Verspielt die Union endgültig das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts?

vor etwa 15 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es gab einmal eine Zeit, da war “Karlsruhe“ eine der höchsten Autoritäten in diesem unserem Lande. Diese Autorität prägten Gerichtspräsidenten und Richter wie Roman Herzog, Hans-Jürgen Papier, Udo Di Fabio, Ferdinand und Paul Kirchhof … Später gab es – bezeichnenderweise vor allem ab der Ära Merkel – reihenweise fragwürdige Besetzungen und – gelinde gesagt – höchst seltsame Urteile.

Bleiben wir im Frühsommer 2025: Längst überfällig steht nun voraussichtlich am 10. Juli im Bundestag die Wahl von drei Nachfolgerichtern für „Karlsruhe“ an. Es geht um die Nachfolgen von

Als deren Ersatz sind offenbar folgende drei Personen zwischen CDU/CSU und SPD ausgeklüngelt, und zwar

Bundesrichter waren die beiden zuletzt Genannten zuvor nicht. Das wäre für drei der acht Richter in einem Senat Voraussetzung. Aber diese Klausel ist durch drei andere Richter im Zweiten Senat derzeit erfüllt.

Besonders dieser Personalvorschlag hat es in sich. Unter anderem weil Brosius-Gersdorf 2024 zu denen gehörte, die eine völlige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten vorschlugen – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG.

Noch gravierender: Eigentlich müsste Brosius-Gersdorf aus einem anderen Grund längst aus dem Kandidatenkarussell geflogen sein. Denn Frauke Brosius-Gersdorf hat vor Jahresfrist in der Frage eines möglichen Verbots der AfD durch das Bundesverfassungsgericht jede Spur an Unabhängigkeit über Bord geworfen. Am 25. Juli 2024 hatte sie im ZDF bei „Markus Lanz“ gesagt: „Wenn es genug Material gibt, wäre ich auch dafür, dass der Antrag auf ein Verbotsverfahren gestellt wird. Weil das ein ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie ist, dass sie sich gegen Verfassungsfeinde wehrt. Dass es Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen.“ Dann fügte Brosius-Gersdorf an, „dass damit natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt“ werden könne. Hört! Hört! Welche Wortwahl einer angeblich renommierten Rechtsprofessorin! 10 Millionen AfD-Wähler „beseitigen“?

Das sagte eine, die als Richterin im Zweiten Senat de jure für ein AfD-Verbotsverfahren zuständig wäre. Falls die CDU/CSU diese Personalie mitmacht, belegt sie, dass sie „Karlsruhe“ als Instrument ihrer „Brandmauer“-Politik instrumentalisiert.

Zunächst müssen die Kandidaten am 7. Juli im zwölfköpfigen Wahlausschuss eine Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten. Erst danach kann über sie im Plenum (ohne Aussprache) abgestimmt werden. Bis dahin muss also die Zwei-Drittel-Mehrheit für die drei Kandidaten stehen.

Und da kommt die „Die Linke“ ins Spiel. Ja, sie bringt sich vehement selbst ins Spiel; sie hat sozusagen Blut geleckt, weil die Union sie am 6. Mai für den zweiten Wahlgang bei der Kanzlerwahl brauchte. „Linke“-Vorsitzender Jan van Aken will für seine Partei das Vorschlagsrecht einfordern, das bislang der – aus dem Bundestag geflogenen – FDP zustand. Aber das wird wohl erst nach 2033 spruchreif, wenn die Amtszeit der von der FDP vorgeschlagenen Richter Heinrich Amadeus Wolff und Thomas Offenloch endet.

Aber das ist Zukunftsmusik. Wer weiß, wer 2033 im Bundestag sitzt? Bei der FDP und bei den „Linken“ (und bei den Grünen?) dürfte das womöglich nicht so sicher sein. Die FDP hat die Forderung der Linkspartei jedenfalls schon mal heftig kritisiert. „Das Verfassungsgericht ist kein Ort für Parteienstreit“, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki der „Rheinischen Post“ (Mittwochausgabe). Verhältnisse wie in den USA, „wo die Wahlen von den Hütern der Verfassung regelmäßig zum Politikum werden, sollten wir nicht anstreben“, ergänzte er. Zu Recht, aber fern jeder Realität – fern auch jeder Realität in Deutschland.

Ein Deal zwischen der CDU/CSU/SPD-Koalition und den „Linken“ könnte anders aussehen, zumal die Merz/Klingbeil-Koalition nicht einmal zusammen mit den „Grünen“ (insgesamt 413) auf zwei Drittel der Stimmen (= 420 von 630) kommt.

In einem Brief spielt die „Linken“-Spitze mit folgenden Begehrlichkeiten: „Darüber hinaus ist aus unserer Sicht auch eine Verständigung bei der Besetzung parlamentarischer Gremien mit Kontrollfunktion, der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zur oppositionellen Kontrolle der Regierungsarbeit und zu der von der Großen Koalition beschlossenen Reform der Schuldenbremse geboten.“ In dem Schreiben der Linken-Fraktionsspitze Heidi Reichinnek und Sören Pellmann an die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, SPD und Grünen bittet die „Linke“ um ein gemeinsames Gespräch der „demokratischen Fraktionen“. Aha! Ein hoher Preis! Man darf gespannt sein, wie stabil die „Brandmauer“ der Union gegenüber der SED-Die Linke ist.

Oft genug hat das Bundesverfassungsgericht selbst aktiv am Abbau seines Renommees gearbeitet. Siehe das Klimaurteil, das Corona-Urteil, das Euro-Urteil, das Urteil zum „dritten“ Geschlecht“, die Urteile zu AfD-Anträgen wegen Ausgrenzung aus den parlamentarischen Gepflogenheiten, das Urteil über die Geheimdienste. Dass das Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2021 auch noch eine Einladung zum Abendessen bei CDU-Kanzlerin Merkel annahm, verbreitete zusätzlich einen strengen Geruch. Immerhin ging es in dieser Zeit um zahlreiche Verfassungsbeschwerden gegen die Corona-Politik der Merkel-Regierung.

Die mangelnde Distanz zwischen „Karlsruhe“ und Politik, hier der CDU/CSU, belegt am deutlichsten aber die Wahl von Stephan Harbarth im November 2018 zum Vizepräsidenten und im Mai 2020 zum Präsidenten des Bundeverfassungsgerichts. Nahtlose Übergänge: Harbarth war von 2009 bis 2018 Bundestagsabgeordneter der CDU und zuletzt einer der Vize-Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion. Kurz vor seiner Wahl nach Karlsruhe wurde er von der Universität Heidelberg auch noch zum Honorarprofessor ernannt, wiewohl er die Voraussetzungen dafür laut Hochschulgesetz des Landes Baden-Württemberg nicht erfüllte. Aber was tat sich nicht alles rein zufällig zum Gefallen der „Gottkanzlerin“. TE hat am 7. Juli 2022 darüber berichtet.

Naja, so ist sie nun mal: „unsere“ Gewaltenteilung in „unserer“ Demokratie!

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