Die neue Vielfalt der CDU im Umgang mit den Linken

vor etwa 6 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Man mag in der CDU, zumindest im abgehobenen und entrückten Funktionärsapparat, aufgestöhnt haben, als sich die Linke, also die umbenannte SED, auf ihrem Parteitag vor kurzem der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ anschloss und die gültige Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (Internationale Allianz zum Holocaustgedenken) ablehnte. Die IHRA wurde 1998 in Stockholm gegründet, um die Aufklärung, Erforschung und Erinnerung des Holocaust weltweit zu fördern. 39 Staaten traten ihr bei, darunter Deutschland.

Neben acht Staaten unterhalten Organisationen wie die UNO, die UNESCO und die EU einen Beobachterstatus.

Im Jahr 2021 legten einige Leute eine alternative Definition für Antisemitismus vor, die man als tendenzielle Verharmlosung des Antisemitismus ansehen kann. Zur Boykott-Organisation BDS, die den Boykott israelischer Waren, aber auch von israelischen Wissenschaftlern, Künstlern und Sportlern, um Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell zu isolieren, anstrebt, finden die Verfechter der Jerusalemer Erklärung keine einheitliche Haltung. Kritiker sehen in der Jerusalemer Erklärung einen Rückfall, weil sie antisemitische Formen des Antizionismus verharmlost.

Die SED-Nachfolgepartei Die Linke will nun in der Antisemitismusdefinition der IHRA ein „massives Einfallstor für autoritäres, staatliches Handeln“ entdeckt haben und lehnt „die Praxis ab, die ‚Arbeitsdefinition Antisemitismus‘ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) in Kommunen, Behörden und Bundestagsbeschlüssen als verbindliche Definition vorzuschreiben, um Zugänge zu Räumen und Fördermitteln zu kontrollieren. Damit verbundene Geheimdienstkontrollen, Personenüberprüfungen und Bekenntniszwänge werden ebenfalls abgelehnt.“

Aus den Mündern einer Partei, die einst das Ministerium für Staatssicherheit gegründet hatte, klingt das schon dreist. Doch was freiheitlich klingt, erweist sich wie immer bei den Linken im Orwellschen Sinne als Demagogie, wenn man bedenkt, dass die SED einst mit der RAF in der Unterstützung Arafats und der PLO wetteiferte, mehr noch, dass sie 1952 einen großen politischen Schauprozess im Stile der Moskauer Prozesse, der Slánsky Prozesse in Prag und der Raik-Prozesse in Budapest vorbereitete, in dem Walter Ulbricht und Herman Matern den Hauptbeschuldigten Paul Merker unter anderem als „Judenknecht“ hinzustellen gedachten, als Agent des Zionismus.

Worum es aber den Linken vor allem geht, ist, dass „die gültige IHRA-Definition sich dem Missbrauch des Antisemitismusbegriffs von rechts“ nicht „verschließt“. Man kennt die linke „Kritik“ am „Zionismus“ aus der DDR schon zur Genüge.

Wenn man weiß, wer die Linken sind, erstaunt deren Position nicht, erstaunlich ist jedoch die Reaktion der CDU, bei denen einige ins Kopfkissen gebissen haben und sich wünschten, dass die Linke diesen Beschluss lieber unterlassen hätte, stört er doch allzu sehr das liebliche Kosen beider Parteien, zwischen denen unverhofft zaghaft zarte Frühlingsgefühle sprießen.

Erstaunlich ist auch, dass die neue Bundesbildungsministerin Karin Prien, deren Bildung sich offensichtlich nicht auf die Geschichte erstreckt, behauptet: „Unsere Zeit verlangt von allen demokratischen Kräften in Deutschland mehr Ambiguitätstoleranz und weniger Dogmatismus“, um im selben Atemzug das Dogma zu verkünden: „Die AfD ist die Partei des Rechtsextremismus, sie ist eine Gefahr für unsere liberale Demokratie“, die Linke, also die SED-Nachfolgepartei, sei das nicht.

Die Linke (SED) zu den „demokratischen Kräften“ zu zählen, würde dem Bemühen ähneln, Josef Stalin als Albert Schweitzer zu verklären. Offensichtlich hält Karin Prien den Gulag für so etwas wie den Club Med, das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen für ein Sanatorium und die Blutrichterin Hilde Benjamin und den Freisler-Freund und Generalstaatsanwalt der DDR Ernst Melsheimer für vorbildliche Juristen.

Mit Gegenwartsblindheit und Gegenwartstaubheit scheint auch der Thüringer CDU-Ministerpräsident Mario Voigt geschlagen zu sein, wenn er mit Blick auf die Linke, von der er politisch abhängig ist, schwadroniert: „Mit einer Partei, die nicht wie die AfD auf einen Systemsturz hinarbeitet, kann die CDU jenseits aller grundsätzlichen Differenzen parlamentarische Absprachen aus staatspolitischer Verantwortung treffen.“

Bereits auf einer Konferenz im Jahr 2020 forderte die Linken-Politikerin Katina Schubert: „Weil wir jetzt die sogenannten liberalen Demokraten auch zwingen wollen, die Mauer nach rechts aufzubauen … wenn wir die Rechten isolieren wollen, wenn sie gesellschaftlich geächtet werden sollen, dann müssen wir eine Brandmauer aufbauen.“ Den Linken und den Grünen ist durchaus gelungen, die Union einzumauern.

Iris Schwerdtner, Parteivorsitzende der Linken, erklärte Anfang Mai mit neuem Selbstbewusstsein in einem Interview: „Wir sollten nicht mehr in Tarnbegriffen reden, sondern von Klasse und demokratischem Sozialismus“, denn: „Die Linke muss sich wieder als Partei der Klasse verstehen … Dafür müssen wir ein Klassenbewusstsein entwickeln … Die Linke vertritt die Arbeiterklasse und kämpft für die materiellen Interessen all jener, die für ihren eigenen Lohn arbeiten müssen.“

Und Heidi Reichinnek wurde noch deutlicher und stellte einen Tag später deutlich die Systemfrage: „In den heutigen Zeiten muss man radikal sein, der Sozialstaat wird immer weiter ausgehöhlt, der Reichtum von wenigen explodiert, die Demokratie ist auch dadurch ernsthaft bedroht. Wer das verhindern will, der darf den Kapitalismus nicht stützen, er muss ihn stürzen. Er muss sich dagegenstemmen und die Systemfrage stellen, ganz klar.“

Voigt von der CDU behauptet, dass die Linke nicht die Systemfrage stellt, Reichinnek von der Linken sagt deutlich, dass sie „die Systemfrage stellen“ und zwar „ganz klar.“ Eigentlich sollte Voigt wissen, dass die Linke, ehemals SED, nur dann nicht mehr die Systemfrage stellt, wenn sie in ihrem Sinne gelöst ist durch die Errichtung des Sozialismus. Nennt sich Klassenkampf, den übrigens Schwerdtner wieder führen will. Das Adjektiv „demokratisch“ darf man getrost weglassen, denn schon Ulbricht sagte noch im sowjetischen Exil, die Rückkehr nach Deutschland vor Augen: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Und in der Errichtung des Sozialismus, den man demokratisch aussehen lassen will, verfügt die CDU über große Erfahrung.

Zwar beeilt sich Carsten Linnemann, der immer das Richtige sagen muss, wenn das Falsche geschieht, zu versichern: „Die unsägliche Verharmlosung von Antisemitismus auf dem Parteitag hat die Linken noch extremer von der CDU entfernt als ohnehin schon.“ Und: „Für mich kann es keine politische Zusammenarbeit mit der Linkspartei geben, solange dort extremistische Gruppen mitmachen.“ Das mag schon sein, dass es für Carsten Linnemann keine „politische Zusammenarbeit mit der Linkspartei geben“ kann, doch Mario Voigt arbeitet mit den Linken de facto zusammen, auch wenn sie die Systemfrage stellen, und Karin Prien will im Umgang mit der Linkspartei „mehr Ambiguitätstoleranz und weniger Dogmatismus“, trotz dessen sie die Systemfrage stellt, statt freier Marktwirtschaft sozialistische Planwirtschaft.

Weil aber in Vergessenheit gerät, dass die Linkspartei rechtsidentisch mit der SED ist, wie die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) im vorigen Jahrhundert rechtsidentisch mit den Bolschewiki war, sollte man hinter „Die Linke“ in Klammern immer SED schreiben. Um in seiner Geschichtsfälschung großen Stils diese Rechtsidentität zu verdeutlichen, hieß das Machwerk, das Stalin veranlasst und dem bis 1956 jeder in Stalins Machtbereich bis über den Tod des Diktators hinaus zu huldigen hatte, das Stalin zum Gott erklären, Terror und Repression in Klassenkampf, Heldentum und Humanismus umlügen sollte: „Geschichte der KPdSU (B) – Kurzer Lehrgang“, wobei das B in Klammern für Bolschewiki stand. Bis 1956 erschienen von der Stalin-Bibel eine Million Exemplare in der DDR. In der UdSSR kam das Buch heraus, als die Tschistka, die „große Reinigung“, der Große Terror, dem Höhepunkt zustrebte.

Wenn also die Geschichte ins Feld geführt wird, dann bitte die ganze Geschichte. Auch die Geschichte der Blockpartei CDU, die Äußerungen von Prien und Taten von Voigt sowie die lauen Rückzugsgefechte von Linnemann zeigen, wie anfällig CDU-Funktionäre dafür sind, wieder zu „Blockfreunden“ zu werden.

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