Und die nächste Diätenerhöhung: Wofür denn, bitte?!

vor 9 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

China hat die größte Volksvertretung der Welt. Der „Nationale Volkskongress“ NVK ist kein herkömmliches Parlament, weil China sich als Räterepublik versteht. Er besteht aus etwa 3.000 Abgeordneten.

Allerdings bilden nur etwa 150 Abgeordnete den sogenannten „Ständigen Ausschuss des Volkskongresses“ und tagen das ganze Jahr über. Die übrigen Mitglieder kommen einmal pro Jahr für knapp zwei Wochen vor allem zum Applaudieren zusammen und haben dementsprechend allenfalls eine symbolische Rolle.

China hat derzeit etwa 1,5 Milliarden Einwohner. Auf einen Abgeordneten im „Ständigen Ausschuss des Volkskongresses“ kommen demnach zehn Millionen Bürger. Auf einen Abgeordneten im NVK kommen immer noch 500.000 Chinesen.

Deutschland hat etwa 84 Millionen Einwohner, der Deutsche Bundestag hat 630 Abgeordnete. Auf einen Abgeordneten bei uns kommen demnach knapp 134.000 Menschen. Die Bundesrepublik hat also, je nach Bezugsgröße, auf Bundesebene dreimal mehr bzw. 74-mal mehr Parlamentarier als China.

Die spannende Frage ist: Funktioniert unser Land deshalb 74-mal besser als China? Oder auch nur dreimal besser?

So oder so haben wir die drittgrößte Volksvertretung der Welt (nach China und vor uns kommt noch Großbritannien mit 650 Abgeordneten). Bei der Einwohnerzahl dagegen liegen wir im internationalen Vergleich nur auf Platz 19. Dafür sind uns unsere Parlamentarier aber offenbar besonders lieb und teuer.

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Vor allem teuer.

Jedes Mitglied des Bundestages (MdB) erhält derzeit jeden Monat eine sogenannte Diät in Höhe von 11.227,20 Euro. Erhebliche monatliche Zuschläge oder Extras im satt vierstelligen Bereich (z. B. für Büroausstattung und Mitarbeiter) kommen noch dazu, aber die lassen wir hier einmal beiseite und konzentrieren uns auf die reine Vergütung.

Die macht pro Jahr 134.726,40 Euro pro MdB. Der mittlere Bruttojahresverdienst in Deutschland, gemessen am sogenannten Median, lag nach Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr bei 52.159 Euro (einschließlich Sonderzahlungen). Unsere Volksvertreter verdienen also nicht nur sehr viel mehr als das Volk, das sie vertreten sollen – sie verdienen auch mehr als ihre Abgeordneten-Kollegen fast überall sonst auf der Welt.

Nur in den USA (umgerechnet ca. 160.000 Euro) und in Australien (140.000 Euro) sackt man als Parlamentarier mehr ein als in Deutschland. Dort sind aber jeweils auch die Wahlkreise deutlich größer als bei uns. Selbst im reichen Singapur – einem Land mit einer deutlich höheren Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung als die Bundesrepublik – verdienen die Abgeordneten weniger (ca. 133.000 Euro).

Und in Wahrheit verdient ein deutscher Bundestagsabgeordneter noch viel mehr.

Denn mit dem Mandat hat jeder MdB auch Zugang zu zahllosen geldwerten Privilegien. Da ist die kostenlose Fahrbereitschaft des Bundestages, die an 365 Tagen im Jahr jeweils rund um die Uhr zur Verfügung steht. Da ist die kostenlose Erste-Klasse-Beförderung mit der Deutschen Bundesbahn. Da ist die vollständige Kostenübernahme für Inlandsflüge – und alles ohne Kontrolle des Anlasses.

Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Joana Cotar hat mehrfach eindrücklich berichtet, wie schnell Abgeordnete sich an diese Privilegien gewöhnen – und sie dann schamlos ausnutzen: Cotar nennt, als ein Beispiel unter vielen, MdBs, die sich regelmäßig zu privaten Terminen kutschieren und manchmal sogar ihre Kinder von einem Bundestagsfahrer aus der Schule abholen lassen.

Als ehemaliger Parlamentskorrespondent weiß ich aus eigener Erfahrung, dass nicht nur MdBs, sondern auch die Journalistenmeute in der Hauptstadt buchstäblich jeden Abend an 365 Tagen im Jahr bei irgendeiner politischen Veranstaltung irgendeiner Lobby-Gruppe umsonst essen können.

Man lebt extrem günstig als Abgeordneter.

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Im Jahr 1995 betrug die Diät 5.300 Euro. Heute liegt sie (siehe oben) bei gut 11.225 Euro. Dazwischen liegen 23 Erhöhungen um insgesamt 111 Prozent in 30 Jahren. Die verfügbaren Haushaltseinkommen und die Reallöhne in Deutschland sind derweil nicht ansatzweise so stark gestiegen: je nach Rechnung und Quelle nur um etwa ein Viertel.

Und jetzt sollen die Diäten wieder satt steigen: diesmal um 605,60 Euro (5,3 Prozent) auf 11.833 Euro.

„Genug? So etwas gibt es nicht. Wir nehmen, was wir kriegen können. So machen wir das.“ („Zec“ im Film „Jack Reacher“, 2012)

Dabei gehören unsere Abgeordneten ohnehin schon zu den absoluten Top-Verdienern im Land. Nach offiziellen Angaben des Statistischen Bundesamts verdienen 95 Prozent aller Vollzeit-Arbeitnehmer bei uns weniger als ein Parlamentarier im Bundestag. Warum bekommen die deutschen Volksvertreter trotzdem andauernd mehr Geld?

Bis 2016 bestimmte der Bundestag selbst über die Höhe der Diäten. Die Abgeordneten erhöhten sich ihre Bezüge also selbst. Das sorgte, womöglich nicht ganz zu Unrecht, immer wieder für Kritik und Empörung bei den Bürgern. Die MdBs waren es irgendwann parteiübergreifend leid, sich ständig vor den Wählern für den Griff in die Staatskasse rechtfertigen zu müssen.

Also setzten sie eine Expertenkommission ein, natürlich komplett unabhängig, man kennt das vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder von Angela Merkels Corona-Beratergremien. Die komplett unabhängigen Experten empfahlen, was von ihnen erwartet wurde: Um öffentliche Debatten zu vermeiden, sollten die Diäten künftig automatisch an die offizielle jährliche Inflationsrate angepasst werden. Der Mechanismus die Anpassung trat zum 1. Juli 2016 erstmals in Kraft.

Damit war unseren Volksvertretern ein echter Coup gelungen. Jetzt mussten sie nicht mehr erklären, weshalb ihre Bezüge steigen – denn das passiert ja nun automatisch. Und sie haben niemals weniger Geld zur Verfügung als im Vorjahr – denn ihre Diätenerhöhung gleicht ja immer die Inflation aus.

Das ist ein Zustand, von dem jeder normale Arbeitnehmer nur träumen kann. Den Gewerkschaften gelingt es in Tarifverhandlungen keineswegs immer, Gehaltserhöhungen zu erreichen, die die Inflationsrate erreichen.

Das also ist der technische Hintergrund für die Diätenerhöhung, die – ganz im Sinne der politischen Propaganda – „Anpassung“ genannt wird. Aber gibt es auch einen echten inhaltlichen Grund dafür, dass man im Bundestag immer mehr und mehr Geld verdient?

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Die kurze Antwort ist: nein.

Heute schwemmt unser fürchterliches Wahlrecht zwar viel mehr Abgeordnete in den Bundestag als früher, aber die haben nicht mehr zu tun als damals. Im Gegenteil: Der politische Einfluss des einzelnen Parlamentariers ist auf einem historischen Tiefpunkt.

Der Bundestag ist eine Veranstaltung der Fraktionsführungen. Das sind, je nach Wahlergebnis, zehn bis 20 Leute pro Partei. In Wahrheit wird Deutschland von maximal 50 Figuren regiert.

Der Rest ist, pardon, Stimmvieh.

Selten konnte man das so deutlich sehen wie bei der Verfassungsumseglung von Friedrich Merz, als er mit einem abgewählten Parlament und gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Wähler die wichtigste Grundgesetzänderung mindestens der vergangenen 30 Jahre durchgepeitscht hat. Die 630 Abgeordneten des 21. Deutschen Bundestags haben das widerstandslos geschehen und mit sich machen lassen. Das hat gezeigt, dass man sie in Wahrheit nicht braucht.

Auch hier ist Geld ein Kernproblem. Viel zu viele Abgeordnete haben keinerlei bürgerliche Existenz außerhalb der Politik, oftmals keine Ausbildung und erst recht keinen Beruf, in den sie zurückgehen könnten. Ihre Biografie lautet oft: Kreißsaal, Hörsaal (gerne ohne Abschluss, Studium abgebrochen), Plenarsaal.

Auch bekannte Namen gehören zu den Ungelernten: Saskia Esken, Katrin Göring-Eckardt, Kevin Kühnert, Ricarda Lang, Omid Nouripour, Claudia Roth, Paul Ziemiak. Insgesamt 40 Abgeordnete im aktuellen Bundestag weisen keine abgeschlossene Berufsausbildung vor. Diese Leute waren oder sind von der Politik in jeder Hinsicht abhängig. Das macht sie im Sinne der Fraktions- und damit der Parteiführungen gefügig. Solange sie nicht aufmucken und brav mitstimmen, dürfen sie auch bei der nächsten Wahl wieder auf die Kandidatenliste der Partei und ihr finanziell gesichertes Abgeordnetendasein fortsetzen.

Wenn man keinen überdurchschnittlichen Gestaltungsanspruch hat, ist das ein angenehmes Leben. Man hat Privilegien, siehe oben. Als MdB erlebt man plötzlich, wie sich im Amt alle Türen öffnen – und zwar im Wortsinn: Im Bundestag gibt es fast keine Türen mit Klinken mehr, alles funktioniert automatisch, sobald sich eines dieser kostbaren MdB-Wesen nähert. Und man hat Geld – fast immer viel mehr Geld, als man außerhalb der Politik in einem ehrbaren Beruf jemals verdienen könnte.

Früher hat man die Bürger mit dem Argument eingelullt, dass in der Politik angeblich zu schlecht gezahlt wird. Das würde gute Leute von einer politischen Karriere abschrecken, zum Beispiel Manager aus der Wirtschaft.

Das ist, bei allem Respekt, grandioser Unfug. Das Gegenteil stimmt.

Der Bundestag leidet nicht daran, dass es da zu wenig Geld zu verdienen gibt und deshalb gute Leute nicht in die Politik gehen. Der Bundestag leidet daran, dass es da zu viel Geld zu verdienen gibt – und deshalb viel zu viele schlechte Leute in die Politik gehen.

Niedrigere Diäten, eine strikte Amtszeitbeschränkung und Abschied vom Berufspolitiker: Damit wäre Deutschland schon sehr geholfen.

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