayern von Markus Söder bezüglich der Koalitionsoptionen wirkten nicht hilfreich.
Zwar gewann er die Wahl, doch der erhoffte Achtungserfolg blieb aus. Letztlich holte die Union 28,5 Prozent. Da man eine Minderheitsregierung ausgeschlossen hatte und eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht infrage kam, blieb nur noch eine Option: Eine GroKo, die mittlerweile nur nicht mehr wirklich groß ist.
Nun sind knapp eineinhalb Monate seit der Bundestagswahl vergangen und Merz‘ Wahlversprechen sind verpufft. Die Union ließ und lässt sich in Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen von der SPD und ihrem Vorsitzenden Lars Klingbeil vorführen.
Die ersten gebrochenen Wahlversprechen waren die Schuldenbremse und die Senkung der Staatsausgaben. Nachdem die Union mit dem Rücken zur Wand stand, nutzte die SPD die Gunst der Stunde. Man zwang der Union ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Bundeswehr und Infrastruktur auf. Wie Lars Klingbeil Anfang März in der ARD-Sendung Maischberger erklärte, war dies eine Bedingung, um überhaupt in die Sondierungsgespräche mit der Union zu gehen. Es war für die Sozialdemokraten „völlig klar“ gewesen, dass man in „Gespräche mit der Union nur reingehen“ würde, wenn man „gemeinsam die finanzpolitischen Realitäten dieses Landes“ anerkannt hat. Konkret bedeutet dies, dass man die Union bereits vor dem Start von Verhandlungen zum Umfallen gebracht hat. Denn vor der Wahl schlossen CDU-Chef Merz und Co. neue Schulden oder eine Reform der Schuldenbremse noch kategorisch aus.
Man sollte meinen, dass die Union nun auch ihrerseits Punkte durchbringen wollte, wie zum Beispiel bei der Migration – doch Pustekuchen. Nach dem Doppelmord von Aschaffenburg durch einen Asylbewerber erklärte Merz öffentlich, er werde „am ersten Tag“ seiner Amtszeit „das Bundesinnenministerium anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen“ – es werde „ein faktisches Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland für alle geben, die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen. Das gilt ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch.“
Noch vor der Wahl hatte die CDU/CSU mit Unterstützung der AfD einen Antrag im Bundestag durchgesetzt, der die Zurückweisung von Flüchtlingen an den deutschen Außengrenzen vorsieht. Ein zweiter Antrag hatte es nicht durch den Bundestag geschafft.
Im internen Papier der Koalitions-Arbeitsgruppe bleibt wenig Konkretes. Man beschränkt sich auf die Minimal-Formulierungen des Sondierungspapiers. Zu Beginn heißt es: „Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben. Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung. Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet.“ Und weiter: „Deutschland schlägt dabei einen anderen, konsequenteren Kurs in der Migrationspolitik ein. Wir werden Migration ordnen und steuern und die irreguläre Migration wirksam zurückdrängen.“
Zu Zurückweisungen heißt es: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren. Die Grenzkontrollen zu allen deutschen Grenzen sind fortzusetzen bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz und der Erfüllung der bestehenden Dublin- und GEAS-Regelungen durch die Europäische Gemeinschaft.“ Das entspricht im Wesentlichen dem Sondierungspapier und bleibt vage. Eine klare Position zu Zurückweisungen fehlt. Wieder eine Niederlage für Merz.
Alles, was aus den Koalitionsverhandlungen hervorkam, klingt eher nach Ampel anstatt nach Politikwechsel. Neue Schulden durch Sondervermögen, eine de facto nicht existierende Schuldenbremse, kaum Veränderungen in der Migration und viele weitere linke Ideen.
Für Merz sieht es schlecht aus, die Basis rebelliert, die Umfragewerte sinken. In der neuesten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA liegen Union und AfD erstmals mit 24 Prozent gleichauf. Verglichen mit ihrem Bundestagswahlergebnis von 28,6 Prozent haben CDU und CSU mittlerweile über vier Prozentpunkte verloren. Die AfD hingegen konnte ihre Zustimmungswerte kontinuierlich steigern – seit der Wahl am 23. Februar hat sie 3,2 Prozent zugelegt.
Für Friedrich Merz und die Union geht es seit der Bundestagswahl in den Umfragen stetig bergab; auch in den persönlichen Umfragen trauen die Bürger dem wohl baldigen Kanzler nicht mehr viel zu. Laut einer Civey-Umfrage für die Welt trauen 63 Prozent der Bürger dem CDU-Chef nicht zu, einen Politikwechsel herbeizuführen. Lediglich 26 Prozent glauben noch, dass sich die Politik in Deutschland durch den 69-Jährigen verändern könnte. Elf Prozent sind unentschieden.
All das sind die Folgen von katastrophalen Entscheidungen und dem Einknicken vor der SPD. Friedrich Merz hat sich seine Kanzlerschaft schon vor Beginn beerdigt. Der große Gewinner ist die AfD.