„Unabhängigkeit von den USA erreichen“: Distanziert sich die Union unter einem Kanzler Merz von Amerika?

vor 2 Monaten

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Er nannte die Vance-Rede „fast schon übergriffig“ und denkt jetzt laut über eine „Unabhängigkeit von Amerika“ nach, auch in Sicherheitsfragen: Nach seinen jüngsten Äußerungen stellt sich die Frage: Weicht ein Kanzler Friedrich Merz vom Unions-Kurs der traditionell engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ab?

Die CDU war immer die Amerika-Partei der Bundesrepublik. Im Rahmen der von Konrad Adenauer verfolgten Politik der Westbindung war neben der europäischen Integration die transatlantische Komponente von fundamentaler Bedeutung. Der Schutz durch die USA war Garant für eine demokratisch-westliche Entwicklung im Innern und Schutz vor der Sowjetunion nach außen. Unter der Kanzlerschaft Helmut Kohls waren die Beziehungen besonders eng, was sich auszahlte, als es um die Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung ging.

Helmut Kohl und Ronald Reagan verstanden sich prächtig, teilten ihre Abneigung gegen Linke.

Doch schon länger stellt sich die Frage: Bleibt die Union die einzige durchgehend verlässliche „Amerikas-Partei“? Bereits zur ersten Amtszeit Donald Trumps als US-Präsident änderte die Union in ihrem Wahlprogramm eine Passage, die die Beziehungen zu den USA betraf: Hatte es 2013 noch geheißen, „die USA sind der wichtigste Freund und Partner Deutschlands“, so hieß es nur mehr: „Die USA sind und bleiben unser wichtigster außereuropäischer Partner.“ Der Freund war in der Merkel-CDU weggefallen.

Nach der Wahl Joe Bidens änderte sich der Ton wieder, gelobt wurde der Wiedereinstieg der USA in das Pariser Klimaschutzabkommen, das für die Union „ganz oben auf der internationalen Agenda“ stand. Nun wollte die CDU wieder „die Präsidentschaft Joe Bidens als Chance für die deutsch-amerikanischen Beziehungen ergreifen“.

Frankreichs Präsident Macron bei Trump und Vance: Solche Bilder fürchtet Merz.

Nach Donald Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus hat sich der Ton Richtung Amerika offensichtlich wieder geändert. Während etwa Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Israels Premier Benjamin Netanyahu, Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und Argentiniens Präsident Javier Milei einen demonstrativ herzlichen Umgang mit dem Republikaner Trump pflegen, ließen Friedrich Merz und seine CDU die Möglichkeit verstreichen, Gemeinsamkeiten zu suchen und zu betonen, möglicherweise aus Angst davor, von den Medien der Sympathien für Trump bezichtigt zu werden.

Trump findet Giorgia Meloni „großartig“, sie bescheinigt ihm „viel Energie“.

Hatte Merz den Republikaner noch kurz nach dessen Wahl als „sehr gut kalkulierbar“ eingeschätzt („Er tut, was er sagt“), und betont, Trump werde „ein interessanter Partner“ sein, wollte er kürzlich nicht einmal sagen, ob er Trump als Partner oder Gegner betrachte. Er halte ihn für „berechenbar unberechenbar“. Merz meldet Zweifel an, ob Trump das Beistandsversprechen des NATO-Vertrages weiter uneingeschränkt gelten lässt. Wir als Europäer müssten „in der Lage sein können, den europäischen Kontinent aus eigener Kraft zu verteidigen“.

Verlässliche Verbündete: Benjamin Netanjahu und Donald Trump preisen die Freundschaft ihrer beiden Länder.

Wie schon Merkel betonte Merz, die EU habe 450 Millionen Einwohner, mehr als die USA und Kanada zusammen. Wenn man einig sei, könnte man den USA „auf Augenhöhe“ entgegentreten. Offenbar teilt er die Ansicht des CSU-Politikers Silberhorn, der vor den US-Präsidentschaftswahlen warnte, Trumps Sieg wäre mehr als in seiner ersten Amtszeit eine Belastungsprobe für die internationalen Beziehungen der USA und Trump sähe uns „in erster Linie als Wettbewerber und erst in zweiter Linie als Partner“.

Merz findet, es gebe „erhebliche Sorgen auf dieser Seite des Atlantiks um das, was da noch kommt, umso nötiger, dass wir (Europäer) geschlossen sind und reagieren.“ Nun sind die Europäer durchaus nicht geschlossen, zumal einige Regierungen (siehe Italien oder Ungarn) eher versuchen, mit Trump im Guten auszukommen. Die Frage stellt sich, warum Merz versucht, Europa gegen Amerika in Stellung zu bringen.

Nun sagte Merz in der „Berliner Runde“ am Wahlabend: „Für mich wird absolute Priorität haben, so schnell wie möglich Europa so zu stärken, dass wir Schritt für Schritt auch wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA.“ Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum fand diese Äußerung dramatisch: „Vor einem Monat wäre die Vorstellung, dass der neue deutsche Kanzler von ‚Unabhängigkeit von den USA' spricht, gänzlich undenkbar gewesen.“

Friedrich Merz fremdelt plötzlich mit den USA.

Merz‘ Bereitschaft, mit Frankreich und Großbritannien über einen europäischen Atomschirm zu sprechen, kommentierte die New York Times so: „Das wäre ein fundamentaler Bruch mit der bisherigen deutschen Position.“

Über Aussagen Trumps zum Ukraine-Krieg zeigte sich Merz erschüttert: „Das ist das russische Narrativ, so wird das ja von Putin seit Jahren auch dargestellt, und ich bin ehrlicherweise einigermaßen schockiert darüber, dass Donald Trump das jetzt offensichtlich sich selbst zu eigen gemacht hat.“ Zuvor hatte er sich über die „Einmischung“ von Elon Musk in den deutschen Wahlkampf beklagt: „Also die Interventionen aus Washington, die waren nicht weniger dramatisch und drastisch und letztendlich unverschämt wie die Interventionen, die wir von Moskau gesehen haben.“

Offensichtlich setzt die US-Regierung nicht mehr wirklich auf eine Union, die immer noch nicht den Bruch mit Angela Merkel gewagt hat und lieber mit Roten und Grünen paktiert als mit der AfD. Diese eher von Anti-Amerikanisten beherrschte Partei genießt inzwischen die Rückendeckung aus Washington – noch ein Feld, das Merz nicht besetzen wollte.

Elon Musk traut Merz nicht zu, Deutschland zu retten, sondern der AfD.

Der wohl nächste Bundeskanzler ließ auch die Chance verstreichen, in der Rede von Vizepräsident J.D. Vance kürzlich bei der Münchner Sicherheitskonferenz Gemeinsamkeiten zu erkennen und der Wokeness eine entschiedene Absage zu erteilen (auch wenn er auf der letzten Wahlveranstaltung kurz vor dem Urnengang rhetorisch in eine ähnliche Kerbe schlug und „links ist vorbei!“ rief). Er fand Vances Worte „fast schon übergriffig“ und behauptete im Interview mit der Deutschen Welle: „Die amerikanischen Sicherheitsgarantien werden infrage gestellt, und die Amerikaner stellen demokratische Institutionen infrage.“

Wer nicht derart mit der US-Regierung fremdelt, hält es da eher mit dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt. Der warb im Deutschlandfunk für einen freundschaftlichen Umgang mit den USA. Auch ihn würden Äußerungen von Trump „befremden“, dieser sei aber nun mal für die nächsten Jahre Präsident. Man müsse stärker das Gemeinsame suchen, statt das Trennende. Auch CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul schlug einen versöhnlichen Ton an. Vieles an der Politik Donald Trumps werde von der Union nicht geteilt und sein Politikstil werde in Europa nicht geschätzt. „Aber Deutschland muss immer klar an der Seite der USA stehen.“

CSU-Mann Alexander Dobrindt wirbt für einen freundschaftlichen Umgang mit den USA.

Zuletzt hatten die deutsch-amerikanischen Beziehungen gelitten, als Andreas Michaelis, der grüne Botschafter in Washington, sich in einem durchgestochenen Kabelbericht sehr negativ über Trump äußerte, woraufhin Unionsfraktionsvize Jens Spahn auf der Plattform X schrieb: „Erratische Äußerungen und moralische Belehrungen gegenüber unseren engsten Verbündeten“ schadeten deutschen und europäischen Interessen.“ Spahn gehört zu den Leuten in seiner Partei, die sich im Juli vergangenen Jahres auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee sehen ließen.

Aber ist Merz der Mann, der die zerrütteten Beziehungen kittet (der ranghöchste deutsche Vertreter auf Trumps Amtseinführung war der erwähnte Botschafter) und einen Neuanfang in den deutsch-transatlantischen Beziehungen wagt? Wohl nicht, solange Merz glaubt, dass „America first“ tatsächlich auch „America alone“ bedeutet und deshalb Deutschland von einer „schlafenden Mittelmacht“ zu einer „führenden Mittelmacht“ machen will. Dabei hatte Trumps Ukraine-Beauftragter Keith Kellogg bei der DW-Veranstaltung Conflict Zone, die amerikanische Haltung so dargestellt: „Wir sagen ‚Amerika zuerst‘, aber wir haben nie 'Amerika allein' gesagt. Wir haben nie gesagt, dass wir eine isolationistische Politik betreiben.“

Von Merz‘ Politik wird es abhängen, wie sich das deutsch-amerikanische Verhältnis entwickelt. Sollte er wirklich einen Politikwechsel weg von linken Illusionen wagen, könnten sich Deutschland (und Europa) wieder auf die USA zubewegen. Die jüngsten Äußerungen des künftigen Kanzlers deuten allerdings eher auf konfrontative Zeiten hin.

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